Analyse: Amazon kann die AWS-Defizite nicht mit neuen Diensten übertünchen

Amazon legte diesjährige re:Invent als ein Festival der Superlative aus. Aber bei näherem Hinsehen zeigten sich einige Schwächen, die den bisherigen Steigflug der AWS-Cloud bremsen könnten.

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Analyse: Auf der re:Invent kann Amazon die AWS-Schwächen nicht mit neuen Diensten übertünchen
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Es war die sechste re:Invent und es war alles in allem ein Mega-Event. Während bei der ersten Veranstaltung 2012 knapp 6000 Teilnehmer in die Wüstenstadt Las Vegas reisten, kamen dieses Jahr über 43000 Cloud-Fans. Für sie fuhr Amazon rund 1300 Sessions, inklusive einer mehrstündigen Keynote, auf. Und auch sonst ließ AWS-Chef Andy Jassy keinen Zweifel daran aufkommen, dass man mit einem Marktanteil von 44,1 Prozent eindeutig der Platzhirsch unter den Cloud-Providern ist. Gartner sieht bereits eine rapide zunehmende Konsolidierung und viele Beobachter gehen davon aus, dass es in wenigen Jahren nur noch eine Handvoll Anbieter geben wird.

Aber gerade diese Konsolidierung und die bereits erreichte Größe könnten für AWS gefährlich werden. IBM, Google und Microsoft haben da bereits schmerzliche Erfahrungen gemacht. So dürfte AWS schon bald die Kartellbehörden auf den Plan rufen. Das Problem sieht man natürlich auch bei Amazon und versucht bereits gegenzusteuern. "Cloud-Computing ist ein Billionen-Markt mit beachtlichen Steigerungsraten in allen Teilbereichen, wie Infrastruktur, Middleware, Anwendungen und Services. Alle großen Anbieter verzeichnen ordentliche Wachstumsraten. Hier ist noch genügend Platz für viele und vieles", meinte AWS‘ Infrastrukturchef Peter DeSantis in einem Interview.

In der Tat scheint das Cloud-Rennen trotz der rekordverdächtigen AWS-Zahlen noch nicht entschieden. So zeichnet sich gerade in deren umfangreichen Servicenagebot ein Rückschlag ab. So rühmte sich Amazon-CTO Werner Vogels noch sehr dafür, dass man in den letzten fünf Jahren knapp 4000 Neuheiten oder Verbesserungen herausgebracht habe, doch dieses immense Angebot wird immer häufiger als negativ eingestuft. "Das Angebot ist zu unübersichtlich geworden und viele Angebote überlappen sich; AWS entwickelt sich zu einem Anbieter, der immer schwerer zu managen ist", sagt Brent Bracelin, Senior Analyst bei der Investmentbank Pacific Crest.

Es gibt auch deutliche Angebotsunterschiede bei den großen Providern. Dazu gehört beispielsweise die Unterstützung einer Hybrid-Cloud-Umgebung, also der Cloud, die sich inzwischen durchgesetzt hat. Wenn in so einer Architektur der On-Premise-Teil überwiegend auf Microsoft-Systemen basiert, ist Azure der AWS-Plattform in vielen Punkten überlegen. Das zeigt sich beispielsweise an den Hybrid-Management-Tools, wie Azure Stack, Hybrid SQL und Azure StoreSimple. Der Grund dafür ist, dass Amazon ursprünglich eine reinrassige Cloud-Only-Strategie verfolgte und jede Art von In-House-IT als unnötig abstempelte. Microsoft hat dagegen von Anfang an auf eine hybride Nutzung gesetzt – und das könnte sich bei einer zunehmenden Ausbreitung der Hybrid Cloud auszahlen.

Trotz des gewaltigen Angebotes an stets neuen Diensten ist AWS aber nicht immer an der vordersten Front vertreten, wenn es um angesagte Trends geht. Insbesondere die Blockchain lässt der Konzern links liegen. Mit Bitcoin gerät sie zwar manchmal negativ in die Schlagzeilen, doch andererseits setzen viele Länder sie immer häufiger in der öffentlichen Verwaltung ein. Während IBM und Microsoft hierzu entsprechende Dienste anbieten, hat man bei Amazon keinerlei Pläne. "Wir entwickeln keine Technologien, nur weil manche meinen, sie sei cool", gab Andy Jassy in der Pressekonferenz als Begründung für die AWS-Abstinenz an. Seiner Ansicht nach gibt es nur einen begrenzten Anwendungsfall für die Blockchain, der den Entwicklungsaufwand nicht rechtfertigen würde. Allerdings räumte er ein, dass man die Entwicklung genau verfolge. "Wir schauen uns sehr genau an, was sich bei unseren Kunden auf diesem Gebiet tut", lautete sein vielsagender Ausblick.

Ein Dämpfer könnte auch der erkennbare Schulterschluss von AWS mit Amazons Online-Shop sein. Große Teile der Keynotes von Jassy und Vogels waren reinrassige Werbeveranstaltungen für Alexa und das neue Gadget, die smarte Kamera DeepLens. Vogels widmete dabei einen großen Teil seiner Rede der Sprache als Mensch-Maschine-Interface. Sein Ausgangspunkt war der, dass Maus und Tastatur keine natürlichen Kommunikationsmittel seien, sondern dafür geschaffen wurden, um die Schwächen früherer Systeme zu umgehen. Seine Forderung: "Nicht der Mensch soll sich an die Maschinen anpassen, sondern umgekehrt."

Damit kommt er aber zu spät. Ein Blick in jeden Warteraum, in einen Zug oder ein Café zeigt deutlich, dass die Anpassung des Menschen ans Handy oder Tablet schon längst stattgefunden hat. Hinzu kommt, dass vor allem die Sprachausgabe wesentlich ineffizienter ist, als es grafische Ausgaben sind. Vogels nutzte eine Business-Anwendung von Alexa die Frage: "Alexa, wie viele Laptops haben wir auf Lager?" Eine Sprachantwort gab es nicht, denn die wäre ja auch nicht sonderlich attraktiv ausgefallen. Mit einer Zahl als Antwort, beispielsweise 76, wäre die Frage zwar korrekt beantwortet, doch jede Standardanfrage mit Tastatur oder Maus hätte nicht nur die Zahl 76 auf den Bildschirm befördert, sondern außerdem eine Tabelle geboten, in der alle Systeme mit Bild und weiteren technischen Daten übersichtlich dargestellt sind. Das vorzulesen macht weder Sinn, noch macht es die Arbeit produktiver. (fo)