Internet: Im Sumpf der Werbebörsen
Mit sogenanntem Programmatic Advertising sollte im Netz alles besser werden: Medien bekommen dank neuer Algorithmen mehr Umsatz, Werbetreibende günstige Reklameplätze. Mittlerweile kämpft die Branche zunehmend mit Problemen.
Die Welt der Onlinereklame ist heutzutage eine gänzlich andere als in den Anfangszeiten des World Wide Web. Als es mit dem Internet als Massenmedium losging, wurde Reklame verkauft wie Zeitungsanzeigen: Salesmitarbeiter begaben sich zu Kunden oder telefonierten, telefonierten und telefonierten, um die vielen Bannerplätze auf der Website möglichst profitabel zu füllen.
Zwar existiert dieses Direktgeschäft für Großkunden auch heute noch – mit und ohne dazwischengeschaltete Agenturen, die die Reklameplätze bündeln. Allerdings wandern immer mehr der Werbeflächen vom kleinen Blog bis zum großen Medienhaus ins sogenannte Programmatic Advertising. Die programmatische Werbung, bei der Ein- und Verkauf von digitaler Reklame vollautomatisch über große Onlinebörsen abgewickelt wird, führte in den vergangenen Jahren zu einer Revolution des Marktes.
Das Internet hat unendliche Werbeplätze
Die hat gute und schlechte Seiten. Zunächst erlaubte die Technik, auch Reklameflächen zu belegen, die sich sonst mehr schlecht als recht verkauft hätten – allein schon durch die Bündelung der Nachfrage über besagte Börsen. Das spülte den Medienanbietern, in der Sprache des Marketings Publisher genannt, anfangs mehr Geld in die Kasse.
Parallel dazu hat Programmatic Advertising Reklameflächen im Web noch mehr entwertet, als dies schon zuvor der Fall war: Es gibt einfach zu viel Platz für Werbung, das Netz ist schließlich unendlich und keine Zeitschrift mit fixer Seitenanzahl oder ein Fernsehprogramm, das am Tag nur 24 Stunden senden kann.
Zielgruppen woanders erwischen
Programmatic Advertising erlaubt dank der gigantischen Datenmengen, die Werbekonzerne, Datenhändler und Internetriesen wie Facebook oder Google gesammelt haben, zudem gänzlich neue Verkaufsmodelle. Wer früher die Zielgruppe der "New York Times" erreichen wollte, musste schon auf der Website der "Gray Lady" inserieren – und das kostete.
Doch dank immer stärker um sich greifendem universellen Tracking ist es mittlerweile möglich, Nutzer zu "taggen", die ein renommiertes Medium besucht haben – um sie dann an anderer Stelle im Web zu erwischen. So kann ein Werbetreibender, der Programmatic Advertising nutzt, den Leser eines renommierten Wirtschaftsblattes etwa auf einem viel billigeren Blog "erwischen" – und die Reklame einfach dort schalten.
Dubiose Zwischenhändler und Vermarkter
Daneben ist technisch und wirtschaftlich im Programmatic Advertising bei weitem nicht alles Gold was glänzt. Der Markt ist unglaublich unübersichtlich und mit zahllosen Zwischenhändlern ausgestattet, die gerne die Hand aufhalten und sich ein paar kleine Prozentpünktchen vom Gebot abschneiden. Und selbst wenn der Werbetreibende an eine seriöse Börse gerät, heißt das noch nicht, dass diese selbst ihr Geschäft im Griff hat.
So macht seit längerem das sogenannte Domain-Spoofing-Problem in der Programmatic-Szene auf sich aufmerksam. Dabei verkaufen Publisher, Werbenetzwerke oder Reklamebörsen Werbeplatz auf Seiten, die sie gar nicht in ihrem Portfolio haben.
Ein Werbetreibender kauft also Banner auf der renommierten Website X ein, die Reklame landet aber auf der völlig unbekannten, dubiosen Seite Y. Erstaunlicherweise scheint dies technisch nur schwer zu verhindern zu sein, berichtete das britische Marketingfachblatt "Digiday" im Sommer. (bsc)