Autodesk: Design auf Knopfdruck

Der Softwarehersteller will Designern ein ganz neues Universum an Möglichkeiten eröffnen: Sie brauchen nur noch grobe Eckdaten einzugeben, und ein Algorithmus erzeugt daraus – oft ĂŒberraschende – KonstruktionsvorschlĂ€ge.

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Zum vierten Mal kĂŒrt Technology Review die 50 innovativsten Unternehmen des Jahres. Das entscheidende Kriterium fĂŒr die Auswahl: bahnbrechende Ideen und wegweisende Fortschritte. Hier schreiben wir, warum es diese Firma unter die Top-50 geschafft hat.

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Die gesamte Liste mit den "50 innovativsten Unternehmen":

Der filigrane Stuhl aus Nussbaumholz sieht aus wie ein StĂŒck guter alter Handwerkskunst. Doch dahinter steckt eine ganz neue Dimension kĂŒnstlicher Intelligenz: Die Designer haben nur die grobe Form und eine Belastbarkeit von 135 Kilogramm vorgegeben – den Rest erledigten Algorithmen. Sie schufen geschwungene Formen, die mit 18 Prozent weniger Volumen als die Vorlage auskamen und gleichzeitig die Belastung des Holzes um 90 Prozent senkten.

Das Sitzmöbel ist ein Vorzeigeobjekt des Forschungsprojekts "Dreamcatcher" von Autodesk. Die Software soll ein ganz neues Universum der Gestaltung ausloten. Ein zentraler Teil ist dabei die sogenannte Topologie-Optimierung. Dabei simuliert die Software, wie sich Lasten auf eine Struktur auswirken. Wenig belastete Teile werden abgespeckt, andere verstĂ€rkt. Das Ergebnis sind fließende organische Gitterstrukturen, die aussehen wie das Innere eines Knochens oder das Skelett einer Kieselalge. Sie haben ein nahezu optimales VerhĂ€ltnis von Gewicht zu Festigkeit.

Solche Optimierungsfunktionen sind bereits in vielen Konstruktionsprogrammen eingebaut. Allerdings können sie nur einen vorgegebenen Entwurf in vielen aufeinanderfolgenden Varianten verfeinern. "Wenn Simulation erst so spĂ€t ins Spiel kommt, kann sie das Design nur noch bedingt beeinflussen", sagt Greg Fallon, VizeprĂ€sident fĂŒr Simulation bei Autodesk.

TR 9/2017

Dreamcatcher geht deshalb einen entscheidenden Schritt weiter: Die Entwickler geben nur noch eine ungefĂ€hre Form vor sowie Eckdaten wie Material, Belastbarkeit, Kosten und Herstellungsverfahren. In diesem riesigen Raum der Möglichkeiten simuliert cloudbasierte kĂŒnstliche Intelligenz Hunderte oder Tausende Varianten. Dazu greift sie auf eine Datenbank mit bereits existierenden Objekten und ihren Eigenschaften zurĂŒck. Per Mustererkennung werden diese Vorlagen mit der aktuellen Aufgabe verglichen.

Die gefundenen Lösungen prĂ€sentiert Dreamcatcher dem Designer gemeinsam mit den wichtigsten Werten wie Gewicht, Belastbarkeit oder Kosten. Alle EntwĂŒrfe, die Dreamcatcher ausspuckt, lassen sich auch mit den vorab eingegebenen Methoden herstellen. Beim Holzstuhl wurden zum Beispiel zehn Einzelteile ausgefrĂ€st und in klassischer Tischlermanier zusammengefĂŒgt. Aber die eigentliche DomĂ€ne von Dreamcatcher ist der 3D-Druck. Erst durch die praktisch frei herstellbaren Geometrien kann die Topologie-Optimierung ihr ganzes Potenzial nutzen.

Konsequenterweise erscheint Dreamcatcher, das nun unter dem Namen "Autodesk Generative Design" vermarktet wird, Ende des Jahres zuerst als Teil der 3D-Druck-Plattform Netfabb. SpÀter soll es auch in anderen Autodesk-Konstruktionsprogrammen wie Fusion 360 auftauchen.

Was mit Dreamcatcher alles möglich ist, zeigt nicht nur der schicke Stuhl. Eine Motorradschwinge beispielsweise konstruierte die Software komplett asymmetrisch, worauf ein menschlicher Gestalter vermutlich nie gekommen wĂ€re. Beim Projekt "Hack Rod" verkabelten die Forscher den Gitterrahmen eines GelĂ€ndewagens mit unzĂ€hligen Sensoren und schickten ihn auf eine Teststrecke durch die kalifornische WĂŒste.

Die gewonnenen 20 Millionen DatensĂ€tze ließen sie in Dreamcatcher einfließen. Die Software optimierte damit den Gitterrahmen zur einer bionisch verschlungenen Struktur, die 25 Prozent leichter war als die ursprĂŒngliche Konstruktion. Das Chassis habe sich gewissermaßen selbst optimiert, so Autodesk. Airbus optimierte mit Dreamcatcher bereits eine Kabinentrennwand, Black & Decker machte ein Werkzeug um 60 Prozent leichter, der Sportartikelhersteller Under Armour entwickelte Sportschuhe, die gleichzeitig fest und leicht sind.

Autodesk Generative Design könnte kĂŒnftig auch helfen, ein altes Versprechen des 3D-Drucks zu verwirklichen: das individuelle Produkt. Die Herstellung von EinzelstĂŒcken ist mit 3D-Druckern zwar kein Problem, doch fĂŒr die Konstruktion braucht es in der Regel teure Experten. Mit der neuen Software könnten auch Laien oder kleine DesignbĂŒros fĂŒr jeden Bedarf das passende Bauteil aus der Cloud zaubern.

(grh)