4W

Was war. Was wird. Der etwas andere Stimmungs- und Sondierungsbericht

Geschichte wird gemacht? Ja, hoffen wir das Beste. Ob's voran geht, das ist aber wiederum eine andere Frage, zweifelt Hal Faber, der bei einer "So schnell wie möglich"-Koalition und Aktivismus-Aufrufen des Homo Davosiens eher fröstelt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 42 Kommentare lesen
Was war. Was wird. Der etwas andere Stimmungs- und Sondierungsbericht

Kanzler- oder Kanzlerinnen-U-Bahn, ganz egal: Jetzt wird bald wieder regiert. Vielleicht, etwa wenn's um Europa geht, nicht ganz so kurzatmig und mit etwas mehr Fahrt. Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch in einer U-Bahn mit nur zwei Stationen.

(Bild: Thomas Ulrich, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Über 1 Million Aufkleber "Asyl für Snowden" hat Digitalcourage verteilt. Die Idee, das ikonografische Obama-Wahlplakat mit einem Snowden-Foto zu kreuzen, hatte ein Werbeprofi, Martin Keune vom Verein der Flüchtlingspaten. Später wurde die Idee sogar modisch veredelt. Weniger bekannt wurde das von seiner Agentur Zitrusblau entwickelte (Kommunal-) Wahlplakat Wenn du nicht zur Wahl gehst, kommt das Wahlergebnis zu dir. Nun ist der Bürge mit Herz gestorben und das Wahlergebnis unter uns, mit einer AfD im Bundestag und Menschen, die Hunde auf Flüchtlinge hetzen. Ein Land, nicht nur eine Region trauert um Martin Keune.

*** Zum Ergebnis gehört auch eine "große" Koalition, die ans Regieren gehen will und in Sondierungsgesprächen laut dem Sondierungsbericht nicht weniger als sechs Kommissionen festgelegt hat, damit alle hübsch zu tun haben, nicht nur beim Vorantreiben dieser Digitalisierung. Neben der Rentenkommission, der Expertenkommission direkte Demokratie, der Kommission zur Integrationsfähigkeit, der Kommission Fluchtursachen, der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" und der Kommission zu Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" fällt auf, wie "so schnell wie möglich" als hübsche Floskel im Sondierungsbericht auftaucht. Es suggeriert eine Politik mit hoher Fahrgeschwindigkeit und ordentlichem Durchsetzungsvermögen – bis man weiterliest, was so schnell wie möglich passieren soll. So schnell wie möglich wird der Einsatz von Glyphosat beendet, so schnell wie möglich soll der Rückstand beim (aufgegebenen) Klimaziel 2020 aufgeholt werden, schnell sollen deutsche Behörden "gleichwertige Befugnisse" im Internet bekommen, wie sie diese in der Welt "außerhalb des Internets" haben. Als Neusprech vom Feinsten können wir ferner den Anker begrüßen, früher einmal vom Füllwort "Stabilitätsanker" her bekannt, wie in "Stabilitätsanker Angela Merkel". Das war einmal, jetzt wird der Anker ANkER geschrieben und steht für die "zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen", mit denen im Strom der Flüchtlinge das schlingernde Schiffchen Deutschland am rechten Ort verbleibt. Und was die Geschwindigkeit anbelangt: Andere kommentieren die Fahrt nun vom Rücksitz aus.

*** Wenn etwas wirklich schlingerte und krachte in dieser Woche, dann war das dieses Gottvertrauen in die Prozessoren, diese Anker, Schalter und Walter in der Informationstechnik. Sie sollten nicht spekulieren, sondern funktionieren, aber sie spekulieren eben doch, während sie da so auf einem von Leitungen durchzogenen Metallbrett sitzen. "Prozessoren sind in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden, da die Fülle an Programmen stark zugenommen hat." So bleiben Fragen über Fragen und wenn dann frei nach Goethe genug Schrecken verbreitet ist, stellt sich die eingeleitete Hilfe vom Bundesamt für Sicherheit als übler Installationsversuch eines Trojaners auf einem "Endgerät" heraus. Die putzige Formulierung "Wir sind gem. der geltenden Gesetzeslage dazu verpflichtet, sie über diesen Umstand zu informieren" ist schönstem Bürokratendeutsch nachempfunden, aber halt, auch hier legt das Ergebnis der Sondierungen einen schützenden Arm um uns alle: " Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Cyberabwehr soll ausgebaut, verbessert und strukturell neu geordnet werden." Strukturell wird alles gut und in den Rechenzentren, diesen blauen Grotten der Gegenwart, fassen die Admins sich an den Händen und schauen gemeinsam in eine traute Zukunft. "Der Computer. Unsere Lebenstäuschung", dieses Buch wird nie geschrieben werden. Versprochen.

*** Um ein Haar wäre die Sache aufgeflogen. Das US-amerikanische Repräsentantenhaus stimmte am Freitag mit 256:164 Stimmen für die Verlängerung von Absatz 702 des "FISA Amendment Acts", nachdem man dies Ende Dezember verschoben hatte. Die Überwachung beliebiger Ausländer darf 6 Jahre lang weiter mit vollem Einsatz von Datenschnorcheln fortgesetzt werden. Eigens zur neuen Abstimmung gab es hübsche neue Infografiken, die klar machen sollten, dass US-Amerikaner nicht überwacht werden, für den Rest der Welt aber unbeschränkte Mittel da sind, Daten zu speichern und zu verarbeiten. Ausgerechnet ein Tweet von US-Präsident Donald Trump erweckte vor der Abstimmung den Eindruck, dass er gegen die Überwachung sei. Hastig wurde eine Klarstellung hinterher geschickt, Twitter ist ja so praktisch. Was wirklich nach Absatz 702 passiert, wurde bekanntlich von Edward Snowden öffentlich gemacht und kann in dieser niederländischen Zusammenfassung studiert werden. Das Gesetzesvorhaben ist nun auf dem Weg in den Senat, der bereits seine Zustimmung signalisiert hat: Die NSA darf weiter ihre Datenstaubsauger betreiben. Der Hinweis auf die Niederlande hat einen Hintergrund: Dort soll das PRISM-Projekt der NSA dazu geführt haben, dass der Geheimdienst AIVD einen Hinweis bekam und einen terroristischen Anschlag verhindern konnte.

Bleiben wir bei Präsident Trump: schließlich hat er unter der Woche einen Erlass unterzeichnet, der den kommenden Montag zum Martin Luther King-Day proklamiert und als nationalen Feiertag installiert. Damit hat Trump einen Erlass des früheren US-Präsidenten Obama verlängert und den Feiertag auf einen Werktag gelegt.

Bekanntlich gehört zu einem ordentlichen Jahresauftakt ein ordentliches Weltwirtschaftsforum in den Schweizer Bergen. Dort, wo die Homini Davosiensi grübelnd darüber nachdenken, wie sie noch besser von der Globalisierung profitieren können, hat sich der Wysiwyg-Präsident Donald Trump kurzerhand selbst eingeladen.

Schließlich ist die Schweiz kein Drecksloch und hat mit dem Käsefondue sozusagen die Urform seines geliebten Cheeseburgers erfunden. In diesem Jahr lautet das Motto des WEF "Für eine gemeinsame Zukunft in einer zersplitterten Welt". Das ist nicht unbedingt kompatibel mit dem "America first" von Donald Trump. Aber egal ist egal, genau wie die Tatsache, dass Trump sich im Wahlkampf sehr abfällig über das Gipfeltreffen der Mächtigen geäußert hat. Auch die kundig von Bill Gates und Mark Zuckerberg zusammengestellte Leseliste für die WEF-Teilnehmer dürfte ein Trump ignorieren, der vom in der letzten Wochenschau erwähnten Bestseller Fire & Fury nur die angepeilte Bilderbuch-Version lesen dürfte.

Mit der von Zuckerberg empfohlenen Struktur wissenschaftlicher Revolutionen ist ein 56 Jahre altes Buch dabei, das sich mit den Denkstilen von Wissenschaftlern befasst. Hier fasziniert, dass basierend auf Ludwig Fleck sich auch ein Zuckerberg damit beschäftigt, ob ein persönlicheres Facebook so etwas wie ein Denkkollektiv sein könnte und es sich leisten kann, den rein digital erscheinenden Medien den Stinkefinger zu zeigen. So werden in vielen Redaktionen hektisch Anleitungen wie diese veröffentlicht, damit der digital verwöhnte Facebook-Nutzer seine gewohnte Informationsquelle wiederfinden kann. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht.

Ja, das waren noch echte Gründer-Zeiten, als Zuckerberg vor 10 Jahren in Adiletten beim traditionellen Vor-Davos-Auftrieb namens Digital Life Design (DLD)von Hubert Burda in München auftrat, nett über sein deutsches Facebook plauderte und prompt zum wichtigsten Internet-Unternehmer gewählt wurde. Nun steht wieder einmal Davos an und damit auch die DLD-Konferenz. Das Motto ist diesmal "Reconquer" ein Aufruf zu mehr Aktivismus im Bussi-Netz. Vertrauen, Werte und Optimismus sollen die drei Inhaltsstoffe sein, die diese Reconquista ausmachen. Diese Rückeroberung birgt viele Geschäftsideen und Start-Ups, aber eben auch Sachen wie die Rückeroberung der Menschlichkeit. Davon sind wir noch himmelweit entfernt, wie Unter Beschuss von Richard Gutjahr in dieser Woche gezeigt hat. Die Dreckslöcher, das sind die Anderen. (jk)