Neue Atomwaffen: "Wenig Interesse, die nukleare Bedrohung zu verringern"

Donald Trump interessiert sich für sogenannte Mini-Nukes. Der Friedensforscher Hans Kristensen warnt vor einer globalen Modernisierung des Atomwaffen-Arsenals und Gedankenspielen zu "begrenzten" Atomkriegen.

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Berichten aus dieser Woche zufolge planen die USA die Anschaffung kleinformatiger Nuklearwaffen. Das besagt der Entwurf der neuen amerikanischen Atomkriegsdoktrin. Hans M. Kristensen leitet das Nuclear Information Project der Federation of American Scientists (FAS) in Washington D.C. Die FAS, die 1945 von Mitarbeitern des Manhattan Project ins Leben gerufen wurde, beschäftigt sich unter anderem mit atomarer Abrüstung und Sicherheitspolitik.

Kristensen, der sich vor allem auf die Recherche mithilfe des Freedom of Information Act spezialisiert hat, ist zudem Co-Autor der weltweiten Übersicht über die Nuklearstreitkräfte im Jahrbuch des Stockholmer Instituts für Friedensforschung (SIPRI).

TR: Wie nah steht die Welt vor einem Atomkrieg?

Hans Kristensen: Nun, das ist tatsächlich die Preisfrage. Viele fragen sich, ob die Fortschritte, die Nordkorea in Bezug auf seine Waffentechnik gemacht hat, die Wahrscheinlichkeit eines Krieges erhöhen.

Was ist Ihre Antwort?

Im Moment hat niemand eine. Man kann aber auf jeden Fall beobachten, dass das US-Militär versucht, sichtbarer zu sein. Nicht nur, was das atomare Potenzial angeht. Sie haben auch eine ganze Reihe neuer, technisch sehr fortgeschrittener konventioneller Waffen in die Region verlegt.

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Das wirkliche Problem ist aber eher die Frage, ob die Kombination aus erhöhtem militärischen Potenzial auf beiden Seiten und einer sehr starken Rhetorik das Risiko für einen konventionellen Konflikt erhöht, und ob dieser Konflikt so weit eskalieren könnte, dass auch Atomwaffen eingesetzt werden. Das macht einer Menge Leute in den USA sehr viele Sorgen. Manchmal haben Sie eine Regierung, die daran interessiert ist, die nukleare Bedrohung zu verringern, wie die Obama-Regierung. Und nun haben wir die Trump-Regierung, die sehr wenig Interesse daran hat.

Ist die Hemmschwelle für eine nukleare Auseinandersetzung gesunken?

Das ganze Säbelrasseln, das wir in letzter Zeit gesehen haben, könnte tatsächlich ein Zeichen dafür sein, dass manche Leute ein bisschen den Respekt vor der enormen Macht und der Gefahr nuklearer Waffen verloren haben. Das betrifft nicht nur die Regierungen.

Eine Umfrage in den USA hat ergeben, dass eine Mehrheit den Einsatz einer Atombombe gegen den Iran gutheißen würde, wenn dadurch US-Truppen weniger Verluste erleiden würden. Und das auch, wenn der Iran selbst keine Atomwaffen hätte. In dem Maße, in dem wir uns mehr und mehr von der Ära des Kalten Krieges entfernen, erkennen die Menschen die außergewöhnliche Gefährlichkeit von Atomwaffen immer weniger an. Hinzu kommt, dass Nordkorea nicht das einzige Problem ist.

Was sind weitere?

Indien und Pakistan streiten sich seit Längerem über den Verlauf der Grenze. Beide Regierungen verwenden eine sehr aggressive Sprache und drohen sich mit Atomwaffen – sogar als Antwort auf kleinere Konflikte. Es gibt die echte Besorgnis, dass dieser Konflikt sich zu einem Atomkrieg auswachsen würde. Offiziell in einem feindlichen Zustand befinden sich auch Russland und die USA. Entsprechend rüsten beide auf.

Wir sehen wichtige Änderungen in der Art und Weise, in der die USA ihre strategischen Bomber hauptsächlich über der Nordsee, dem Baltikum und dem Nordpol fliegt. Russland hält mehr große Militärmanöver an der Westgrenze ab und fliegt verstärkt über der Ostsee, während die Nato mehr Kampfverbände in die baltischen Staaten und Polen verlegt hat.

All dies führt zu einer politischen Situation, die sehr viel angespannter ist. Einige Experten in den USA sind der Meinung, dass Russland seine Fähigkeiten für einen nuklearen Erstschlag verbessert hat. Andere glauben, dass Russland diese Pläne schon länger in der Schublade liegen hat. Wie auch immer, den USA liefert die Behauptung die offizielle Begründung dafür, die eigenen Atomwaffen zu modernisieren.

Was kann man an Atomwaffen noch verbessern? Eine Massenvernichtungswaffe ist eine Massenvernichtungswaffe, oder nicht?

Man kann ihre Effektivität verbessern. In der Frühzeit des Kalten Krieges waren ballistische Raketen nicht sehr präzise. Also statteten sowohl Russland als auch die USA sie mit einem größeren Sprengkopf aus, um diese Ungenauigkeit zu kompensieren.

Das ist wahrscheinlich auch der Grund für Nordkoreas Streben nach großen Bomben. Inzwischen aber kann man beispielsweise die Waffe besser befähigen, die feindliche Luftabwehr zu durchdringen, oder die Zielgenauigkeit erhöhen.

So lässt sich dieselbe Abschreckungswirkung mit einer kleineren Sprengkraft erzielen. Die B61-Bombe zum Beispiel, die zurzeit modernisiert wird, ist eigentlich eine klassische Schwerkraftbombe. Diese Waffe wird mit einem neuen Leitwerk ausgestattet, mit dem man die Waffe näher an das Ziel heranbringen kann.

Was ist die Strategie dahinter?

In den USA ist die klare Absicht, dem Präsidenten eine militärische Option zu eröffnen, die weniger Kollateralschäden herbeiführt, also nicht so dreckig ist. Der Präsident soll nicht zögern, eine solche Waffe einzusetzen, weil er sich um die Folgen sorgt.

Die atomare Abschreckung hat jahrzehntelang funktioniert, weil alle Beteiligten sich sicher waren, dass ein Atomkrieg nicht beherrschbar wäre. Gilt dies heute nicht mehr?

Doch. Allerdings hat sich die Strategie geändert. Früher sollte Abschreckung so viel Furcht verbreiten, dass erst gar kein bewaffneter Konflikt entsteht. In der gegenwärtigen Interpretation geht es darum, lokale Kriege zwar zuzulassen, sie aber beherrschbar zu machen, ohne dass sie in einen großen nuklearen Weltkrieg eskalieren. Ob das möglich ist und was man dafür tun muss, darüber gibt es eine Menge unterschiedlicher Auffassungen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Deeskalation gelingt?

Ich denke, dass die militärischen Kreise sowohl in den USA als auch in Russland sich des zerstörerischen Potenzials sehr wohl bewusst sind, das ein großflächiger Einsatz von Atomwaffen hätte. Was mir mehr Sorge bereitet, sind die kleinen Konflikte. Es gibt in der US-Regierung die Auffassung, dass die Putin-Regierung sich bewusst auf einem schmalen Grat bewegt: Sie nutzen Lügen, Täuschungen und greifen in Aufstände ein, um Länder zu destabilisieren.

Die Aufrüstung der Nato in Osteuropa zeigt deutlich, dass eine militärische Lösung solcher Konflikte näher liegt als bisher. Die Nato geht davon aus, dass die Russen bereit sind, sehr viel mehr Risiken einzugehen als bisher.

Umgekehrt gehen die Russen davon aus, dass die Nato ihr Gebiet stärker bedroht als je zuvor. Falls sich daraus ein Krieg entwickelt, gibt es natürlich die Sorge, dass er weiter eskaliert – bis zur Verwendung von Atomwaffen. Aber gefährliche Situationen hat es schon immer gegeben, und ich bin zuversichtlich, dass wir auch aus dieser einen Weg herausfinden.

(wst)