Gezielte Ausrottung

Mithilfe der Gentech-Methode Gene Drive lassen sich ganze Schädlingsarten ausrotten. Nun wollen kalifornische Landwirte sie bei ihrem Kampf gegen die Kirschessigfliege einsetzen.

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Von
  • Antonio Regalado

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft 02/2018 ist ab dem 25.01.2018 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Für die Kirschfarmer in Kalifornien hat sich die Einwanderung der Kirschessigfliege vor etwa zehn Jahren als Fluch entpuppt. Denn die Weibchen der ursprünglich in Asien beheimateten Taufliege sind mit einem rasiermesserscharfen Eiablageapparat ausgestattet. Deshalb platzieren sie ihre Eier nicht in verrottenden Früchten wie die ortsansässigen Fliegen, sondern schlagen stattdessen Löcher in unversehrte, noch reifende Exemplare.

Dadurch vernichtet die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) einen ansehnlichen Teil der Ernte. 2008 ist sie in Kalifornien eingetroffen. Mittlerweile belaufen sich die Verluste für die amerikanische Landwirtschaft auf etwa 700 Millionen Dollar im Jahr. In Deutschland breitet sich das Ungeziefer ebenfalls seit 2011 aus.

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In den USA versuchten Landwirte zunächst, es mit Pyrethroiden, einer Klasse von Insektiziden, zu bekämpfen. "Das sind die stärksten Chemikalien, die es gibt", sagt Nick Matteis von der Erzeugerorganisation California Cherry Board. Die Sprays töten allerdings sämtliche Insekten, einschließlich der Bienen. Deshalb suchen die kalifornischen Kirschfarmer nun nach einer besseren Methode.

Ihr Augenmerk fiel dabei auf die von Genetikern entwickelte Technik des "Gene Drive". Mit ihr lassen sich schädigende Genveränderungen rasant verbreiten und die Fliegen so zumindest theoretisch dezimieren. Ermöglicht wird das seit wenigen Jahren bekannte Verfahren durch die ebenfalls noch junge Gen-Editiermethode CRISPR.

Mit dieser Genschere lässt sich sowohl neues Genmaterial als auch die Vervielfältigungsmaschinerie selbst in das Erbgut einschleusen. Das Ergebnis ist die bis zu hundertprozentige Vererbung eines Merkmals. Bei einer Vererbung ohne Gene Drive würden nur fünfzig Prozent der Nachkommen das Merkmal tragen.

TR 02/2018

Diese Durchschlagskraft macht den Gene Drive zu einer der am meisten diskutierten und gefürchteten Erfindungen der modernen Biologie. Seine Gegner nennen das Verfahren eine genetische "Atombombe" und wollen es verbieten lassen. Denn sie befürchten, dass sich ein Gene Drive draußen in der freien Natur verselbstständigen könnte. Befürworter wiederum sehen die Chance, endlich die Malaria-Mücken auszurotten und die Krankheit zu besiegen – oder eben Agrarschädlinge zu bekämpfen.

Bereits 2013 begann der Verband der Kirschfarmer, die Entwicklung der Technik zu finanzieren. Rund 100000 Dollar pro Jahr und damit etwa ein Drittel ihres Forschungsbudgets investierte der Verband, damit Wissenschaftler der University of California (UCR) in Riverside einen Gene Drive zur Bekämpfung der Kirschessigfliege entwickeln.

"Aus ihrer Sicht ist es viel Geld", sagt Omar Akbari, bis vorigen Herbst Assistenzprofessor an der UCR, "aber aus unserer Sicht reicht es nur, ein Gehalt und ein paar Experimente zu bezahlen." Trotzdem hatte der Insektengenetiker im vorigen Juli Erfolg mit dem Gene Drive in der Kirschessigfliege. Seine Technik, benannt nach der griechischen Zauberin Medea, die ihre Kinder ermordete, verbreitete sich Akbari zufolge in Experimenten in Laborkäfigen auf 100 Prozent der Fliegen.

Im nächsten Schritt gilt es zu entscheiden, mit welcher genetischen Ladung das egoistische Gen für das Verfahren befrachtet werden soll. Weibliche Fliegen überleben zum Beispiel den Winter, weil ihre Körper Kryoprotektoren bilden, also über Gefrierschutzmechanismen verfügen. Würde dem Erbgut etwa ein Gen hinzugefügt, das die Bildung der Gefrierschutzproteine verhindert, könnte das zum Erfrieren der Fliegen führen. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Eiablageapparatur zu verändern.

Das California Cherry Board ist nun bereit, größere Laborstudien zu finanzieren. Um sie zu bezahlen und schließlich die Genehmigung für den Einsatz eines Gene Drive zu erwirken, plant der Verband, sich mit anderen Obstbauern in einem Unternehmen zusammenzuschließen. Nick Matteis vom Erzeugerverband der Kirschfarmer schätzt, der Gene Drive könnte in fünf Jahren genehmigt und einsatzbereit sein.

Die Brisanz des Vorhabens ist der Organisation bewusst, sagt Tom Turpen, der den Verband bei der Unternehmensgründung berät. Er sieht durchaus die Gefahr, dass Gegner gentechnisch veränderter Organismen (GVO) eine lähmende öffentliche Debatte anstoßen könnten. Deshalb wolle der Verband mit Transparenz dagegenhalten.

Wie ernst dieser die Offenheit nimmt – und ob die Öffentlichkeit sich überzeugen lässt –, muss sich noch zeigen. Matteis glaubt allerdings, gute Karten zu haben. "Bei einem Insekt, das für die Umwelt als nützlich betrachtet wird, wäre das viel schwieriger", sagt er. "Aber dieses Insekt ist erst kürzlich bei uns eingetroffen. Da gibt es weniger Bedenken, in den Kreislauf des Lebens einzugreifen."

(bsc)