Verriss des Monats: Blockbuster Blockchain

Die Welt giert nach allem, was nach Kryptogeld riecht. Die Zeit ist reif für Kryptopop.

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Von
  • Peter Glaser
Inhaltsverzeichnis

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats.

Der Boom bei Kryptowährungen und der ihnen zugrundeliegenden Blockchain-Technologie treibt exotische Blüten. In einem Spielcasino in Las Vegas steht der erste Geldautomat der Welt, der Bitcoin ausgibt, unter bestimmten Bedingungen jedenfalls. Der Versuch eines Reporters, sich an dem "CoinCloud ATM" im Casino D den Gegenwert von einem Dollar in Bitcoin auszahlen zu lassen, scheiterte allerdings an der "Miners Fee", einer Gebühr für das extrem energiehungrige Erwirtschaften von Bitcoins, die zwischen 40 und 45 Dollar liegt – pro Auszahlung!

Bereits im Herbst letzten Jahres nahmen ein paar börsennotierte Unternehmen in den USA und Großbritannien spaßeshalber den Begriff Blockchain in ihre Firmennamen auf. Die Experimente führten zu erstaunlichen Publikumsreaktionen. So benannte sich die US-Firma Bioptix in Riot Blockchain um, wodurch sich ihr Börsenwert kurzzeitig verdoppelte. Im Fall des britischen Unternehmens On-line Plc, es heißt nunmehr On-line Blockchain Plc, stieg der Börsenkurs direkt nach Ankündigung des Namenswechsels um 19 Prozent, am nächsten Tag waren es schon 394 Prozent. Blockchain ist ein Blockbuster. Die Welt giert nach allem, was nach Kryptogeld riecht.

Der Dow-Jones-Wirtschaftsnachrichtendienst MarketWatch wußte von einer weiteren Aufregung auf dem Gebiet zu berichten, einer französischen Berufsblondine namens Theodora, die als Tätigkeitsbereich "Finanz-Domina" angibt, bringt Männer ("ab Ende dreissig, meist ziemlich nerdig") dazu, ihre Rechner mit Hilfe einer speziellen App für sie mühevoll Bitcoin schürfen zu lassen. Nach eigenen Angaben schwimmt sie in Geld.

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Anfang Dezember ging Cryptokitties an den Start, eine Website, auf der man virtuelle Katzen sammeln und züchten kann, eine Art digitale Version von Pokemon-Karten mit dem Unterschied, dass die Cryptokitties auf der Blockchain des Bitcoin-Konkurrenten Ethereum basieren. Die Teilnehmer stecken Unsummen in den Katzenhandel, verschiedene Kätzchen gehen zu Preisen um die 50 Ethereum (rund 18.500 Euro) über den nicht vorhandenen Tisch. Für eine "Genesis"-Katze wurde ein Rekordpreis von 246 Ethereum (rund 91.000 Euro) erzielt. Spekulanten setzen auf weitere Preissteigerungen. Das Spiel zeichnet inzwischen für mehr als 15 Prozent des gesamten Ethereum-Traffics verantwortlich.

Und nun gibt es endlich auch eine Kryptowährungs-Girlgroup und mit ihr das zugehörige Kulturphänomen – Kryptopop! Am 11. Januar legten Kasotsuka Shojo, die "Virtuelle-Währung-Girls", in Tokio ihren ersten Auftritt hin. Keine Roboterinnen – richtige, echte Mädchen zwischen 15 und 22 Jahren. Ersonnen wurde die Formation in einem Entertainment-Inkubator namens Cinderella Academy, hinter dem die Firma Shin-Etsu steht, einer der größten Kunststoffproduzenten der Welt. Synthetik und Ästhetik sind ja nicht weit voneinander entfernt, sprachlich jedenfalls.

Jeder der acht Teenies repräsentiert eine der neuartigen Krypto-Tauscheinheiten, von denen die Wikipedia inzwischen mehr als 100 auflistet. Zwar erschließt sich nicht recht, in welchem Zusammenhang zu moderner Finanztechnologie die Aufmachung der Girls steht – sie sind in kesse französische Dienstmädchenuniformen gekleidet –, allerdings ist die Mode in Mangas und bei der Cosplay-Kostümierung ihrer weiblichen Fans seit langem beliebt. Die verschiedenen symbolisierten Währungen – von Bitcoin über Ethereum bis Ripple – lassen sich an den mitsamt entsprechendem Logo versehenen flauschgesäumten und mit Bommelohren ausgestatteten Masken erkennen, die von den Mädchen getragen werden. Willkommen im Internet 2018.

Die Zeit ist reif für Kryptopop. "Statt Goldketten und Bling-Bling: Kryptowährungen erobern das Musik-Geschäft", vermerkt die Jugendwebsite Noizz und verweist noch auf den Crypto-Rap HodIn der deutschen Rapper Kool Savas und Sido – das Wort HodIn haben sie in einem Bitcoin-Forum aufgeschnappt, wo es für das Horten von Krypto-Geld steht.

Längst sind die analogen Methoden der Erwachsenenvermeidung, die echten Pop auszeichnen, übergewechselt in die digitale Welt. Eines der beliebtesten Verfahren stammt aus den Anfängen der Computerei: die Verschlüsselungstechnik. Kryptographie. Schon lange bevor es öffentliche Debatten über Dinge wie Public-Key-Verschlüsselung gab, konnte man bereits an Bahndämmen und Häuserwänden Graffiti sehen, die dem ungeübten Auge wie bunte, verschlungene Ornamente erschienen, in Wirklichkeit aber lesbarer Klartext waren – visuell verschlüsselte Botschaften, öffentlich ausgebreitet, aber trotzdem nur dem Eingeweihten zugänglich.

Dann schwenkten junge Künstler in breiter Front von Kunst auf Kryptographie um. Erwachsene sprachen – und sprechen – immer noch von Kunst, aber in Wahrheit sind zunehmend Programmierer am Werk, wo manche immer noch Künstler vermuten. Was früher Kunst war, will heute oft nichts mehr verraten und tut so, als gäbe es ein großes Geheimnis. Die Kunst besteht jetzt im möglichst spektakulären Verbergen von etwas, manchmal auch von nichts. Mit einem Wort: Ein wunderbares Mittel, um Erwachsene zu ärgern, jedenfalls aber von unerwünschtem Verständnis abzuhalten.

"Wir möchten gern auf unterhaltsame Weise die Idee unter die Leute bringen, dass virtuelle Währungen nicht einfach nur etwas sind, mit dem man spekulieren kann, sondern eine wundervolle Zukunftstechnologie", sagt die 18-jährige Rara Naruse, Frontgirl und Bitcoin-Symbol von Kasotsuka Shojo, in einem Online-Statement und tut so, als würde jedermann auch nur andeutungsweise verstehen, wie Bitcoin und Blockchain funktionieren. Bezahlen konnte man die Tickets für das erste Konzert von der Virtuelle-Währung-Mädchen selbstverständlich nur in einer Kryptowährung. Der erste Song der Band, "Der Mond und virtuelle Währungen und ich", scheint seine Inspiration aus den Warnungen der letzten Zeit zu einer möglicherweise notwendigen Regulierung der Technologie bezogen zu haben – eine gesungene Lektion in Online-Sicherheit, Datenschutz und Warnungen vor betrügerischen Kryptogeldgeschäften.

Seit ein paar Wochen sind Bitcoin in Japan offiziell als Währung anerkannt und Kryptowährungen nunmehr extrem beliebt. Allein deren Wertsteigerung soll das japanische Bruttonationalprodukt um 0,3 Prozent anwachsen lassen. Um das Vertrauen in das neue Wirtschaftsinstrument zu erhalten, hat die japanische Finanzaufsicht gerade die Kryptowährungs-Handelsplattform Coincheck in die Pflicht genommen. Nach dem Diebstahl von umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro Digitalgeld durch Hacker will Coincheck die betroffenen 260.000 Nutzer nun entschädigen – in japanischen Yen.

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