Anklage des US-Sonderermittlers: Im Internet weiß niemand, dass du Russe bist

Mehrere Russen sollen versucht haben, die US-Demokratie zu manipulieren. Das jedenfalls wirft ihnen der Sonderermittler Robert Mueller vor. Die Anklageschrift erklärt, wie sie sich die sozialen Netze zunutze machten.

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Anklage des US-Sonderermittlers: Im Internet weiß niemand, dass du Russe bist
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Inhaltsverzeichnis

Die am Freitag veröffentlichte Anklageschrift des US-Sonderermittlers Mueller ist ein Genickschlag für die US-Demokratie. Ausführlich wird darin beschrieben, wie russische Angreifer Grundpfeiler des von US-Diensten dominierten Internets ausnutzten, um US-Bürger zu manipulieren und deren politische Haltung zu beeinflussen.

Bei der Wahl zum US-Präsidenten, die Donald Trump Dank weniger zehntausend Stimmen in einigen überproportional wichtigen Bundesstaaten gewann, könnte die russische Kampagne durchaus das entscheidende Zünglein an der Waage gewesen sein. Aber selbst wenn nicht, zeigen die Details zu dem Angriff gleich mehrere Achillesfersen moderner Demokratien. Hätte Trump nicht gewonnen, wäre die Einmischung wahrscheinlich nie untersucht und die russischen Aktivitäten unbeleuchtet geblieben.

Wie Mueller und seine Kollegen ausführen, gingen die Angestellten der berüchtigten Internet Research Agency unter Anleitung eines engen Vertrauten von Wladimir Putin strategisch und gezielt vor. Sie legten sich vermeintliche US-Identitäten zu und erstellten damit Accounts bei Facebook, Twitter und Co. Denen verschafften sie durch ausgetüftelte und mit der Zeit immer mehr verfeinerte Beiträge jede Menge Follower, um für künftige Operationen über die nötige Reichweite zu verfügen. Dazu wurde jeder öffentliche Eintrag geprüft und auf die Zielgruppe abgestimmt, etwa in Bezug auf Rechtschreibung. Ein Account-Verantwortlicher wurde wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl kritisiert, weil es bei ihm zu wenig Kritik an Hillary Clinton gab, die müsse verstärkt werden. Insgesamt gab es 2016 die Marschrichtung, "Hillary und den Rest" zu kritisieren, nicht aber Trump und Bernie Sanders, denn "die unterstützen wir".

Eine eigene SEO-Abteilung prüfte, wie Inhalte am besten aufbereitetet werden müssten, um in der Internetsuche von Google erfolgreich zu sein. Außerdem wurde der Einfluss der Aktivitäten kontinuierlich überprüft und festgehalten, wie viele US-Bürger mit Einträgen erreicht wurden. Dazu gab es regelmäßige Zusammenfassungen mit den Zahlen zu Likes, Kommentaren und geteilten Beiträgen auf den eigenen Seiten. Eigene Spezialisten gaben immer wieder Ratschläge, wie die Beiträge verfasst werden mussten, um authentisch zu erscheinen. Dabei ging es auch um den Anteil von Text, Grafiken und Videos.

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Klare Aussage

Auch zu den Zielen dieser Kampagne findet die Anklageschrift klare Worte: Im Rahmen dieser "informationellen Kriegsführung gegen die USA" ging es darum, "Misstrauen gegenüber den Kandidaten und dem politischen System insgesamt" zu schüren. Ab Anfang 2016 sei dann die Unterstützung der Kampagne von Donald Trump und die Diskreditierung von Hillary Clinton Teil davon gewesen. Auch wenn die Angriffe schon vor Beginn von Trumps Wahlkampf begonnen hatten, war der Kandidat letztlich Nutznießer der Angriffe – wenn auch der Umfang weiter unklar bleibt. Die Russen jedenfalls wollten nicht nur durch die Unterstützung von Trump – und immer auch Bernie Sanders – Unfrieden und Zwietracht säen.

Beiden Kandidaten wird in der Anklageschrift nicht vorgeworfen, von der Schützenhilfe gewusst oder sie sogar gesucht zu haben. Trotz der nun auch öffentlich gemachten Vorwürfe haben aber weder Sanders noch Trump diese Unterstützung bislang kritisiert oder zurückgewiesen. Trump selbst erklärte, weil die Kampagne schon seit Jahren laufe, könnte die nicht das Ziel gehabt haben, ihn zum Präsidenten zu machen. Als hätten die russischen Angreifer ihn nicht als perfekte Gelegenheit erkannt, die USA zu spalten. Bei Sanders gerät nun seine teilweise recht einsame Weigerung in den Blickpunkt, Sanktionen gegen Russland zu unterstützen.

Die Angreifer jedenfalls beließen es der Anklageschrift zufolge nicht dabei, kontroverse Facebook-Seiten anzulegen. Unter Rückgriff auf VPN-Dienste, um in ihre wahre Herkunft zu verschleiern, kontaktierten sie "echte" US-Bürger und warben für den Gang auf die Straße. Sie organisierten Demonstration für – und teilweise gleichzeitig gegen – Trump, an denen sie selbst nicht teilnahmen. Eine Protestierende, die sich als eingesperrte Hillary Clinton verkleidete, bekam dafür genauso Geld überwiesen wie andere "für den Druck von Plakaten und ein Megaphon". Außerdem kauften sie Werbung auf Facebook und schalteten kontroverse Anzeigen, in denen beispielsweise für die Einführung der Scharia in den USA geworben wurde. Sogar Pressemitteilungen versendeten sie vor einer Demonstration in New York.

Für alles Finanzielle setzten sie nicht nur auf extra angelegte Accounts bei PayPal. Dank erbeuteter Sozialversicherungsnummern und Adressdaten eröffneten die Russen auch Konten bei US-Banken. So konnten sie nicht nur die Werbung auf Facebook, Instagram und anderen sozialen Netzen bezahlen, sondern auch das Equipment für Demonstrationen und sogar Demonstranten selbst – eine bekam Geld, um von Florida nach New York zu reisen und dort kostümiert gegen Hillary Clinton zu demonstrieren. Dank ihrer erfolgreichen Kampagnen konnten die Russen aber sogar selbst Geld einnehmen: Für 25 bis 50 US-Dollar platzierten andere Social-Media-Accounts Inhalte auf aus Russland gesteuerten Seiten wie "Being Patriotic", "Defend the 2nd" und "Blacktivist", schreibt Muellers Team.

Bei all diesen Aktionen, die das Team kompakt zusammenfasst, kam den russischen Angreifern nicht nur die Anonymität im Internet zugute, sondern auch die Gutgläubigkeit der angesprochenen Internetnutzer. Die teilten beispielsweise munter die Lügen über angeblich aufgedeckten Wahlbetrug der Demokraten in Iowa, North Carolina und Florida. Damit erhöhten sie die Reichweite der Accounts immens, in einem Fall etwa so stark, dass der aus Russland geführte Twitter-Account @TEN_GOP zuletzt zehn Mal so viele Follower hatte wie der echte Account der Republikanischen Partei (GOP) in Tennessee.

Die Anklageschrift legt also nicht nur offen, wie russische Angreifer sich die mutmaßliche Anonymität im Internet zunutze machten, um die US-Demokratie zu schwächen. Dabei ging es ihnen nicht nur darum, Wähler für den polarisierendsten Kandidaten zu sammeln und seine Gegnerin zu diffamieren. Traditionell eher den Demokraten zugeneigte gesellschaftliche Gruppen wurden angestachelt, die Wahl zu boykottieren oder für aussichtslose Drittkandidaten zu stimmen. Hilfreich war dabei nicht nur die schon vorher immense gesellschaftliche Spaltung der USA, sondern auch eine nicht auf die USA beschränkte Unfähigkeit oder Unwilligkeit vieler Internetnutzer, Nachrichten zu hinterfragen oder zu überprüfen, wenn sie dem eigenen Standpunkt entsprechen oder diesen radikalisieren. Eine der nun Angeklagten freute sich in einer E-Mail: "Ich habe all diese Bilder und Einträge erschaffen und die Amerikaner glauben, dass die von ihren Leuten geschrieben wurden." (mho)