MINT-Studium: Frauen weniger interessiert, wenn sie die Wahl haben
Mit besseren Chancen für Frauen sollte auch ihr Anteil bei naturwissenschaftlichen Fächern (MINT) steigen, ist eine verbreitete Ansicht. Doch das Gegenteil ist der Fall, fand eine Studie heraus.
Je geringer die Benachteiligung von Frauen in einem Land ausfällt, desto seltener schließen Frauen ein mathematisches, naturwissenschaftliches oder technisches Studium ab (MINT-Fächer). Dieses paradoxe Ergebnis hat eine Studie zutage gefördert, wie The Atlantic schreibt.
Befähigung und Berufsaussichten unterschiedlich wichtig
Die Psychologen Gijsbert Stoet von der Leeds Beckett University in England und David Geary von der University of Missouri in den USA haben etwa anhand des Global Gender Gap Index (der die Gleichstellung der Geschlechter in einer Zahl ausdrückt) und der Geschlechterverteilung bei den MINT-Abschlüssen untersucht, ob eine zunehmende Gleichstellung der Frauen in einem Land auch zu einem größeren Frauenanteil in den MINT-Fächern führt – was sich nicht bestätigt hat.
Die Zurückhaltung der Frauen liegt nicht an mangelnder Befähigung. Eine Auswertung von Testergebnissen unter 472 000 Heranwachsenden in 67 Ländern zeigte, dass in den meisten Ländern Mädchen mindestens so gut in Naturwissenschaften abschnitten wie Jungen und sie in fast allen Ländern die Befähigung zu Wissenschaft und Mathematik aufwiesen (unabhängig davon, ob sie eines dieser Fächer belegten).
Persönliche Vorliebe nicht immer entscheidend
Bei den individuellen Fähigkeiten hingegen liegt bei den meisten Mädchen Lesen noch vor Wissenschaft und Mathematik, bei den Jungen hingegen sind die beiden Letzteren vorn. Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern nimmt zu, je mehr Geschlechtergleichheit in einem Land herrscht. Die bessere Befähigung zum Lesen führen die Forscher auf die ausgeprägtere Neigung von Mädchen zurück, sich sprachlich auszudrücken und Bücher zu lesen.
Die Erklärung für das paradoxe Verhältnis von Geschlechtergleichstellung und dem Frauenanteil in den MINT-Fächern sehen die Forscher jedoch in ökonomischen Umständen: In Ländern mit geringeren Chancen für Frauen würden diese eher einen Beruf anstreben – auch gegen äußere Widrigkeiten und gegen ihre persönliche Neigung –, der ihnen relative Sicherheit und ein vergleichsweise hohes Einkommen bietet. In Ländern mit zunehmender Gleichstellung der Geschlechter seien Frauen allgemein besser abgesichert (beispielsweise durch den Sozialstaat) und würden eine mehr ihrer Neigung entsprechende Berufswahl treffen.
GGGI: Messwert der Gleichstellung in vier Bereichen
Der Global Gender Gap Index wird von der Schweizer Stiftung World Economic Forum (Weltwirtschaftsforum) ermittelt und die Entwicklung in einem jährlichen Bericht vorgestellt. Der Index misst die Gleichstellung von Frauen in einem Land in den Bereichen Wirtschaft (Erwerbssituation, Lohn, Führungspositionen), Bildung (Alphabetisierung, Schul- und Hochschulbesuch), Gesundheit (Lebenserwartung) und Politik (Parlamentarierinnen und Regierungsmitglieder). Ein Wert von 1 bedeutet Gleichstellung der Geschlechter. Deutschland lag 2017 auf Platz 12 mit einem Wert von 0,778. Platz 1 belegte Island mit 0,878. (tiw)