Auf dem Quantensprung

Die EU will eine Milliarde Euro in die Quantentechnologie stecken. Das Geld soll deren irre Phänomene nutzbar machen. Erste Projekte zeigen, was künftig möglich wird.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christian J. Meier
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Fotografieren im Dunkeln, Erdöllager mit Atomwolken aufspüren: Die Grenzen der Technik sollen bald durch bizarre Phänomene der Quantenphysik verschoben werden. Binnen zehn Jahren will ein Forschungsgroßprojekt der EU die Quantentechnik marktreif machen und so die Vorreiter in den USA und Fernost – Google, Intel, Microsoft oder die chinesische Regierung – einholen. Geplantes Budget: eine Milliarde Euro.

Wird die Aufholjagd gelingen? Die Europäer haben sich in der Quantentechnologie schon einmal die Butter vom Brot nehmen lassen. Deutsche Forscher legten die Grundlagen für die "erste Quantenrevolution" im 20. Jahrhundert, die Laser, Computerchips und Kernspintomografen brachte. Hierzulande etwa wurde das Funktionsprinzip des Lasers entdeckt, aber es war ein US-Wissenschaftler, der den Weg für ein marktfähiges Produkt ebnete.

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Gleiches gilt für den sogenannten Riesenmagneto-Widerstand. Forscher in Jülich und Paris entdeckten ihn, aber die US-Firma IBM verwendete ihn erstmals für Festplatten. Beide Anwendungen nutzen die Tatsache, dass sich die kleinsten, unteilbaren Pakete der Natur, sogenannte "Quanten", gezielt zu einem vergleichsweise geordneten Verhalten anregen lassen.

Nun jedoch wollen Physiker einen entscheidenden Schritt weiter gehen: Sie wollen das verrückte Herz der Quantenphysik technisch nutzbar machen. Phänomene wie Verschränkung oder die Überlagerung von mehreren Möglichkeiten in einem Zustand (Superposition). Dafür genügt die pauschale Kontrolle über ein Kollektiv vieler gleichartiger Quanten nicht mehr. Vielmehr erfordert es die Steuerung einzelner Quanten. Physiker erzeugen auf Knopfdruck einzelne Photonen und manipulieren sie, oder sie schalten einzelne Atome gezielt zwischen Superpositionszuständen hin und her. Das ist experimentell sehr anspruchsvoll: Quanten-Hightech sozusagen.

Und der Wettstreit darum wird härter als im 20. Jahrhundert. Denn mit China steht ein neuer, mächtiger Konkurrent auf der Matte. Wie weit die Forschung dort inzwischen vorangeschritten ist, zeigte jüngst der Quantensatellit "Micius": Mit ihm verteilten die Ingenieure verschränkte Photonenpaare über 1200 Kilometer hinweg, um ein Netz für sichere Quantenkommunikation aufzubauen. Grundlage ist die Tatsache, dass verschränkte Quanten selbst dann miteinander wechselwirken, wenn sie Tausende Kilometer voneinander entfernt sind. Dieses von Einstein als "spukhafte Fernwirkung" verspottete Phänomen soll zudem die Empfindlichkeit von Sensoren erhöhen – über Grenzen hinaus, die lange als unüberwindbar galten.

Bedarf gibt es. Bildsensoren etwa leiden am sogenannten "Schrotrauschen". Im Halbdunkeln gelingen nur pixelige Aufnahmen. Der Grund: Wenige Lichtteilchen strömen ungleichmäßig, wie Tropfen bei leichtem Regen. Die Verschränkung behebt die Ursache dieser Fluktuationen, denn sie nimmt den Photonen ihre statistische Unabhängigkeit voneinander. Sie ziehen nun gleichsam an einem Strang. Das nutzten israelische Physiker für ein "Quantenmikroskop", das mit nur 50 Photonen pro Pixel scharfe Bilder macht. Normalerweise braucht es Tausende Photonen pro Pixel. Derart sanfte Mikroskope schonen die Probe, weil sie wenig Wärme erzeugen. Mit noch weniger Photonen pro Pixel fotografierten Forscher um Peter Morris von der Universität Glasgow einen Wespenflügel. Kameras, die im Dunkeln gestochen scharfe Bilder machen, könnten zudem für die Sicherheitsindustrie interessant sein.

Der deutsche Konzern Bosch entwickelt einen auf Quantentechnik basierenden Magnetfeldsensor. Ein einzelnes in Diamant eingebettetes Stickstoffatom reagiert darin auf feinste magnetische Reize. Sein Team mache den Sensor derzeit "kleiner, robuster und empfindlicher", erklärt Thomas Strohm, Quantentechnik-Experte bei Bosch. Eine mögliche Anwendung sei die Messung der Hirnaktivität. "Geräte könnten sich so eines Tages allein durch unsere Gedanken steuern lassen." Strohm ist überzeugt: "Die Quantensensorik wird von allen Quantentechniken als erste in den breiten Markt eintreten."

Eine dritte Anwendung sind winzige Detektoren für einzelne Moleküle. Hier arbeiten Physiker sogar schon daran, den Quantenzauber auf Chipgröße zu bringen. Peter Michler von der Universität Stuttgart etwa ätzt dazu zwei schmale Lichtbahnen in einen Halbleiterchip. Durch sie schickt er einzelne Photonen. An einer Kreuzung verbinden sich diese zu Paaren und werden verschränkt. Das Photonenpaar geht nun laut Quantenphysik beide Wege gleichzeitig weiter. Doch nur einer der Wege hat eine Art Fenster, durch das ein Molekül auf das Paar wirken und es ein wenig bremsen kann.

Am Ende beider Wege werden die Photonen detektiert. Da die Lichtteilchen verschränkt sind, sprechen die Detektoren zumeist gleichzeitig an. Aus ihrem Takt lässt sich schließen, ob ein Molekül das Photonenpaar auf dem Weg mit Fenster aufgehalten hat oder nicht. "Der Chip kann so mit möglichst wenig Licht Moleküle aufspüren", erklärt Michler. Anders als bei Quantenversuchen im Labor üblich, benötigt der Detektor kein aufwendiges Vakuum. Das könnte helfen, die Technik auch Nicht-Physikern zu erschließen.

Die französische Firma µQuans hat ihr Produkt sogar schon auf den Markt gebracht. Sie stellt ein "Quantengravimeter" her, das feinste Unterschiede in der Schwerkraft misst, wie sie etwa von Rohstofflagern herrühren. In einem solchen Gerät wird eine Wolke aus Rubidium-Atomen frei fallen gelassen. Ein Laserblitz schubst die Wolke beim Fall an. Dadurch passiert etwas Merkwürdiges: Anstatt als Ganzes schneller zu fallen, nimmt die Wolke eine Superposition aus den zwei Zuständen "schnell fallen" und "langsam fallen" an.

Die beiden Teilzustände entfernen sich zunächst voneinander. Nun wird ein zweiter Laserblitz so eingestrahlt, dass der obere Teil der Wolke schneller fällt und den jetzt langsameren unteren Teil wieder einholt. Dabei überlagern sich die Teilzustände und löschen sich teilweise aus. In welchem Ausmaß dies geschieht, hängt davon ab, in welcher Fallhöhe der zweite Laserblitz die Teilzustände erwischt hat – und somit von der Schwerkraft. So lassen sich selbst feinste Unterschiede im Gravitationsfeld der Erde erkennen.

Atome als Messsonden zu nutzen hat mehrere Vorteile: Da die winzigen Teilchen den Gesetzen der Quantenphysik gehorchen, ist ihre Messempfindlichkeit extrem hoch. "Zudem gibt es keine beweglichen Teile", meint Ludger Timmen von der Leibniz Universität Hannover. Nachjustieren entfällt, weil keine Feder da ist, die ermüdet und das Ergebnis verfälscht.

Noch ist all diese Technik jedoch nur begrenzt praxistauglich. Der Schwerkraft-Detektor aus Frankreich etwa ist groß wie eine Mülltonne und wiegt 100 Kilogramm. Ein Team der Uni Hannover um Ernst Rasel arbeitet daran, die Technik auf Schuhschachtelformat einzudampfen. Dafür hat es bereits einen "Atomchip" entwickelt, der die Atomwolke erzeugt. Mit dem System will Timmen in Teilen des norddeutschen Küstengebiets den Grundwasserhaushalt überwachen – "ohne bohren zu müssen". Bis zum marktfähigen Produkt wird es allerdings noch rund acht Jahre dauern, schätzen die Forscher.

Die Milliardenförderung der EU soll den Schritt in die Praxis für die Quantentechnik beschleunigen. Im Expertengremium des Flaggschiffprojekts sitzen Vertreter von Bosch, Siemens, Ericsson und anderen europäischen Firmen. Aber nur Bosch scheint mit seinem Magnetfeldsensor Ernst machen zu wollen. Das Engagement vieler anderer Unternehmen bleibt bescheiden. Siemens etwa will "in absehbarer Zeit" keine Quantentechniken entwickeln, sagt Sprecher Florian Martini.

Der schwedische Telefonkonzern Ericsson wiederum könnte am Ausbau der von Physikern als abhörsicher gepriesenen Quantenkryptografie interessiert sein. Doch auf dem Forschungs-Blog rät Kryptografie-Experte John Mattsson von diesem Verfahren ab: Es sei zu teuer und nicht praktikabel. Wenn man sich da mal nicht irrt.

(bsc)