Meinung: Boom von Staats wegen

Wir brauchen mehr Innovationen? Dann befreien wir doch endlich die Marktwirtschaft von ihren Fesseln. So lautet derzeit das Fazit vieler Debatten zum Thema. Aber nicht einmal das Silicon Valley ist so puristisch. Vielleicht sollten wir umdenken.

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Von
  • Robert Thielicke
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Für Thielicke, Chefredakteur von Technology Review, ist die Zukunft etwas, das nicht allein dem Markt überlassen werden kann.

Um in Debatten über das Thema Innovation zu bestehen, muss man hierzulande eigentlich nur drei Sätze fallen lassen: 1. Deutsche Unternehmen haben die Digitalisierung noch immer nicht begriffen. Deshalb werden uns 2. wahlweise Google, Facebook aus den USA oder Tencent, Alibaba aus China bald zu einer unbedeutenden Randerscheinung auf dem Weltmarkt machen. Um das zu ändern, brauchen wir 3. weniger bürokratische Fesseln und mehr freie Marktwirtschaft, um all jene Ideen zu versilbern, die in den Köpfen schlummern.

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Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft beispielsweise schreibt in einem Positionspapier: "Die wichtigste Voraussetzung für Kreativität bleibt jedoch die Freiheit. Sie belebt das unternehmerische Denken und ist Antrieb für Entdeckungsprozesse, die sich weder staatlich verordnen noch lenken lassen." Das könnte stimmen – würde nicht ein mindestens ebenso wichtiger Faktor unterschlagen: das Geld. Gute Ideen brauchen Mittel, um sie zu verwirklichen. Regierungen können und sollen sie liefern. Gute Staaten machen Märkte, das gilt selbst für Kalifornien.

Wer im Silicon Valley nach den Gesetzmäßigkeiten der Zukunft sucht, sollte nicht nur auf Google oder Facebook schauen. Er sollte die ganze Geschichte betrachten. Sie beginnt mit dem Kalten Krieg. Das Tal profitierte in dieser Zeit von massiver Förderung des Pentagons, weil das Militär dringend intelligente Steuerungselektronik für seine Atomraketen benötigte. Insbesondere in den 50er- und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts floss deshalb viel Geld in die Entwicklung elektronischer Schaltungen.

Die staatlichen Dollars ebneten den Weg für die Entwicklung der Computer und damit nahezu jeder digitalen Technologie, die heute so massiv die Welt verändert. Auch das Arpanet, der Vorläufer des heutigen Internets, geht auf die Initiative des Pentagons zurück. "Das Verteidigungsministerium ist eines der größten Quellen für Innovation", sagt etwa Paul Bracken von der Yale School of Management, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. "Es wird daher auch als ,Mutter aller Wagniskapitalgeber' bezeichnet."

Mit dem Ende des Kalten Krieges hörte das Engagement keineswegs auf. Die Darpa, die Forschungsagentur des Pentagons, initiierte die Grand Challenge, um autonome Autos auf die Straße zu bringen. Das Preisgeld betrug insgesamt 5,5 Millionen US-Dollar, teilnehmen konnten Mannschaften weltweit – wenn mindestens ein US-Bürger Mitglied des Teams war. Die Darpa war auch finanziell an der Entwicklung des Sprachassistenten Siri beteiligt. Er ist das Ergebnis eines Projekts von SRI International, einer nicht-kommerziellen Forschungseinrichtung. Gefördert wird es neben der Darpa von weiteren Institutionen des Militärs und fast jedem US-Ministerium. "Es war ein extrem ambitioniertes Projekt, das in einem kommerziellen Umfeld nie möglich gewesen wäre", kommentiert Adam Cheyer, einer der Mitgründer von Siri, das Apple 2010 gekauft hat.

1999 stieg auch die CIA in die Technologieförderung ein. Der Auslandsgeheimdienst gründete In-Q-Tel, um Geld an Firmen zu verteilen, die dem Geheimdienst bei der Auswertung seiner gigantischen Datenmengen helfen könnten. Die Finanzierung führte zu spürbaren Fortschritten bei Big-Data-Technologien – und hat damit seinen Anteil an den heutigen Geschäftsmodellen von Facebook oder Google.

Was die USA vormachen, treibt China auf die Spitze. Seit Langem bekannt ist die Abschottung ihres Binnenmarkts und der Technologietransfer über Joint Ventures mit westlichen Firmen. Nun investiert das Land immense staatliche Mittel in die Entwicklung eigener Technologien, die es als entscheidend für die Zukunft erachtet. Darunter fallen Bereiche wie Industrie 4.0 oder künstliche Intelligenz. So haben inzwischen 40 Städte Industrieparks für Robotik ausgerufen. Das Land will zudem zum Weltmarktführer bei der Elektromobilität werden und baut unter anderem seine Kapazitäten für die Batterieproduktion aus. Gesetzliche Regeln schaffen derweil den Markt dazu.

Und Deutschland? Pocht auf die reine marktwirtschaftliche Lehre, damit sich Ideen durchsetzen. Das Land steckt zwar viel Geld in die Wissenschaft. Bei der Kommerzialisierung jedoch hält es sich zurück. Hierzulande herrscht eine mehr oder weniger klare Trennung: Der Staat bezahlt die Grundlagenforschung, Unternehmen kümmern sich um den Weg zur Marktreife. Der Grund für diese Trennung ist der Zweifel, ob der Staat wirklich weiß, was am Markt funktioniert. In Teilen ist er natürlich berechtigt.

Das Problem ist nur: Geht es um die Zukunft, versagt der Markt immer wieder. Haben Unternehmen die Wahl, verdienen sie lieber heute Geld als morgen. "Wer Ressourcen nach der neoklassischen Wirtschaftslehre effizient verwendet, darf nur dort investieren, wo er mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auch Gewinne erzielt", sagt Bill Janeway, ehemaliger Wagniskapitalgeber und derzeit Gastprofessor an der Universität Princeton. "Die Investitionen mit der größten Unsicherheit, die wahrscheinlich auch die innovativsten sind, werden Sie dagegen ignorieren."

Um es deutlich zu sagen: Hier geht es nicht um eine technologische Planwirtschaft. Hier geht es um die Fähigkeit von Ländern, große technologische Umbrüche mitzugestalten und am Ende auch an ihnen mitzuverdienen. Wenn Elektromobilität die Zukunft ist – warum dann nicht flächendeckend emissionsfreie Nahverkehrsbusse anschaffen, damit die Massenproduktion anläuft und die Batterien billiger werden? Wenn auf Gebäude ein großer Teil der Kohlendioxid-Emissionen zurückgeht, warum dann nicht alle öffentlichen Gebäude als Plusenergiehaus errichten? Wenn die Digitalisierung so wichtig ist, warum dann nicht mit der digitalen Verwaltung voranschreiten und das Glasfasernetz mit staatlicher Hilfe ausbauen?

Regierungen dürfen den Markt nicht immer nur nett bitten, sie müssen ihn bisweilen auch nachdrücklich schaffen. Nichts anderes erzählt die Geschichte des Silicon Valleys und der Aufschwung Chinas.

Natürlich birgt dieser Ansatz Risiken. Je mehr staatliches Geld im Spiel ist, desto größer die Versuchung, es zu verschwenden. Auch hier ist das chinesische Modell ein Vorbild – und zwar ein schlechtes. In der Solarbranche sind bereits die ersten Modulhersteller insolvent, weil Überkapazitäten den Markt kaputt gemacht haben. Ähnliches dürfte sich in der Batteriebranche und der Robotik wiederholen. Umgekehrt aber hat Deutschland schon einmal gezeigt, dass es mit dieser Form der Innovationsförderung einen globalen Markt öffnen kann. Ohne das EEG gäbe es keine Energiewende, und hätte das Land im Wettbewerb mit China weniger naiv marktwirtschaftlich agiert, kämen ziemlich sicher auch weiterhin Solarmodule aus Deutschland.

Wir sollten daher etwas weniger puristisch sein und uns die USA nicht nur dann als Vorbild nehmen, wenn sie marktwirtschaftlich agieren. Sondern auch dann, wenn sie es nicht tun. (rot)