Post aus Japan: Fukushima, Jahr 7

Es ist ruhig geworden um die japanische Atomruine. Die Aufräumarbeiten schreiten voran. Sogar Fisch aus der Präfektur wird wieder exportiert.

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Die Fischer von Fukushima schöpfen wieder Hoffnung. Fast auf den Tag genau sieben Jahre nach dem Atomunglück im Atomkraftwerk Fukushima 1 wurde erstmals wieder Fisch aus der Präfektur exportiert. Thailand war das Ziel für die 110 Kilogramm Schollen, die zwölf japanische Restaurants in Bangkok anbieten wollten. Andere südostasiatische Länder sollen folgen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Die Fischer beschwören, dass der Fisch nicht radioaktiv strahle. Dabei berufen sie sich auf die seit Jahren erhobenen Messdaten. Seit 2015 wurden bei keinem gefangenen Fisch überhöhte Strahlenwerte gemessen, so die offizielle Botschaft. Die Fischereikooperativen halbierten daher auch das selbstauferlegte Nichtfanggebiet auf zehn Kilometer um die am 11. März 2011 von einem Tsunami, drei Kernschmelzen sowie Wasserstoffexplosionen zerstörten Reaktoren.

Auch an Land rückt der Alltag wieder näher an die Meiler heran – theoretisch wenigstens. Die Präfekturregierung kündigte an, 2020 die flächendeckenden Checks von Reis aus der Region durch Stichproben zu ersetzen, falls die Werte weiterhin unter dem Grenzwert von 100 Becquerel pro Kilogramm liegen. Seit 2015 wurde kein stärker strahlender Reis gefunden.

Außerdem werden immer mehr einst evakuierte Siedlungen zur Wiederbesiedlung freigegeben. Seit vorigem Jahr sind nur noch zwei der elf geräumten Gemeinden gesperrt. Im Rest des Gebiets ist die Strahlung laut der Regierung wieder niedrig genug zum Leben. Das Problem nur ist, dass die meisten Evakuierten sowohl den Ruf der Politik wie ihrer einstigen Heimat geflissentlich überhören.

Bisher sind nur ein Fünftel der Häuser in den freigegebenen Regionen wieder bewohnt – und die Bewohner sind meist Senioren. Die Schulen haben in der Regel nur einen Bruchteil der Kinder, die vor der Atomkatastrophe in der Region lebten.

Ein Grund für den geringen Zuzug ist, dass viele Familien an ihren neuen Wohnorten bereits ein neues Leben aufgebaut haben. Ein zweiter ist das Misstrauen in die Strahlenmessungen der Regierung. Greenpeace hat voriges Jahr in den gesperrten und freigegebenen Teilen der Gemeinden Namie und Iitate nachgemessen. Der Befund: Selbst in einigen freigegebenen Gebieten übersteige die Strahlung Werte, "die strikte Kontrollen erfordern würden, wenn es sich um Atomanlagen handeln würde."

In einigen Gegenden der untersuchten Orte würde es noch Jahrzehnte oder bis ins nächste Jahrhundert dauern, bis die Strahlendosis auf den von der deutschen Regierung empfohlen Schwellenwert von einem Millisievert pro Jahr gesunken sei, warnen die Anti-Atomkraftaktivisten. Die japanische Regierung hält auch noch das 20-fache für zumutbar, kritisiert Greenpeace.

Doch es gibt sichtbare Fortschritte im Umgang mit der Katastrophe, gerade im Atomkraftwerk. Früher hätten die Arbeiter unter kriegsähnlichen Zuständen arbeiten müssen, sagt Naohiro Masuda, der Chefdekommissionierer des Stromkonzerns Tepco. "Nach sieben Jahren können wir endlich sagen, dass wir unter normaleren Bedingungen arbeiten." Zwar müssen noch 45 Prozent der Arbeiter verschiedene Stufen von Schutzanzügen tragen. Doch auf 95 Prozent des Geländes können die Arbeiter wieder in normaler Arbeitskleidung ihrem Tagwerk nachgehen.

Auch die Gebäude sind weitgehend abgedeckt. Die Mauer aus gefrorener Erde, die die vier Meiler umschließt, hält inzwischen offenbar erfolgreich das Grundwasser ab. Die Menge von verstrahltem Wasser, das in den inzwischen Tausend jeweils 1000 Tonnen fassenden Tanks gelagert wird, ist von über 400 Tonnen auf unter 150 Tonnen täglich gefallen. Die Reaktorruinen scheinen unter Kontrolle zu sein, wenigstens was die Temperaturen in den zerstörten Druckbehältern angeht. Im Spätsommer oder Frühherbst will Tepco im Meiler 3 sogar beginnen, geschmolzenen Kernbrennstoff zu bergen.

Doch auch Tepcos atomarer Rückbauer Masuda sieht durchaus noch Risiken. Radioaktivität könnte wieder entweichen, die Verarbeitung von Kernbrennstoffen scheitern. Die Retter gehen daher weiter Schritt für Schritt vor. Schließlich betreten sie täglich Neuland. Bisher hat noch kein Land versucht, eine Kernschmelze vollständig abzutragen, geschweige denn drei. Die Jahrestage für die Katastrophen-Trinität aus Erdbeben, Tsunami und Atomunfall werden Japan noch Jahrzehnte begleiten.

Die Folgen des Tsunami, der auch zur AKW-Katastrophe in Fukushima führte (9 Bilder)

Zerstörte Ortschaft

Luftaufnahme aus Sukuiso, eine Woche nach dem Tsunami (Bild: NOAA/NGDC, Dylan McCord, U.S. Navy)

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