Kryptographie: Sichere Fernbeziehung

Via Satellit lassen sich Verschlüsselungscodes aus Lichtteilchen Tausende Kilometer weit durch den Orbit schicken. Das soll eine abhörsichere Kommunikation rund um den Erdball ermöglichen.

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Von
  • Jan Oliver Löfken
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Mit dem Beginn des World Wide Web startete auch der Wettlauf um die Sicherheit des Datenaustauschs. Geheimdienste, Regierungen und Industrie verschlüsseln ihre Botschaften mit immer komplexeren Algorithmen, Hacker wollen sie knacken. Dank stetig steigender Rechenleistung der Computer könnten Letztere den Wettlauf sogar gewinnen.

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Es sei denn, eine entscheidende Gegenmaßnahme wird rechtzeitig fertig: die Quantenkryptografie. Sie soll diesem Wettlauf ein Ende setzen. Die Idee ist, Verschlüsselungscodes Bit für Bit über polarisierte Lichtteilchen zu übertragen. Sind die Photonen zusätzlich miteinander verschränkt, wäre jeder Lauschangriff eines Hackers vergebens. Denn jedes Abhören zerstört sofort die empfindliche quantenmechanische Kopplung der Photonen und damit auch den kryptografischen Schlüssel. Die Gesetze der Physik machen ihn unknackbar. Große Datenmengen lassen sich zwar nicht übertragen, aber für einen wenige Bits umfassenden Quantenschlüssel reicht es. Er kann dann dazu dienen, die über klassische Kanäle transportierte und um ein Vielfaches größere Datenmenge zu entschlüsseln.

Mit diesem Versprechen sichern sich Quantenphysiker weltweit seit Jahren viel Aufmerksamkeit und Forschungsmittel. Nun steht es kurz vor seiner Einlösung. Denn jüngste Experimente in China und Japan belegen, dass sich diese Schlüssel über Tausende Kilometer hinweg austauschen lassen. Die Physiker legten damit die Basis für ein globales Quantennetzwerk, das beliebig weit voneinander entfernte Orte auf der Erde über quantenkryptografische Kanäle miteinander verknüpft. "Der Austausch von Quantenschlüsseln ist ein radikal neuer Weg", sagt Jian-Wei Pan von der University of Science and Technology of China in Hefei. Seiner Arbeitsgruppe gelang es, über den Satelliten "Micius" Quantenschlüssel an zwei Bodenstationen zu übertragen, die 1203 Kilometer auseinanderliegen.

Mit dem Umweg über den Orbit lösten die Forscher ein Kernproblem bei der Übermittlung von Quantenschlüsseln: die mangelnde Reichweite. Denn in Luft oder einem anderen Transportmedium werden die informationstragenden Photonen leicht abgelenkt. Bei 144 Kilometern war für eine Gruppe von Wiener Quantenphysikern um Anton Zeilinger daher Schluss, als sie vor zehn Jahren entsprechende Lichtsignale in freier Atmosphäre auf die Reise schickten.

Sie überbrückten damit zwar die Distanz zwischen den Kanareninseln La Palma und Teneriffa. Doch für die Verbindung beliebiger Orte auf der Erde war das zu wenig. Auch in Glasfaserkabeln stößt die Übertragung von Lichtteilchen wegen allzu großer Streuverluste nach wenigen Hundert Kilometern an ihre physikalischen Grenzen, und Quantenrepeater zur Verstärkung eines Signals harren noch ihrer Entwicklung. Im luftleeren Weltraum überwinden die Teilchen dagegen deutlich weitere Strecken ungestört.

So stand der Schritt in den Orbit, die Übermittlung von verschränkten Photonenpaaren via Satellit, schon seit Jahren auf der Wunschliste der Arbeitsgruppen um Zeilinger und Jian-Wei Pan. Letzterem gelang nun der Coup, mit dem er seinem ehemaligen Doktorvater Zeilinger weit vorauseilt. Der 631 Kilogramm schwere Satellit "Micius" startete Mitte August 2016. Mit an Bord waren ein Laser als Lichtquelle sowie Kristalle, um die verschränkten Photonenpaare herzustellen. Der Quantenschlüssel war in deren verschiedenen Polarisationszuständen codiert. Damit das System den Erschütterungen beim Raketenstart standhielt, musste es stabil aufgebaut und sorgfältig gedämpft werden – eine enorme technische Herausforderung.

Im Orbit angelangt, schickte "Micius" etwa sechs Millionen Photonenpaare pro Sekunde, in der Hoffnung, dass zumindest einige die beiden in Berglandschaften liegenden Bodenstationen in Delingha and Lijiang erreichten. Teleskope mit Durchmessern von knapp zwei Metern fingen die Lichtsignale auf. Dabei konnten die Forscher nur kurze nächtliche Zeitfenster von knapp fünf Minuten nutzen, denn nur dann hatte der Satellit Sichtkontakt zu beiden Stationen. Streuverluste beim Eintritt in die Atmosphäre schwächten das Lichtsignal zwar stark ab.

Dennoch erzielten Pan und Kollegen nach Analyse des Signals und Bestätigung des korrekten Quantenschlüssels eine Datenrate von einem Bit pro Sekunde. "In den kommenden fünf Jahren könnten wir die Datenrate um den Faktor 1000 steigern", glaubt Pan – etwa mit Photonen verschiedener Wellenlängen. Für die Übermittlung von Quantenschlüsseln wäre das ausreichend.

Allerdings ist es aufwendig, ein globales Quantennetzwerk mit dem Micius-System zu errichten. "Um Schlüssel fast in Echtzeit an jeden Ort der Welt schicken zu können, wären sehr viele dieser Satelliten nötig", sagt Alberto Carrasco-Casado vom National Institute of Information and Communications Technology NICT in Tokio. Ein Schwarm von Hunderten Micius-Klonen, jeder über eine halbe Tonne schwer, wäre schlicht viel zu teuer.

Ein Start allein verschlingt schnell 100 Millionen Euro. Carrasco-Casado und sein Team haben daher eine Miniaturlösung entwickelt: Ihre Quantensatelliten wiegen nur 50 Kilogramm und schweben in 740 Kilometern Höhe. Vergangenen Sommer gelang es den Forschern, mit ihnen eine stabile Laserverbindung zu einer Bodenstation in Koganei nahe Tokio herzustellen. "Socrates", wie die japanischen Forscher ihren Satelliten genannt haben, schickte Photonen entsprechend einer Datenrate von zehn Millionen Bits gen Erde. Immerhin ein Zehntel davon ließ sich trotz Abschwächung in der Atmosphäre am Boden nachweisen.

Der zentrale Unterschied zum chinesischen Versuch: Die Photonen konnten zwar über ihre Polarisierung Daten übermitteln, doch paarweise miteinander verschränkt waren die Lichtteilchen nicht. Das japanische Experiment bewies aber zumindest, dass sehr kleine Satelliten Lichtquellen tragen können, die prinzipiell auch zur Verteilung verschränkter Photonen verwendbar sind. "Ein für die Quantenkommunikation geeigneter Satellit könnte sogar nur sechs Kilogramm wiegen", ist Carrasco-Casado überzeugt. Für den Aufbau eines globalen Quantennetzwerks wäre das von entscheidender Bedeutung. Denn die Transportkosten für einen so leichten Mikrosatelliten liegen nur noch zwischen einer und zwei Millionen Euro.

Aus dem gleichen Grund arbeitet auch Jian-Wei Pan an leichteren Satelliten. Für ein erdumspannendes System braucht es aus seiner Sicht allerdings noch mehr: neben etwa 100 Bodenstationen und zehn Satelliten in niedrigen Bahnen zusätzlich noch "drei in hohen Umlaufbahnen". Diese Quantensatelliten würden in geostationären Bahnen in 36000 Kilometern Höhe ihre Runden ziehen und eine entsprechend große Fläche abdecken. Dazu sind jedoch sehr intensive Lichtquellen nötig, damit die Photonenpaare auch die Erdoberfläche erreichen. Technisch wäre dies ein extrem ehrgeiziges Projekt. Doch "Simulationen zeigen, dass es prinzipiell funktionieren müsste", sagt Thomas Scheidl, Quantenforscher aus dem Wiener Zeilinger-Team. Zunächst ist jedoch der interkontinentale Austausch von Quantenschlüsseln zwischen China und Europa geplant. Verläuft alles nach Wunsch der Experten, hat das Warten auf ein globales Quantennetzwerk schon recht bald ein Ende. "Ich würde schätzen, dass es in etwa zehn Jahren so weit ist", sagt Pan.

(bsc)