Propaganda als Musik-Clip: Die Video-Botschaften von Dschihadisten

Radikale Islamisten werben mit Videos und suchen Nachwuchs im Netz. Die Gefahr dafür ist nach Ansicht des BKA gestiegen. Mainzer Forscher haben herausgefunden: Den Machern der Videos geht es nicht nur um eine Botschaft, sondern auch um Unterhaltung.

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(Bild: dpa, Friso Gentsch/Illustration)

Lesezeit: 4 Min.
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  • dpa
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Ein Dschihad-Kämpfer mit Waffe steht heroisch auf einem Felsen, die Kamera fährt von hinten auf ihn zu und an ihm vorbei. Ein Bild wie aus einem Kinofilm. Es ist Teil eines Videos von Dschihadisten im Internet, von denen es zahlreiche ähnlicher Art gibt. Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzt, dass die Propaganda dschihadistischer Organisationen ein wichtiger Faktor für die Radikalisierung und die Gewinnung neuer Anhänger ist.

"Die Propaganda ist professioneller geworden und wird mittlerweile zielgruppengerecht produziert", erklärt eine BKA-Sprecherin in Wiesbaden. Videos des Islamischen Staates (IS) etwa hätten ein qualitativ hohes Niveau erreicht.

Der Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam hält die Rolle des Internets für zentral bei der Radikalisierung. "Das Internet als Kommunikationsplattform für Terrororganisationen kann man gar nicht hoch genug einschätzen, denn dadurch bekommt eine Terrororganisation die Möglichkeit, Propaganda ungefiltert weltweit letztendlich zu produzieren", sagt der Experte, der für das Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz arbeitet. Ein vermeintlich intellektueller Dschihad-Interessent lese Analysen im Netz, während Jugendliche sich kurze Videos anschauten.

"So eine Terrororganisation funktioniert nur dann, wenn sie sich ihren Zielgruppen anpasst", sagt Abou-Taam. "Die Botschaft ist nicht in erster Linie, dass man ideologisch begründet, sondern die Tat an sich spricht für sich, die Bilder sprechen für sich. Du darfst Leute köpfen und wirst sogar gefeiert dafür." Wie das BKA glaubt er aber, dass das Internet allein nicht reicht, um zu radikalisieren. Dazu müssten auch reale Kontakte kommen.

An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz geht eine Forschergruppe seit einem halben Jahr dem "Dschihadismus im Internet" in Filmen und Bildern auf den Grund. "Dschihadisten wissen auf hochprofessionelle Weise mit Bildermedien umzugehen und ein Publikum anzusprechen", sagt Islamforscher und Gruppenleiter Christoph Günther. "Es wird mit Botschaften gespielt, die beim Zuschauer ankommen, aber die von ihnen nicht bewusst reflektiert werden." Bilder sind aus seiner Sicht geeignet, sprachliche Grenzen zu überschreiten.

Die Forscher schauen auf den Stil, auf Botschaften, Zitate und Gestaltungsmittel. So wird zum Beispiel ein Konvertit in einem Video zunächst nur in Teilen gezeigt. Sobald er die neue Religion gefunden hat, ist er als ganzer Mensch zu sehen. Oder: Deutschland wird in dunklen Farbtönen gezeigt mit Menschen, die einsam wirken, Syrien dagegen hell und freundlich mit Menschen, die lächeln.

Den Machern der Videos geht es nicht nur um Botschaften: "Man versucht, Videos wie eine Erlebniswelt zu gestalten", sagt der zur Forschungsgruppe gehörende Filmwissenschaftler Bernd Zywietz. "Es gibt Videos, die wie Musikvideos geschnitten sind. Bei ihnen geht es nicht darum, eine Botschaft zu verbreiten, sondern zu unterhalten. Sie sind zugeschnitten auf eine Webkultur des Teilens."

Die Zeit der Auftritte bei YouTube, Facebook und Twitter ist nach seiner Ansicht allerdings allmählich vorbei. "Es geht hin zu geschlossenen Gruppen und Messenger-Diensten."

Die Wissenschaftler wollen über soziale Netzwerke herausfinden, wer sich mit dem Material befasst, wer es teilt und es kommentiert. Sie versuchen, Kontakt aufzubauen – auch zu denen, die die Ideologie teilen. Aber: "Das ist uns bisher nicht besonders gut gelungen, weil diese Menschen sehr reserviert sind gegenüber Forschern", sagt Günther.

Islamwissenschaftlerin Alexandra Dick berichtet, dass in Videos inzwischen auch fremdes Material – zum Beispiel von deutschen Fernsehsendern – verwendet, verfälscht und angereichert wird. Und: "Wenn ein Inhalt gelöscht wird, taucht er irgendwo neu wieder auf", sagt sie. "Das ist ein Katz- und Maus-Spiel." (tiw)