20 Jahre Telekommunikations-Liberalisierung: "Wir reden über Daseinsvorsorge"

Verbraucherschützer Klaus Müller mahnte die Telekom-Herausforderer beim 20. Geburtstag der Marktliberalisierung, dass "der Hunger auf Neues dabei bleiben muss". Die Industrie will aus "der verengten Debatte über die digitale Infrastruktur herauskommen".

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 35 Kommentare lesen
Datenkabel
Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Den Wettbewerbern der Deutschen Telekom wollte Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) auch bei der Feier des Doppelgeburtstags von 20 Jahren Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts und des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) am Mittwoch in Berlin nicht nach dem Mund reden. Er habe die Mitglieder des Zusammenschlusses der Herausforderer des Altmonopolisten "immer kennengelernt als die jungen Wilden", erklärte der Beobachter. Die müssten nun aber darauf aufpassen, dass sie nicht "zu satt" würden.

Wann denn nun der Geburtstsg der Marktliberalisierung im Telekommunikationsmarkt zu feiern ist, dürfte wie so viele Geburtstagsfeierlichkeiten für technische Entwicklungen im Auge des Betrachters liegen. 1984 hatte eine deutsche Regierungskommission damit begonnen, die Aufhebung der Monopole von Post und Telekommunikation vorzubereiten. Und im Juni 1987 hatte die EU-Kommission die Grundzüge eines neuen ordnungspolitischen Rahmens für die Telekommunikation in Europa abgesteckt. Die Mitteilung vom 30. Juni 1987 an die Mitgliedstaaten leitete den Abschied von der Welt der Telefon-Monopole ein. Schließlich, nach langen Vordiskussionen und Vorarbeiten, hatte die EU durch die 31996L0019:Richtlinie 96/19/EG29 alle Mitgliedstaaten verpflichtet, sämtliche Telekommunikationsdienste zum 1. Januar 1998 zu liberalisieren, also die staatlichen Monopole in diesem Bereich restlos zu beseitigen.

Vor 20 Jahren war also die endgültige Abschaffung des staatlichen Telekommunikations-Monopols ein nicht mehr zu ignorierender Fakt – und natürlich die damit einhergehende Regulierung. "Regulierung ist unbequem", betonte Müller. "Sie kommt immer, wenn der Wettbewerb allein nicht ausreicht." Der "Hunger auf Neues" müsse bei den Telekom-Konkurrenten dabei bleiben, wenn es etwa darum gehe, den offenen Zugang zu Breitbandnetzen (Open Access) zum Erfolgsmodell zu machen oder die von vielen VATM-Mitgliedern nicht sonderlich geliebte Netzneutralität abzusichern. Beim nun von der großen Koalition beschlossenen Glasfaserausbau "reden wir über Daseinsvorsorge", gab der Verbraucherschützer den Telekommunikationsanbietern mit auf den Weg. Diese müssten daher "mehr Verantwortung übernehmen" und sich etwa die oft realitätsfernen "bis zu"-Versprechen beim Bandbreitenverkauf abgewöhnen.

Das "Zauberwort" Daseinsvorsorge "haben wir hinter uns gelassen", meinte dagegen Iris Plöger aus der Geschäftsführung des Bundesverbands deutsche Industrie (BDI). Der von Schwarz-Rot geplante Rechtsanspruch auf schnelles Internet bis 2025 höre sich zwar verbraucherfreundlich an, "führt uns aber in die falsche Richtung". Wichtiger sei es, die richtigen Investitionsanreize zu setzen. Zugleich plädierte Plöger dafür, "aus der verengten Debatte über digitale Infrastruktur herauszukommen" und über innovative Dienste zu reden. Der Mittelstand und die Industrie fragten Glasfaser nämlich oft noch gar nicht nach, weil sie dafür bislang kaum konkrete Anwendungen hätten.

Laut VATM-Präsident Martin Witt bleibt der vorgesehene flächendeckende Breitbandausbau aber für die Verbandsmitglieder vorerst die große Herausforderung. Um diese zu stemmen, müsse die Industrie ihre Kräfte bündeln, die Politik die Ausbaukosten "soweit wie möglich reduzieren". Die "unbeschreibliche, einzigartige Erfolgsgeschichte" der Liberalisierung, die vor fünf Jahren auch schon Ex-Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling hervorgehoben hatte, müsse mit unveränderter Wettbewerbsintensität fortgeschrieben werden. Eine klare Absage erteilte der Chef von 1&1 Telecommunication daher den "von der Telekom geforderten bedingungslosen Regulierungsferien", die diese gerade über Brüssel durchzusetzen versuche.

"Wir brauchen nicht zweimal, dreimal Glasfaserinfrastruktur", warb Witt für einen gemeinschaftlichen Netzausbau mit Open Access als Grundprinzip und der Bundesnetzagentur als Schiedsrichter. Es sei sinnvoller, "dass sich Unternehmen zusammentun" und ihre Leitungen für "andere Teilnehmer öffnen". Vodafone-Chef Hannes Ametsreiter machte die Telekom hier aber bereits als Spielverderber aus: An allen Orten, wo der Mobilfunk- und Kabelnetzbetreiber Glasfaser ausrolle, tue es ihm eine andere große Firma im Markt gleich, beschwerte sich der Österreicher. Das mache keinen Sinn und sei die reine Verschwendung.

Ferner missfällt der Branche, dass die Bundesregierung die Frequenzen für den kommenden Mobilfunkstandard 5G erneut versteigern und mit Ausbauverpflichtungen versehen will. Ametsreiter und sein Kollege von Telefónica Deutschland, Markus Haas, plädierten stattdessen für das "französische Modell" und damit für einen runden Tisch, um gemeinsam mit der Politik zu klären, wieviel Versorgung mit welchen Mitteln gewünscht sei. "Sonst kommt ein Netz zweiter Klasse", warnte Ametsreiter. Geht es nach Haas, sollten Bund und Länder einen Deal machen mit der Industrie nach dem Motto: "Ihr baut aus, dafür kriegt ihr die Frequenzen."

Der frühere Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, machte es im Rückblick als Nachteil aus, "dass wir das Kabelnetz zu spät in den Wettbewerb gebracht haben". Damit habe die Telekom lange den Verkauf dieser wichtigen Infrastruktur verhindern können. Die langjährige saarländische Ministerpräsidentin Annegret erinnerte daran, dass ein Auslandsgespräch früher "neun Mark" gekostet habe. Die Liberalisierung sei ein "echter Kulturkampf" gewesen, habe sich aber gelohnt. Nun sei die Digitalisierung "genauso wichtig wie vor 100 Jahren das Thema Eisenbahn".

Als fraglich bezeichnete es die neue CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer , ob die von der Koalition vorgesehenen Fördermittel für den Glasfaserausbau in Höhe von zehn bis zwölf Milliarden Euro überhaupt benötigt werden. Im Saarland seien über eine Studie die weißen Flächen ermittelt und danach entsprechende Aufträge ausgeschrieben worden, an denen sich neben der Telekom viele regionale Anbieter beteiligt hätten. "Danach stand fest: Es kann flächendeckend marktgetrieben ausgebaut werden", berichtete Kramp-Karrenbauer. Das ganze Geld vom Bund sei so gar nicht benötigt worden.

Die Digitalexperten der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD, Thomas Jarzombek und Jens Zimmermann, machten ebenfalls deutlich, dass der Ausbau nicht allein eine Frage des öffentlichen Geldes sei. Von den in der letzten Legislaturperiode ausgeschriebenen vier Milliarden Euro sei nur ein Bruchteil abgeflossen. Jarzombek gab daher das Ziel aus, dass die Politik noch vor der Sommerpause "mit einer neuen Fördersystematik rauskommen" sollte, die weniger kompliziert sei.

Die "härteste Nuss" in den vergangenen zwei Jahrzehnten war es laut dem ersten VATM-Präsidenten Hans-Peter Kohlhammer, überhaupt an die Endkunden heranzukommen. Der Platzhirsch habe sich "mit Zähnen und Klauen verteidigt", erst sein Netz, dann die Teilnehmeranschlussleitung. Vorangekommen seien die Wettbewerber nur über die Regulierungsbehörde.

Zunächst seien Datendienstleistungen aus dem Monopol herausgekommen, ergänzte der erste VATM-Geschäftsführer, Gerd Eickers. Herausforderer hätten dann "ein Kilo für'n Groschen gekauft", während parallel Preise von "100.000 Mark für ein Gigabyte" aufgerufen worden seien. Dass der Liberalisierungsbedarf groß gewesen sei, habe man daran erkennen können, dass sich "das Zeug" trotzdem "verkauft hat wie Jeck". (jk)