Veganes Leder

Leder aus genveränderten Hefen soll die ethischen und ökologischen Probleme des Naturprodukts lösen – das verspricht das amerikanische Start-up Modern Meadow. Prototypen existieren bereits, nun soll es reif für den Massenmarkt werden.

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Von
  • Thomas Reintjes
Inhaltsverzeichnis

Das gute Stück hängt effektvoll inszeniert an der Wand, unter den wachsamen Augen von Wärtern – so wie es sich im MoMa gehört, dem Museum of Modern Art in New York, einem der weltweit bedeutendsten Kunsttempel. Aber was die Besucher noch bis zum 28. Januar sehen, ist keine Skulptur und kein Gemälde. Sondern ein T-Shirt. Dafür sieht es tatsächlich aus wie moderne Kunst: gemustert wie das Fell einer Giraffe, aber in Schwarz-Weiß.

Die weißen Flächen sind individuelle Stoffstücke, manche aus normalem T-Shirt-Stoff, andere erinnern eher an ein Netzhemd. Das Interessante sind aber die breiten schwarzen Bahnen dazwischen, die alles zusammenhalten. Sie bestehen aus einem Leder, das aber von keinem Tier stammt. Sondern aus dem Labor. Es wäre das erste Leder weltweit, das selbst Veganer tragen könnten, wäre es nicht auf Wunsch der Kuratorin exklusiv für das Museum angefertigt worden und würden Wärter es nicht im Auge behalten.

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In der Ausstellung "Items: Is Fashion Modern?" ist dieses Ledermaterial zum ersten Mal zu sehen. Es stammt aus einem Labor, das nur zehn Meilen Luftlinie von dem Museum in Manhattan entfernt steht. Auf der anderen Seite des Hudson River, in New Jersey, hat das Biotech-Start-up Modern Meadow gerade neue Räume bezogen – auf einem Campus, auf dem zuvor 80 Jahre lang der Schweizer Pharmakonzern Roche einen Sitz hatte.

Modern Meadow, der Name legt es nahe, ist angetreten, um eine Alternative zur Viehhaltung zu bieten. Co-Gründer und CEO Andras Forgacs hatte zuvor die Firma Organovo mitgegründet, die menschliches Gewebe im Labor züchtet. Daran lassen sich beispielsweise neue Medikamente testen. Mit Modern Meadow wollte er diese Technik weiterentwickeln, um Muskelfleisch aus dem Labor anzubieten – als umweltfreundliches Alternativfleisch. Auch der Plan, Häute als Lederersatz im Labor wachsen zu lassen, kam auf.

Aber beide Ideen musste Modern Meadow verwerfen: "Das Züchten von Gewebe eignet sich nicht für kommerzielle Anwendungen", erklärt die Sprecherin des Unternehmens, Natalia Krasnodebska. "Es skaliert nicht."

Was hingegen wunderbar skaliert, ist Hefe. Also schwenkte Modern Meadow um. Statt aufwendig Zellen zu züchten, setzt es nun auf die einfache und gut verstandene Technik der Fermentation. Vom Brotbacken über das Bierbrauen bis hin zur Herstellung von Medikamenten werden Hefen in industriellem Maßstab eingesetzt. Die grundlegenden Verfahren sind bekannt, die Maschinen verfügbar – das macht den Einstieg leicht. Was fehlte, war die passende Hefe. Denn die Einzeller sollten nicht wie in der Brauerei Zucker in Alkohol verwandeln. Sie sollten Kollagen herstellen, jenes faserige Eiweiß, das den mittleren Hautschichten ihre ledrige Festigkeit gibt.

Leder aus genveränderten Hefen (5 Bilder)

Veganes Ledershirt

Im New Yorker Museum of Modern Art ist dieses T-Shirt mit dem Kunstleder von Modern Meadow ausgestellt.
(Bild: Modern Meadow)

Um sie zu schaffen, kam dem Start-up ein neues Werkzeug der Gentechnologie gerade recht. Mit dem sogenannten Gene Editing lässt sich Erbgut erstaunlich einfach umschreiben. "Wir nutzen CRISPR und andere Methoden zur Genmanipulation, um einen Hefestamm zu züchten, der Kollagen produziert", erklärt Krasnodebska. In einem Bioreaktor, gefüttert mit Zucker "und anderen geheimen Zutaten", sorge man durch die richtigen Licht- und Wärmebedingungen dafür, "dass die Hefe sich gut vermehrt". Nach ein paar Tagen könne das Kollagen abgetrennt und zu Leder verarbeitet werden.

Dieser Schritt ähnele dem Prozess einer traditionellen Gerberei. Dort wird das rohe Eiweiß der Tierhaut durch die Gerbstoffe gebunden und fixiert. Je nach eingesetzten Gerbstoffen erhält das Leder unterschiedliche Eigenschaften. Wie genau sich bei Modern Meadow das Kollagen zu Fasern zusammenlagert und das Leder entsteht, bleibt allerdings unklar. Zuschauen darf man nicht. Der Prozess findet hinter verschlossenen Türen statt. "No Filming" steht am Eingang zum materialwissenschaftlichen Labor des Unternehmens. Geschäftsgeheimnis, sagt Krasnodebska.

Immerhin darf man das Resultat anfassen. Es fühlt sich tatsächlich an wie Leder oder Kunstleder. Und es riecht wie Leder. Aber das ist für Branchenkenner nicht weiter verwunderlich. "Der Geruch ist auch bei echtem Leder immer künstlich eingebracht", sagt Krasnodebska. "Sonst würde man nur die Chemikalien vom Gerbprozess riechen."

Der Konkurrenzkampf mit den klassischen Anbietern dürfte dennoch hart werden. Tierhäute sind meist ein Abfallprodukt der Fleischindustrie, daher besteht an ihnen kein Mangel. Damit ist auch das ethische Argument nicht zwingend – ganz im Unterschied zu Pelzen. Offen ist zudem noch, ob das tierfreie Leder die Probleme löst, die Modern Meadow ursprünglich angehen wollte. Denn seine Umweltbilanz ist nicht zwingend besser. Pluspunkte sammelt das neue Material bei der Verarbeitung: Haare und Fette müssen nicht wie bei Tierhäuten mit aggressiven Mitteln entfernt werden. Außerdem gibt es weniger Verschnitt, weil die Kunsthaut sich in industriefreundlichen Rechtecken herstellen lässt und keine Narben oder Insektenstiche hat. Der Minuspunkt ist jedoch die Fermentation. Sie benötigt Rohstoffe und Energie, während das tierische Produkt ohnehin bei jeder Schlachtung anfällt.

TR 12/2017

Technology Review 12/2017

(Bild: 

[Link auf https://shop.heise.de/zeitschriften/technology-review]

)

Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe von Technology Review (ab 9.11. im Handel und im heise shop erhältlich). Weitere Artikel des Hefts:

Amy Congdon, Designerin bei Modern Meadow, will daher gar nicht in diesen Konkurrenzkampf einsteigen. Natürlich könne man auch Leder für Handtaschen, Möbel, Smartphone-Hüllen herstellen. "Aber ich bin weniger an Imitation interessiert als an Dingen, die wir mit herkömmlichem Leder nicht machen können", sagt sie. Entscheidend dafür ist ein wichtiges Detail des Prozesses: Das Leder aus dem Labor kann auch flüssig verarbeitet werden. So hat das Designteam des Unternehmens auch das im Moma ausgestellte T-Shirt hergestellt. "Wir haben das flüssige Leder benutzt, um die Einzelteile miteinander zu verbinden", erklärt Designerin Congdon. Das Leder ist also gewissermaßen mit dem Stoff verschmolzen. "Auf diese Weise bildet die Ästhetik des T-Shirts gleichzeitig den Herstellungsprozess ab."

Weitere dieser Möglichkeiten hat Modern Meadow in einer begleitenden Ausstellung zur Premiere präsentiert: Leder, hauchdünn auf Seide aufgesprüht. Leder in zwei verschiedenen Farben zu einem marmorierten Stück verschmolzen. Leder, als sei es von Jackson Pollock auf ein T-Shirt gekleckst worden. Zusätzliche Möglichkeiten sollen sich dadurch eröffnen, dass die Hefen und damit das Kollagen entsprechend designt werden können.

Deswegen – und weil Leder laut Handelsbestimmungen aus Tierhaut bestehen muss – will Modern Meadow sein Material nicht als Leder vermarkten, sondern unter dem Namen Zoa. Erste Kooperationen, eine mit einem Luxuslabel und eine mit einer Leistungssportmarke, will die Firma 2018 bekannt geben. Eine Pilotanlage soll in den nächsten zwei Jahren einsatzbereit sein. Wenn sie läuft und der Massenmarkt in Reichweite ist, wird vielleicht auch Natalia Krasnodebskas Lieblingsidee möglich. Wenn Menschen die lange Reise zum Mars antreten, sagt sie, dann könnten sie vielleicht Hefen von Modern Meadow mitnehmen, um sich ihre eigenen T-Shirts oder Raumanzüge zu züchten.

(bsc)