Weniger Geoblocking: EU-Nutzer dürfen ihre Digital-Abos jetzt mit auf die Reise nehmen

Am 1. April ist die Verordnung zur "grenzüberschreitenden Portabilität" bezahlter Inhaltsdienste wie Netflix & Co in Kraft getreten. EU-Bürger können Online-Abonnements damit auch zeitweilig in anderen Mitgliedsstaaten nutzen.

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Streaming-Dienste

Verbraucher können Abos für Streaming-Dienste im Ausland genauso nutzen können wie daheim.

(Bild: dpa, Handout/AMAZON/Symbolbild)

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Vertreter der EU-Kommission, des europäischen Parlaments und des Ministerrats sprechen in seltener Einigkeit von einem großen Tag. Vom 1. April an müssten die EU-Bürger auf Reisen in andere Mitgliedsländer "nicht mehr auf ihre Lieblingsfilme, Fernsehserien, Sportsendungen, Spiele oder E-Books verzichten, die sie zu Hause digital abonniert haben", freuen sich die Gremien über ihren im vorigen Jahr erreichten Gesetzeskompromiss. Die neuen Bestimmungen gelten für kostenpflichtige Dienste, aber auch Anbieter von Gratis-Inhalten "können sich beteiligen". Alle Content-Provider müssten zudem innerhalb der EU "keine Lizenzen mehr für andere Hoheitsgebiete erwerben, in die ihre Abonnenten reisen".

Hintergrund ist eine Übereinkunft aus dem Februar 2017, wonach ungerechtfertigtes Geoblocking bei Streaming-Diensten beendet werden soll. Die von den Abgeordneten und den Mitgliedsstaaten im Lauf des vergangenen Jahres besiegelte Verordnung zur "grenzüberschreitenden Portabilität" bezahlter Online-Inhalte sieht vor, dass EU-Bürger ihre Streaming-Dienste künftig auch auf Reisen in andere Länder der Gemeinschaft "zeitweilig" abrufen können. Neben Urlaub sollen auch temporäre "Studien- und Geschäftsaufenthalte" abgedeckt werden. Öffentlich-rechtliche Sender, die über Rundfunkgebühren finanziert werden, können selbst entscheiden, ob sie ihre Programme unter vergleichbaren Bedingungen portabel machen.

Anbieter wie Amazon Prime, Google Play, Netflix, iTunes, Maxdome, Sky Go, Spotify oder Zattoo müssen laut der Verordnung zunächst "angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen" ergreifen, um den hauptsächlichen Wohnort eines Nutzers und seine Rechte zu überprüfen. Dafür in Frage kommt vor allem eine elektronische Identifizierung, für die Zahlungsdetails, öffentlich verfügbare Steuerinformationen, Postanschriften sowie IP-Adressen herangezogen werden können. Die Dienstleister müssen ihre Kunden darüber informieren, welche Verifikationsverfahren sie einsetzen, und für einen "angemessenen" Datenschutz sorgen.

Die neuen Bestimmungen tragen laut den EU-Gremien neuen Verhaltensweisen und Gewohnheiten der europäischen Nutzer "unmittelbar Rechnung". So seien die Ausgaben der Verbraucher etwa für Video-Abodienste zwischen 2010 und 2014 um 113 Prozent pro Jahr und die Zahl der Nutzer zwischen 2014 und 2015 um 56 Prozent gestiegen. Schätzungsweise profitierten derzeit 29 Millionen Menschen beziehungsweise 5,7 Prozent der EU-Konsumenten von der neuen Portabilitätsklausel. Bis 2020 werde diese Zahl auf bis zu 72 Millionen wachsen. Parallel hat die Kommission bereits verdeutlicht, dass Briten nach dem Brexit nicht mehr in den Genuss der neuen Verordnung und anderer urheberrechtlichen Bestimmungen kommen.

"Für Nutzer bedeutet diese Änderung einen großen Komfortgewinn", konstatiert auch Susanne Dehmel aus der Geschäftsführung des Digitalverbands Bitkom. "Es darf keine Rolle spielen, ob ein Verbraucher aus Berlin, Rom oder Paris auf seine abonnierten Inhalte zugreift." Die abonnierten Inhalte müssten auch im EU-Ausland so zugänglich gemacht werden, "wie sie es von ihrem Dienst in ihrem Heimatland gewohnt sind". Lediglich die Qualitätsanforderungen könnten abweichen.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) spricht dagegen nur von einem ersten Schritt im Kampf gegen ungerechtfertigtes Geoblocking, dem weitere dringend folgen müssten. Im Osterurlaub etwa in Frankreich könnten Verbraucher nun zwar Netflix & Co. schauen, bei ARD und ZDF bleibe der Bildschirm aber nach wie vor häufig schwarz, beklagt der vzbv-Digitalreferent Martin Madej. "Das muss endlich ein Ende haben." Hinzu komme, dass Abonnements von Streaming-Diensten aus dem EU-Ausland von der Portabilitätsverordnung nicht erfasst würden.

Ein weiter derzeit von den EU-Gremien behandelter Verordnungsentwurf hätte hier zumindest "eine gewisse Verbesserung bringen können", verweisen die Verbraucherschützer auf die laufenden Verhandlungen über neue Regeln zum Geoblocking bei Rundfunkübertragungen übers Internet. Ziel sei es dabei, den Zugang zu Mediatheken und Live-Streams von Fernsehsendern über innereuropäische Grenzen hinweg zu vereinfachen. Die Initiative der Kommission stoße aber auf Widerstand im Parlament und im Rat. Diese haben sich darauf verständigt, dass TV-Sender nur Eigenproduktionen in allen Mitgliedsstaaten ohne technische Blockaden abrufbar machen dürften.

Der vzbv fordert die Abgeordneten und die Regierungsvertreter auf, ihre Blockadehaltung "zugunsten aller Verbraucher in der EU aufzugeben – und damit auch ein Stück europäische Identitätsstiftung zu betreiben". Heute könnten Kunden überall in Europa problemlos Autos kaufen und arbeiten. Nur bei digitalen Inhalten hätten "die Grenzbäume weiterhin Bestand". Dabei sei es im "ureigenen Interesse Europas, dass Bürger Kultur- und Informationsangebote aus der gesamten EU nutzen können". Nur so könne die Union dem Ziel "einer gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit und Identität näherkommen". Informationen und Forderungen zu Geoblocking der Verband in einem zweiseitigen Positionspapier zusammengefasst. (bme)