DNA als Speichermedium: 12 MB für 100.000 Dollar

Bereits heute ist es möglich, Dateien in künstlicher DNA aufzuzeichnen und fehlerfrei abzurufen. Noch ist die mögliche Zukunft der Datenspeicherung teuer, doch die Kapazität wäre immens.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Bryan Walsh
Inhaltsverzeichnis

In ihrem Büro mit Blick auf Mission Bay, ein Viertel von San Francisco, lehnt sich Emily Leproust zu mir, um mir ein Kapsel von der Größe einer Tablette zu zeigen. „Diese eine DNA-Kapsel enthält so viele Daten wie ein komplettes Datenzentrum von Facebook“, sagt sie.

Leproust ist Mitgründerin und CEO von Twist Bioscience, einem vor fünf Jahren gegründeten Start-up, das nach manchen Schätzungen der weltgrößte Lieferant von künstlichen DNA-Strängen oder synthetischen Genen ist.

Maßgeschneiderte Gene sind das Rohmaterial der synthetischen Biologie und der Ausgangspunkt für Biotech-Medikamente, -Lebensmittel und -Düfte. Die DNA in der Kapsel aber steht für einen neuen Markt – einen potenziell riesigen: Speicherlaufwerke auf der Grundlage von DNA.

„Wir sind führend bei DNA-Schreiben“, sagt Leproust, mit einer strengen Stimme und einem Akzent, der ihre Heimat Frankreich erkennen lässt. „Und wir haben vor, führend zu bleiben.“

Leproust führt mich durch einen Vorhang zu einem Produktionsraum. Auf dem Weg kommen wir an einem DNA-Synthetisierer des Typs Applied Biosystems Model 394 vorbei (der Stand der Technik im Jahr 1991). Er konnte vier kurze DNA-Stränge am Tag produzieren, erklärt sie. Twist kommt heute auf drei Millionen Stränge pro Tag.

Um die Ecke steht die Technologie des Unternehmens. In ihrem Glasgehäuse sieht sie aus wie ein selbst gebauter Tintenstrahldrucker, mit sichtbaren Platinen und Düsen, die auf schwarze Silizium-Wafer in Postkarten-Größe ausgerichtet sind. Wenn die Maschine zum Leben erwacht, spritzen aus kleinen Tanks winzige Tröpfchen von Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin – die DNA-Buchstaben A, C, G und T – in 9600 Nano-Vertiefungen, jeweils so breit wie ein Haar.

Mehr Infos

Dank dieser Technik ist Twist Bioscience einer der wichtigsten Mitspieler auf dem Weg zu billigerer DNA-Produktion. Derzeit liegt sein Preis bei 7 bis 9 US-Cent pro DNA-Buchstabe. „Sie hat geschafft, wovon jeder seit zehn Jahren geträumt hat – die Kosten um eine ganze Größenordnung zu verringern“, sagt John Cumbers, Gründer des Branchen-Netzwerks SynBioBeta.

Leproust hat einen Doktortitel in organischer Chemie und anschließend bei Agilent Technologies gearbeitet. Später warf ihr das Unternehmen vor, die Technologie hinter Twist gestohlen zu haben. Ihre Anwälte bezeichnen die Klage als unberechtigt und als Versuch, ihren Erfolg „abzuwürgen“ und „zu schmälern“. Unter anderem hat Leproust 259 Millionen Dollar von Investoren aufgenommen.

Als CEO vergleicht sie ihr Unternehmen mit Intel. Es verkaufe das genetische Äquivalent zu Transistoren, das von den Kunden für neue und profitable Anwendungen genutzt werde. „Ich frage meine Kunden immer, ob sie mehr Geld haben oder mehr Ideen“, erklärt sie. „Wenn wir unseren Preis senken, sparen sie die Differenz nicht ein, sondern kaufen mehr DNA.“

Billigere DNA bedeutet ambitioniertere Experimente. Im vergangenen Oktober unterschrieb Twist einen Vertrag über die Belieferung der Bostoner Bio-Foundry Ginkgo Bioworks mit einer Milliarde Basenpaaren künstlicher DNA – die größte derartige Vereinbarung in der Geschichte der Branche.

Ginkgo fügt die Gene von Twist Hefe oder Bakterien hinzu, um im großen Stil neue Enzyme zu identifizieren. Andere Wissenschaftler hoffen, dass DNA so billig wird, dass die Konstruktion von vollständigen Genomen bezahlbar wird, sogar von menschlichen.

Die Innovationen von Twist haben dazu beigetragen, dass ein umkämpfter Markt entstanden ist, in dem die Preise für DNA laut Insidern schneller sinken, als die Nachfrage steigt. Im Januar 2017 fiel ein Konkurrent dem schwierigen Umfeld zum Opfer: Gen9, ein Anbieter synthetischer DNA aus Cambridge, wurde in Teilen verkauft, nur sechs Monate, nachdem er selbst einen großen Liefervertrag unterzeichnet hatte.

„Es herrscht immer noch ein Mangel an Wissen darüber, was diese Werkzeuge können“, sagt David Berry, ein Partner bei Flagship Pioneering in Cambridge. „Solange das so bleibt, gibt es ein Preis-Rennen nach unten.“

An dieser Stelle kommt der Markt für Datenspeicherung mit seinem jährlichen Volumen von 30 Milliarden Dollar ins Spiel. Die Marktforschungsgruppe IDC sagt voraus, dass im Jahr 2025 weltweit 163 Zettabyte an digitalen Daten entstehen werden, genug um den Speicher von 1,2 Billionen iPhones zu füllen.

Statt all diese Daten auf Magnetbändern aufzubewahren, lassen sie sich möglicherweise in DNA speichern. Jedes Bit wird in Gene übersetzt, die sequenziert werden, wenn die Daten abgerufen werden müssen.

Als Medium zur Datenspeicherung ist DNA unglaublich dicht. Theoretisch würden sämtliche existierenden Daten in den einfachen Konferenzraum passen, in dem Leproust mir die silberne Pille zeigt. „Für archivierte Daten, die lange Zeit gespeichert werden sollen, gibt es nichts besseres“, sagt Luis Ceze, ein Informatiker an der University of Washington.

Seit 2016 hat Twist 20 Millionen auf Wunsch codierte DNA-Stränge an Microsoft Research geliefert und arbeitet jetzt mit Ceze zusammen, um aus DNA-Speicherung ein Geschäft zu machen. Das Team hat unter anderem bereits Musikvideos, Songs vom Montreux Jazz Festival und die universelle Erklärung der Menschenrechte in DNA programmiert.

In diesem Februar erreichte die Gruppe einen weiteren Meilenstein. In einem Fachaufsatz für Nature Biotechnology zeigte sie, dass sie aus mehr als 200 Megabyte an in DNA gespeicherten Daten fehlerfrei einzelne Dateien auslesen konnte. Ein solcher „wahlfreier Zugriff“ ist erforderlich, wenn DNA zum kommerziellen Speichermedium werden soll.

Gleichzeitig aber wird DNA noch viel, viel billiger werden müssen. Diese Tatsache unterstreicht Leproust, als sie mir erzählt, dass Twist Kunden anbietet, 12 Megabyte Daten für volle 100.000 Dollar in DNA zu speichern.

Wie Leproust sagt, wird das nicht so bleiben – nicht wenn ihre Pläne zur Verbesserung der Technologie aufgehen. „In ein paar Jahren wird es nicht mehr 100.000 Dollar kosten, diese Daten zu speichern“, sagt sie, „es werden nur noch Cents sein.“

(sma)