Kommentar: Zuckerbergs halbherziger Canossagang

Wenige Freunde hat sich Mark Zuckerberg bei seiner Einvernahme im US-Senat gemacht. Entscheidend war nicht, was er ausgesagt hat, sondern was er nicht gesagt hat. Der Mut zum Klartext fehlt dem Milliardär.

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Mark Zuckerberg in Anzug und Krawatte

Mark Zuckerberg bei seiner Aussage vor zwei Ausschüssen des US-Senats

(Bild: Screenshot)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mark Zuckerbergs Plan für seine Einvernahme am US-Capitol ist am ersten Tag teilweise aufgegangen. Er behielt über mehr als fünf Stunden die Contenance und verschaffte seiner Botschaft Gehör: Es ist alles meine Schuld, es tut mir furchtbar leid, wir werden es besser machen.

Ein Kommentar von Daniel AJ Sokolov

Daniel AJ Sokolov schreibt seit 2002 für heise online und c't, anfangs aus Wien. Seit 2012 versucht er als Nordamerika-Korrespondent von heise online, Kanadier und US-Amerikaner zu verstehen und ihr Wesen begreiflich zu machen.

Der klassische Canossagang, also. Asche auf mein Haupt, bitte seid mir nicht böse. Würden Zuckerberg und Facebook, das er im öffentlichen Diskurs personifiziert, nicht seit mehr als einem Jahrzehnt immer wieder Ähnliches verlautbaren, wäre ihm vielleicht tatsächlich niemand böse.

Gleichzeitig ist die Botschaft auch nach innen, an die eigene Belegschaft, gerichtet – dort muss es ordentlich brodeln: Ich stehe für Facebook gerade und werde mich nicht an Untergebenen abputzen. Auch Facebook-Mitarbeiter haben ein Gewissen, das sie mitunter beißt. Da hören sie diese Botschaft sicher gerne.

Doch nach seiner Eröffnungsrede suchte Zuckerberg immer und immer wieder Ausflüchte. Dieses und jenes wisse er nicht oder nicht genau, grundsätzlich ja aber, über die Details müssen wir diskutieren, bloß nicht jetzt und hier, mein Team wird sich melden. Bloß keine heißen Knollenfrüchte angreifen solange die Kameras mitlaufen.

Sichtbaren Unmut bei den Senatoren rief Zuckerberg durch seine Semantik hervor: Die Daten gehören den Usern, sie haben volle Kontrolle darüber, alles ist Opt-In, und Facebook würde niemals Daten verkaufen. Solche Aussagen sind sowohl die reine Wahrheit als auch glatte Lügen. Es kommt eben darauf an, wie man bestimmte Begriffe auslegt.

Zuckerberg zieht seine Semantik so streng durch, dass man fast fürchten muss, er sei nach 14 Jahren Facebook auf seine eigene Propaganda hereingefallen. Tatsächlich haben die User volle Kontrolle darüber, was sie selbst auf Facebook uploaden – bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie es uploaden. (Es sei denn, jemand anderer stellt es bei Facebook ein.) Als einfaches Beispiel sei erwähnt, dass niemand den Facebook Messenger auch als SMS-Client verwenden muss. Wer es aber tut, muss damit leben, dass Facebook die SMS liest. Und damit liefert er Facebook auch jene Kurznachrichten, die er von Dritten bekommt, die damit nichts zu tun haben (wollen).

Die gesammelten Nutzungsbedingungen Facebooks samt der verlinkten Dokumente, und der dort verlinkten Dokumente, usw. usf., füllen Ordner. Niemand hat je das Gesamtwerk gelesen. Und selbst gestandene Juristen verstehen oft nur Bahnhof. Zuckerbergs Mantra vom Einverständnis der User sind des Kaisers neue Kleider. Bloß scheint sich Zuckerberg ihrer nicht zu schämen. Und gibt sogar vor, nicht zu wissen, welcher Prozentsatz der User die "akzeptierten" Bedingungen gelesen hat. Es stellt sich die Frage, ob er bis Null zählen kann.

Senator Lindsay Graham zeigt Mark Zuckerberg, wie dick ein Ausdruck der Facebook-Nutzungsbedingen ist. Dazu kommen noch allerlei verlinkte Dokumente.

(Bild: Screenshot)

Über jene Daten, die Facebook über seine User erzeugt und erntet, haben die User allerdings keine Kontrolle. Sie können nur bedingt verhindern, dass Facebook ihre Internetnutzung auch Abseits Facebooks verfolgt, ihre Bewegungsmuster erhebt, ihr Einkaufsverhalten auswertet, bei Datenhändlern weitere Informationen über sie einkauft, u.a.m. Sie haben keinen Einblick darin, was Facebook über sie weiß oder zu wissen glaubt. Dieses Problemgebirge lässt Zuckerberg unter den Tisch fallen.

Nicht alle Senatoren sind dermaßen blauäugig. Sie reagieren allergisch darauf, wenn man sie für dumm verkaufen möchte.

Aprops verkaufen: Besonders wichtig ist Zuckerberg, zu betonen, dass Facebook keine Daten verkauft. Das ist auch eine Botschaft an die Aktionäre, würde doch die Weitergabe der Daten selbst deren Wert dezimieren. Facebook verkauft nicht die Daten selbst, es verkauft die Nutzung der Daten: Via Facebook können Werbetreibende ihre Botschaften an extrem fein bestimmte Usergruppen absetzen. Damit scheffelt der Konzern seine Milliarden.

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Fürwahr, das ist nicht dasselbe wie der Verkauf der Daten selbst; aber für die meisten User ist das nur ein gradueller Unterschied. Die semantische Differenzierung zwischen "Facebook verkauft meine Daten" und "Facebook macht meine Daten zu Geld" oder "Dank Facebook kann die Marketingbranche sich an meinen Daten bereichern" ist ihnen herzlich egal. Zurecht, denn das viel gepriesene Usererlebnis ist weitgehend gleich.

Bloß Zuckerberg tut so, als wäre das etwas völlig anderes: Mit Datenverkauf haben wir doch nichts am Hut, ich bitte Sie! Diesen Braten riechen die Senatoren. Selbst jene, für deren Wahlkampf Facebook gespendet hat, und das sind nicht wenige. Ihnen fällt auf, dass Zuckerberg hohen intellektuellen Aufwand treibt, um offene und ehrliche Worte, die jeder versteht, zu vermeiden. Schließlich kennen sie das von sich selbst.

Doch Zuckerberg hat noch einem rhetorischen Trick auf Lager: "Wir haben herausgefunden, dass, obwohl manche Leute Werbung nicht mögen, die Leute wirklich keine Werbung wollen, die nicht relevant ist. Und obwohl es natürlich etwas Unbehagen gibt wenn Daten dazu genutzt werden, Werbung relevanter zu machen, ist das überwältigende Feedback, das wir von unserer Community bekommen, dass die Leute es lieber haben, wenn wir relevante Inhalte anzeigen [anstatt irrelevante]."

Es steht zu befürchten, dass dieser Schmäh bei den Senatoren reingeht.

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#heiseshow, live am Donnerstag ab 12 Uhr:

(ds)