4W

Was war. Was wird. WTF: Weltgeschichte als Tragödie und Farce

Geschichte? Gar Weltgeschichte? Ach geh mir weg, denkt sich Hal Faber, und gruselt sich ob so mancher Farce. Schlimmer kommt es immer, wenn schon nicht in der Geschichte, dann doch in der Musik. Oder dem, was mache dafür halten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 40 Kommentare lesen
Was war. Was wird. WTF: Weltgeschichte als Tragödie und Farce

(Bild: Curriculum_Photografia, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Außenpolitik. Zumindest, was man heute so darunter versteht.

*** Wer kennt ihn nicht, den Hegel-Witz von Marx, nachdem sich alle Weltgeschichte wiederholt, einmal als Tragödie, das andere Mal als Farce. In dieser Woche ist eine Farce hinzugekommen, als Wiederholung einer Farce, auf die diesmal noch eine Tragödie folgen könnte. Von seiner Bettkante aus kündigte US-Präsident Trump "nette und smarte" Raketen an und warnte Russland. Ganz nebenbei hat Twitter damit Weltgeschichte geschrieben und in diesem Einsatz das früher zugeschaltete Fernsehen abgelöst. Das ist doch was, zusammen mit der traurigen Erkenntnis, dass die Weltgeschichte nicht den Börsenwert steigert. "Durch die Wiederholung wird das, was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten", heißt es bei Hegel. Wer keine philosophischen Gedankengänge mag, für den gibt es einen durchaus gelungenen Farce-Film.

*** Sechs Tage hatten Freund und Feind Zeit, sich auf den Abflug bzw. Anflug von 105 Raketen vorzubereiten, der etwa 70 Minuten dauerte. Sie flogen dann pünktlich nach der Rede des US-Präsidenten los. Da kann man schon die eine oder andere Produktionsanlage oder ein Waffenlager umbetten. Wenn nun die Techniker der OPCW in Syrien nach Beweisen für den Giftgasangriff in Duma suchen und nichts finden, ist dann der Erfolg der Attacke bewiesen? Ein Schlag mit symbolischer Wirkung, "erforderlich und angemessen", das ist die Hohe Schule der Hundedressur.

*** Aber dazu müsste die drehbuchreif raffiniert dahingewedelte Ablenkungsstrategie durchgehalten und nicht schon wieder mit heftigen Ausfällen gegen andere garmiert werden. So leben wir in Zeiten, in denen Buch um Buch über Loyalität, Lügen und Leitungskraft veröffentlicht wird und die Schleimbälle hin und her fliegen. Dazu passt die umfassende Begnadigung für den Lewis Libby in dieser Woche, der für Falschaussagen und Meineide verurteilt wurde und nunmehr durch Trump voll rehabilitiert wurde. Gebt mir Rückendeckung und ich decke euch, ist das Signal.

*** Apropos Schleimbeutel: Es könnte einem ja wirklich jede Lust an der Musik vergehen angesichts der deutschen Musikindustrie. Geld stinkt nicht – und antisemitisch kann es schon gar nicht sein, wenn man Erfolg hat, dann wird man höchstens missverstanden. Man denkt ja jedesmal nach einer Echo-Verleihung, schlimmer könne es nächstes Jahr nicht mehr werden – und blickt entsetzt auf das, was dann im kommenden Jahr folgt. Wenn die Dumpfbacke Campino plötzlich zur intellektuellen und moralischen Instanz mutiert, spätestens dann ist der absolute Tiefpunkt erreicht; dabei ist das eigentlich nicht mal das Schlimmste, immerhin kann man über Battle-Rap sehr wohl eine künsterlische und inhaltliche Debatte führen. Wir aber sind gespannt, wie uns die deutsche Musikindustrie nächstes Jahr doch wieder eines Schlimmeren belehrt, denn die Musik ist ihr doch herzlich egal: Die deutsche Musikindustrie, das sind halt diese Leute, die "Musik für Menschen machen, die bestimmt und zu Recht irgendetwas mögen – nur eben auf keinen Fall Musik". Also gilt für den Echo nächstes Jahr: I repeat myself when under stress, oder auch: History Repeating, im Marx'schen Sinne, als Farce-Farce. (Und ich entschuldige mich bei Robert Fripp, den Propellerheads und Shirley Bassey, sie im Kontext der deutschen Musikindustrie verlinkt zu haben.)

*** Und was man mag oder was nicht, das bestimmen manchmal auch ganz andere. Da gab es diese Woche einen kleinen Zwischenfall. Ein rühriger Kollege von der Süddeutschen Zeitung wollte wissen, wie es um unseren Staatstrojaner für die Online-Durchsuchung bestellt ist und verabredete sich mit einem Mitarbeiter von TÜVIT, wo eben die Konformität und Funktionalität des Schnüffelprogrammes auf der "technischen Ebene" ganz ohne moralisches Urteil bewertet wird. Prüfauftrag ist Prüfauftrag. Das Resultat: Das Bundeskriminalamt verpasste den IT-Spezialisten wenige Minuten vor Beginn des Interviews einen Maulkorb. Mit Journalisten redet man nicht, mit Anfragen von Grünen- und FDP-Politikern geht man einsilbig um, immer ist die Gefahr da, dass Funktionsweisen und Details bekannt werden, auf das "Ermittlungsmaßnahmen" ins Leere laufen.

*** Passend zu diesem Gemauschel und Vertuschel der Bundeskriminalisten ist in dieser Woche in dem Juristenblatt GSZ ein Aufsatz von Marco Mansdörfer über das Online-Ausspähen und die genetische Sippenaft durch Auswertung äußerlicher Merkmale von DNA-Spuren erschienen. Darin wird dargelegt, dass Ermittler bei einer geplanten klassischen Durchsuchung dem Ermittlungsrichter darlegen müssen, welche Beweismittel sie sich von der Durchsuchung erhoffen und dann einen entsprechenden Durchsuchungsbeschluss bekommen. Fazit: "Von der Beschränkung auf bestimmte Beweismittel und vom offenen Vorgehen bleibt bei den Online-'Durchsuchung' nichts mehr übrig. Im Grunde muss für diese Art von Ermittlungsmaßnahme ein eigener, neuer Begriff gebildet werden. Von der Eingriffstiefe übersteigt die neue Maßnahme alle bisherigen Ermittlungsmaßnahmen, was für eine drastischere Bezeichnung spricht." Der Jurist schlägt "Ermächtigungsgrundlage zum Online-Ausspähen" vor, doch wie wäre es in dieser denglisch geprägten Zeit prägnanter mit BBB, Kürzel für "Big Brother Beiwohnung"? Geht auch gut als BBBB, für den geplanten Brementrojaner oder HBBB für den früher schon einmal mehrfach erwähnten Hessentrojaner.

*** Zu den Erkenntnissen dieser Woche gehört die Nachricht, dass Unternehmen die Datenschutz-Grundverordnung nur halbherzig umsetzen und auch der Journalismus von den Änderungen betroffen ist. Inmitten der allgemeinen Panikmache gibt es darum Handreichungen für Journalisten und Blogger, was zu beachten ist. Einen Bösewicht gibt es auch schon, es ist laut FAZ der Grüne Jan Philipp Albrecht, der in seiner Eigenschaft als "Facebook-Jäger" über Leichen geht und Deutschlands Unternehmen mit einem übermäßigen Datenschutz das Leben schwer macht, nur um Zuckerberg jagen zu können "Genugtuung für den Facebook-Jäger" heißt es hinter der Paywall der Zeitung. Das ist eine interessante Sicht der Dinge, mindestens ebenso wie Zuckerbergs Darstellung eines extrem linksgerichteten Silicon Valley. Inmitten all des Trubels um Facebook und Zuckerberg ist seine Versicherung doch eine beruhigende Nachricht, man habe alles getan, um diesen schlimmen Linksdrall nicht in die wunderbare Software einfließen zu lassen. Ja, da lacht das Silicon Valley und Zuckerberg grinst. Zu dieser Komödie passt dann ein Engels-Zitat: "Denn was jeder einzelne will, wird von jedem anderen verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat."

Auf Schloss Merseberg hat sich die Bundesregierung unter der Woche aufs gemeinsame Regieren verständigt und Themen wie den Bundeshaushalt behandelt. Das ganz große Megathema, die viel beschworene Digitalisierung und das eGovernment war überhaupt nicht dabei im großen Koalitionsschloss. Das Kleinklein überlassen die Politikdarsteller wohl lieber dem IT-Planungsrat, der ab Montag in Weimar tagt und Tagungspunkte abarbeitet. Die erste Glanztat ist, Deutschland als d-land abzukürzen, wie Digitalland, wissensschon. Dazu soll es eine Keynote der Kanzlerin geben, wie digital dieses d-land ist. Dann wird über Employability und E-Kompetenz und Elfen diskutiert. Letzteres meint keine Fabelwesen, sondern Einfach Leistungen für Eltern, vormals e-Geburt genannt, bis jemand erkannte, dass Gebären wenig e-Anteile hat.

In der tageszeitung ist ein Interview mit dem Anwalt Rolf Gössner erschienen, der 36 Jahre lang vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wurde. Kurios, dass er während dieser Zeit auch Referent war, etwa beim hessischen Verfassungsschutz. Rachegelüste hegt er keine, sagt Gössner.

Eine Statue - mehr als eine Trophäe, verliehen beim Big Brother Award

(Bild: mit freundlicher Genehmigung von Digitalcourage e.V.)

Doch auf die Frage, ob der Verfassungsschutz verfassungswidrig ist, antwortet er: "Das vielleicht nicht, aber er handelt oft verfassungswidrig; er ist nur schwer vereinbar mit Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats, was ihn tendenziell zum Staat im Staat werden lässt." Die Frage, ob der Verfassungsschutz als "Scheißhaufen" aufgelöst werden und durch eine politische Polizei ersetzt werden sollte, beantwortet Gössner nicht, auch nicht die Frage, auf wen er die Laudatio bei den am Freitag anstehenden Big Brother Awards halten wird. Es bleibt also spannend. (jk)