Von Rocklängen und Wirtschaftskrisen

Analysten suchen nach neuen Indikatoren, um ökonomische Trends rechtzeitig vorherzusagen – Rocklängen, Baugerüste, Licht oder der "R-Wort-Index". Wie verlässlich sind sie?

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Joseph Scheppach
Inhaltsverzeichnis

Wenn Analysten wissen wollen, wie es mit der Wirtschaft weitergeht, schauen sie immer öfter auf Baugerüste. Ihre These: Sieh nach, wer die tollsten Hochhäuser errichtet, und du weißt, wo die nächste Krise ausbricht. Dass nach Rekordbauten eine Wirtschaftsflaute einsetzte – dieses Muster fand Andrew Lawrence so oft, dass der damalige wissenschaftliche Direktor der britischen Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein Benson daraus im Jahr 1999 den "Skyscraper-Index" erstellte.

Er ist nur eines von diversen unkonventionellen Prognose-Instrumenten, auf die Analysten verstärkt zurückgreifen. Laut Investmentbank JP Morgan investiert die Branche pro Jahr rund drei Milliarden Dollar in das Sammeln und Auswerten riesiger Datenpakete, denn die Aussagekraft klassischer Indikatoren wird immer öfter durch "exogene Schocks" erschüttert: die Finanzkrise von 2007/08, der Reaktorunfall von Fukushima oder Terrorattacken. Jede derartige Krise hat Umschichtungen von Milliardenwerten zur Folge, und nur wer sie früh erkennt, kann sich wappnen.

Die Instrumente beobachten unter anderem Röcke, Twitter, Worthäufigkeiten und nächtliches Licht. Jan-Egbert Sturm vom Züricher ifo-Zentrum für Makroökonomik hält originelle Datenquellen für "weitere Mosaikstücke, die helfen, das Konjunkturbild besser einzuschätzen". Lakshman Achuthan hingegen, Direktor des Economic Cycle Research Institute in New York, fürchtet, dass "die Flut von Indizes viele Leute überfordert".

Aber selbst ausgeklügelte Methoden und Modelle können nicht verhindern, dass Prognosen danebenliegen. Wir wollten dennoch wissen: Was verraten die Indizes über 2018?

Höhe der Wolkenkratzer

"In den letzten 100 Jahren fiel der Bau der höchsten Gebäude der Welt in einer unheimlichen Weise zusammen mit den Krisen der Weltwirtschaft", hat Analyst Andrew Lawrence beobachtet. Tatsächlich folgte 1999 der Eröffnung des 508 Meter hohen taiwanesischen Wolkenkratzers Taipei 101 das Platzen der Dotcom-Blase. Und das Richtfest des 828 Meter hohen und eine Milliarde Dollar teuren Burj Khalifa in Dubai 2009 fiel zeitlich mit der Immobilienkrise zusammen.

Zufall? Finanzwissenschaftler Gunter Löffler von der Uni Ulm hat in seinem Paper "Tower Building and Stock Market Returns" erstmals den Zusammenhang zwischen dem Bau neuer Wolkenkratzer in den USA und der Entwicklung der Aktienmärkte zwischen 1871 und 2011 statistisch untersucht. "In den ersten drei Jahren, nachdem der Bau eines Wolkenkratzers mit neuem Höhenrekord begann, sind die Renditen auf den Aktienmärkten im Durchschnitt sieben Prozentpunkte niedriger als zu anderen Zeiten", so Löffler. Wolkenkratzer-Rekorde zeigten eine kommende Baisse demnach exakter an als andere Indikatoren wie etwa Dividendenrenditen.

Der Grund ist Löffler zufolge, dass waghalsige Projekte ein Zeichen für überoptimistische Bauherren und Banker seien. "Dann werden kostspielige Bauwerke geplant, die über Jahre hochgezogen werden. Viele dieser Bauten werden dann aber erst im anschließenden Abschwung fertig." In der Ökonomensprache sind Superwolkenkratzer damit Spätzykliker.

Der nächste Test für die These von Lawrence könnte 2019 erfolgen, bei der ursprünglich für 2018 geplanten Eröffnung des einen Kilometer hohen Jeddah Tower in Saudi-Arabien. Auch er wurde 2013 mitten in einem Bauboom begonnen. Mittlerweile aber führen Finanzierungsengpässe immer wieder zu Verzögerungen; Saudi-Arabien leidet finanziell am Verfall des Ölpreises.

Nicht ins Bild passt allerdings China: Dort entstanden im vergangenen Jahrzehnt die meisten Wolkenkratzer weltweit. Demnach müsste die Wirtschaft längst in einer tiefen Krise stecken. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht aber nach wie vor davon aus, dass sie 2018 um 6,5 Prozent wächst. Während die IWF-Prognose einen guten Ruf genießt, "hat der Wolkenkratzer-Index in der Fachwelt keinen hohen Stellenwert", räumt Löffler ein. "Viele Wissenschaftler halten ihn für exotisch."

Zahl der Baukräne

Auf ähnlicher Basis wie Andrew Lawrence entwickelte die Unternehmensberatung Deloitte ihren Baukran-Index. Teams laufen unter anderem durch London und notieren jeden Kran. "Die Daten", wirbt Deloitte, "eignen sich nicht nur als Barometer für den Immobilienmarkt, sondern für die gesamte britische Wirtschaft". Der jüngste Report hat in London das geringste Neubauvolumen seit 2014 gemessen und leitet daraus keine guten Aussichten für Englands Wirtschaft in 2018 ab. Der Index hat sich in den letzten 21 Jahren so gut bewährt, dass Deloitte nun auch Manchester, Paris und Dublin ins Visier nimmt.

Länge der Rocksäume

Ein Klassiker der skurrilen Indikatoren ist der "Rocksaum-Index", entwickelt 1926 vom US-Ökonom George Taylor. Er soll zeigen, wie viel Vertrauen die Menschen in die Wirtschaft haben. So trugen beispielsweise Anfang der 60er-Jahre, als Deutschland die Früchte des Wirtschaftswunders genoss, Frauen erstmals Miniröcke.

In der Rezession der frühen Neunziger waren die Röcke und Kleider dagegen wadenlang. Abgesehen von seiner leicht sexistischen Sichtweise – funktioniert der Index? "Der Rocksaum korreliert tatsächlich mit der Wirtschaft", sagt Philip Hans Franses von der Rotterdamer Erasmus School of Economics. Der Ökonom hat Rockdaten in den USA von 1921 bis 2009 gesammelt und mit den Konjunkturzyklen verglichen.

Das Ergebnis: In Zeiten des Niedergangs sank der Saum zu Boden, während eines Booms stieg er wieder. "Dabei reagieren Mode und Wirtschaft mit einer Zeitverzögerung von etwa drei Jahren", will Franses herausgefunden haben. "Die 2015er Daten des US Bureau of Economic Analysis deuten für 2018 auf einen Rocksaum-Index der Kategorie 2 hin: Der Rock endet über dem Knie." Das bedeutet: Es gibt eine positive Entwicklung, aber der Aufschwung wird sich in Grenzen halten.