4W

Was war. Was wird. Mit einer Nachlese zu den Big Brother Awards.

Wenn die Blase platzt, dann sind alle besudelt, Blasenfüller ebenso wie Blasenleerer. Unangenehme Assoziationen? Die wecken Big-Data-Illusionen auch, ist sich Hal Faber sicher.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 28 Kommentare lesen
Blasen

Blasen, Blasen, wohin das Auge blickt - und der Gedanke schweift.

(Bild: Brigitte Werner, gemeinfrei (Creative Commons CC0)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Sarah Spiekermann inmitten der neuen BBA-Deko, ganz ohne Datenkrake Oskar

*** Secondhand spielt laut Wikipedia "für die breite Masse der Bevölkerung" bei Hochzeitskleidern und der Kleidung für diverse Initiationsriten die Rolle eines Kostenkillers. Ganz in weiß fesch aufgebrezelt wird der Bund fürs Leben gefeiert und das Kleid anschließend verkauft oder in der Bucht angeboten. Im Fall von Secondhand-Datenbanken sieht die Sache anders aus: Firmen verkaufen das, was sie an Daten über Menschen eingesammelt haben, als aggregierte korrekte Darstellung der Realität. Das aber ist eine Big-Data-Illusion, meinte Sarah Spiekermann zum Auftakt der Big Brother Awards. Das ist die Veranstaltung mit Oskar, dem Datenkraken, der ein Telefonbuch in seinen Tentakeln hält, immerhin eine Sammlung mit korrekt geschriebenen Namen, Adressen und Nummern. In diesem Jahr räkelte sich kein Oskar rund ums Rednerpult, stattdessen gab es passend zur Big-Data-Illusion etwas Grünzeug, drapiert mit Kinderschubkarren und Preis-Statuetten. Mit großem Elan wird der eingesammelte Secondhand-Eindruck zum digitalen Abdruck erklärt, gar zum Öl des 21. Jahrhunderts verklärt, weil die künstliche Intelligenz mit diesen Daten gefüttert wird und Algorithmen die Seconhand-Sammlung aufbereiten. Für Sarah Spiekermann ist es höchste Zeit, dass diese Blase platzt. Big Data als Blase erkannten Heise-Foristen schon früher.

*** Andere wollen diese Blase füllen. Wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung geht und dafür Daten gesammelt werden müssen, so kann hin und wieder eine kleine Datenspende fällig werden, meinte Gesundheitsminister Jens Spahn dieser Tage auf einer Messe für Medizin-IT in Berlin. Harte Daten für einen gesunden Volkskörper, das muss man doch verstehen, da ist der Bürger in der Spendenpflicht, von seinem Datenreichtum etwas abzugeben für das Gemeinwohl. Ganz so, wie die Kassen ihre "gehorteten Beiträge" an den Gesundheitsfond übergeben und künftig niedere Beiträge von ihren Versicherten verlangen sollen. Das soll vor allem dem Finanzkörper von Kleinselbständigen zugute kommen. Auch für die Vision einer gesunden Arbeitswelt kann man Daten sammeln, zum Beispiel mit der Software von Soma Analytics, die einen Big Brother Award bekamen. "Statistiken wie zum Beispiel, dass psychische Erkrankung die häufigste Ursache für Fehlzeiten in Unternehmen ist, und dass sich neun von zehn Deutschen im Job gestresst fühlen, zeigen, dass alle bisherigen Maßnahmen in Unternehmen kläglich versagen." Wenn neun von zehn Arbeitsplätzen Stress erzeugen, dann sind es vielleicht die Arbeitsverhältnisse, die grundlegend geändert werden müssen. Das mit der entfremdeten Arbeit wurde lange vor dem Smartphone bekannt, da hilft kein Anti-Stressprogramm als Ausgleichs-App.

*** Zur treuhändigen Verwaltung und des Bürgerleins Beruhigung kann man ja passend zur repräsentativen Demokratie eine Instanz zur Überwachung des repräsentativen Dateneigentums einführen, am besten als öffentlich-rechtliches Gebilde mit automatischer Dateneinzugszentrale wie bei Fernsehen und Rundfunk. Ja, da hat sich die CDU-nahe Konrad Adenauer-Stiftung doch etwas Feines zur Hebung des Datenreichtums ausgedacht. Vielleicht wäre bei der Mutterpartei ein ähnlicher Wortfindungsreichtum angebracht, die bekanntlich zusammen mit den Grünen einen Krakenpreis für die Reformation des Verfassungsschutzes a.k.a. Hessentrojaner bekam. Da Wahlen anstehen, fordert die Humanistische Union Hessen die Wähler auf, sich ein Urteil über die demokratischen Tendenzen der prämierten Parteien zu bilden. Warum die Auszeichnung nicht auch nach Baden-Württemberg ging, wo Grüne die Regierungsmehrheit stellen und im November 2017 Ähnliches verabschiedeten, ist unklar. Ohnehin zeichnet sich mit den Bestrebungen in Bremen und Niedersachsen ab, dass die Gesetzesverschärfungen unabhängig davon sind, wer gerade regiert. So dürfte schon der nächste Kandidat für den künstlerisch wertvollen Big-Brother-Preis feststehen. Niemand Geringeres als Host Seehofer hätte ihn verdient, wenn das neue Musterpolizeigesetz nach dem Vorbild des bayerischen Gesetzes gezimmert wird. Vielleicht geht auch ein Preis nach Sachsen.

*** Unter den Nachrichten dieser Woche dürfte der Ausschluss von Kaspersky-Werbung durch Twitter wohl die zu den seltsamsten gehören. Kaspersky will das so unfreiwillig eingesparte Geld der Electronic Frontier Foundation spenden, die sich gerade mit der zielgerichteten Werbung beschäftigt, die Facebook und Twitter anbieten und die Kaspersky buchen wollte. Das Äquivalent wäre, wenn Microsoft Deutschland für Digitalcourage spenden würde, den Ausrichter der Big Brother Awards. Schließlich ist eine kritische Öffentlichkeit, die Microsoft dabei begleitet, welche Daten von Windows 10 ausgeleitet werden, stets weiterer Ansporn, das Produkt zu verbessern. So soll mit Windows 10 RS4 ein Update kommen, das "den Anliegen von Unternehmen und Behörden Rechnung" trägt, so die Antwort. Da muss es wohl einen Ansporn gegeben haben in Microsoft, am 19.4.2018.

*** Seltsam ist auch die Nachricht aus den USA, dass der demokratische Nationalkongress als Partei vor Gericht gegen Russland und Wikileaks und etliche Personen aus dem Umfeld von Trumps Wahlkampfteam klagen will, weil die Veröffentlichung von internen Dokumenten der Partei im Wahlkampf geschadet habe. Dabei seien Geschäftsgeheimnisse der Partei, vertrauliche Listen über Spendengelder und details zur Wahlkampfstrategie gestohlen worden, was den Tatbestand der "Wirtschaftsspionage" erfülle ("each release constituted a seperated act of economic spionage"). Über Wikileaks kann man viel sagen und diskutieren, aber Wirtschaftsspionage ist kein Anliegen dieser Organisation; und der Verrat von Geschäftsgeheimnissen ist wohl nur dort interessant, wo das Geschäft der Spionage und Überwachung betrieben wird. Der Vorwurf der Wirtschaftsspioange stellt sich so als juristischer Kunstgriff da, zwischen Wikileaks und den US-Medien von linksliberal bis "Alt-Right" zu trennen, die allesamt aus den "DNC-Leaks" zitierten. Würden diese Medien angeklagt, so würde die Aktion der Demokraten als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet werden können. Das aber ist angesichts der anstehenden Midterm-Wahlen nicht ratsam. Da könnte doch glatt noch eine Blase platzen.

*** Schaut man in die Klageschrift, wie sie von der Washington Post veröffentlicht wurde, so wird die Sache noch rätselhafter. Da ist vom "unautorisierten Zugriff auf geschützte Computer" die Rede, ohne jede Erklärung, was denn ein "geschützter Computer" ist. Möglicherweise ist die Klage unzulässig, weil nicht einmal dargelegt wird, was ein Computer ist. Das wäre das bizarre Ende einer bizarren Geschichte, zu der nicht zuletzt die bizarre Auskunft von Julian Assange gehört, er habe die Materialien von einem DNC-Mitarbeiter namens Seth Rich bekommen. Damit wäre auch der "unautorisierte Zugriff" aus der Welt, der jedoch weder belegt noch widerlegt werden kann: Seth Rich wurde wenig später ermordet. Ein Requiem scheint die passende Begleitmusik nicht nur zu schwarzen Monolithen.

Berlin spielt und daddelt, während Paderborn sich traditionsbewusst zeigt. Dafür hat Paderborn einen Flughafen und Berlin mit dem BER das aktuelle Manifest des deutschen Bauwesens, der am wenigsten digitalisierten Branche des Landes. Dort geht es in der nächsten Woche etwas lebhafter zu, denn es gibt da janz weit draußen die ILA Berlin. Mit Klassiker-Themen, die es locker mit der Bauplanung aufnehmen: Die Integration von Drohnen in den Luftverkehr wird wieder einmal diskutiert, denn mit den Drohnen beschäftigt sich nicht nur die Politik, weil die Ausschreibung zum Bau einer Eurodrohne ansteht, die Deutschland, Frankreich und Großbritannien nutzen wollen. Auch das Militär ist wieder einmal dabei, sich mit der Zwischenlösung zu beschäftigen, die fliegen, aber noch nicht scharf schießen können soll. Seit Jahren liegt ein Aufklärungsmodul nutzlos wie der BER herum, das einstmals für den eingemotteten Eurohawk entwickelt wurde. Dies soll im neuen Flieger eingebaut werden und hoch über Deutschland Richtung Osten lauschen. Flieg, Drohnelein, flieg – für einen Big Brother Award ist es nie zu spät.

Die Crew der BBA. So viele braucht es, die Gala "auf die Bühne" zu bringen

(jk)