Bis auf die Knochen

Sandy Sullivan lässt Leichen verschwinden – ganz legal. Seine Maschine imitiert die natürliche Verwesung und ist umweltfreundlicher als Beerdigung und Einäscherung.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Sandy Sullivan ist erst 60 Jahre alt. Aber er hat bereits eine klare Vorstellung von seinem Vermächtnis: Es sind große, glänzende Metalltanks. Mit seiner Erfindung, dem Resomator, will der schottische Biochemiker das Bestattungswesen umkrempeln. Statt einer traditionellen Beerdigung oder Einäscherung könnten die Menschen einen dritten, noch relativ unbekannten Weg wählen: Der Körper der Verstorbenen wird in einer Lauge aufgelöst.

Sullivans Methode mag gruselig klingen, aber vielleicht nur, weil wir über die traditionellen Bestattungsarten meist nicht so genau nachdenken. "Es gibt einfach keinen schönen Weg für diesen Abschied vom Körper", sagt er. Niemand wolle sich vorstellen, was bei der Verwesung passiert. Selbst die als sauber geltende Einäscherung wecke unangenehme Vorstellungen.

Schließlich koche dabei sozusagen das Fleisch von den Knochen, die zudem immer wieder mit Haken bewegt werden müssten, damit die Flammen überall hinkämen. Zuvor müssten außerdem batteriebetriebene Implantate wie Herzschrittmacher herausgeschnitten werden.

Wer Vorbereitungen für eine Bestattung trifft, ahnt vermutlich nicht, dass sie zu einem Umweltproblem werden könnte. Wird der Leichnam für eine offene Aufbahrung, wie sie in den USA und Großbritannien üblich ist, oder eine Überführung einbalsamiert, gelangt später die giftige, oft formaldehydhaltige Konservierungsflüssigkeit ins Erdreich und Grundwasser.

Auch Medikamente von starken Herzmitteln bis hin zu Zellgiften wie Chemotherapeutika, die jemand zum Todeszeitpunkt im Körper hatte, versickern ungefiltert. Beim Einäschern sind wiederum aufwendige Filtersysteme nötig, um gesundheitsschädliche Gase von verdampfenden Amalgam-Zahnfüllungen bis hin zu verbrennenden Kunststoffimplantaten zurückzuhalten. Wobei sich die Umweltvorschriften von Land zu Land unterscheiden. In Großbritannien müssen beispielsweise nur 50 Prozent der Quecksilberdämpfe herausgefiltert werden.

Sullivan setzt dagegen mit seinem Resomator nach eigener Aussage "im Prinzip auf denselben Prozess, der auch in der Natur abläuft, wenn ein Körper zerfällt". Um die Leichen aufzulösen, bedient er sich der alkalischen Hydrolyse. Wofür Mikroben und Maden im Erdreich bis zu zwei Jahre benötigen, gelingt seiner Anlage in gerade mal vier Stunden: Der Leichnam wird auf einer Liege im Resomator platziert, bevor die runde Luke geschlossen wird. Dann füllt sich der Tank mit einer fünfprozentigen Kalilauge.

Auf 150 Grad erhitzt, löst sie Haut, Organe, Muskeln und Nerven in ihre molekularen Bestandteile auf. Am Ende bleiben nur die Knochen übrig. Sie können im nächsten Schritt in einer weiteren Maschine zu Pulver gemahlen und wie die Asche von Verstorbenen in einer Urne bestattet werden. "Unser Verfahren ist schneller und umweltfreundlicher als die Einäscherung", sagt Sullivan.

Von alkalischer Hydrolyse spricht Sullivan allerdings nicht so gern. Er benutzt lieber den Begriff Resomation, der sich aus den griechischen Wörtern für "zurück" und "Körper" zusammensetzt. Er meint damit die Rückführung des Körpers in seine organischen Bestandteile. Die Lauge lasse sich nach getaner Arbeit auf den für Abwässer vorgeschriebenen pH-Wert einstellen und in die Kanalisation leiten, sagt Sullivan. Einer Studie der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung zufolge verbraucht die Resomation nur ein Fünftel der Energie einer Einäscherung und halb so viel Wasser.

Ebenso wichtig ist für Sullivan ein respektvoller Umgang mit den Verstorbenen. Das Verfahren des derzeit einzigen Marktkonkurrenten Bio-Response Solutions hält seinem Anspruch nicht stand: Der Prozess dauere zwölf Stunden, und statt die Lauge zu bewegen, lasse die Firma die Toten auf einer schräg gestellten Liege nach und nach in die Flüssigkeit rutschen. "Das ist nicht würdevoll", resümiert Sullivan.

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Doch es dürfte ohnehin schwer werden, die Bestattungsbranche zu überzeugen. Der Preis von etwa 350.000 Pfund (rund 400.000 Euro) pro Tank ist sicherlich ein Hindernis. Andererseits verhalten sich die Kunden oft konservativ: Nach dem Tod von Angehörigen fällt es wohl vielen schwer, sich auf eine neue Bestattungstechnologie einzulassen. "Es ist nicht nur nach dem technisch Machbaren bei der Bestattung von Menschen zu fragen, sondern auch nach dem ethisch Gebotenen", kritisiert Oliver Wirthmann, Theologe und Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Bestatter e.V. Eine breite Akzeptanz kann er sich nicht vorstellen. "Wie schlimm, wenn sich das Gedenken an einen Menschen zu 100 Prozent auflöst!"

Der Ursprung der Technologie wirkt befremdend, doch gerade er belegt die Effektivität. Denn ihre Wurzeln hat die Hydrolyse in der Auflösung von Tierkadavern. In den Neunzigern leitete Sullivan das Europageschäft des US-Unternehmens WR², das ab 2006 zahlreiche Maschinen zur Beseitigung von BSE-Rindern verkaufte. Der Vorteil bestand darin, dass die Lauge im Gegensatz zum Verbrennen die ansteckenden Prionen zuverlässig zerstörte. Damals hatte auch die Pathologie der Mayo Clinic in Minnesota die Idee, das Verfahren für Menschen zu nutzen. WR² baute einen Prototyp, war allerdings kurz nach der Auslieferung insolvent.

Sullivan, überzeugt von der umweltfreundlicheren Bestattungsalternative, gründete 2007 sein eigenes Start-up Resomation, um das Modell auf den Markt zu bringen. Damals schon konnte er den Gegenwind aus der Bestattungsbranche nur zum Teil nachvollziehen. Denn auch bei der Einführung der Einäscherung habe es die Kritik gegeben, dass ein Haufen Asche kaum zum Gedenken an einen Menschen geeignet sei.

Dennoch sollte es weitere zehn Jahre dauern, bis sich Erfolge einstellten. Angesichts der in der Branche herrschenden Vorbehalte haben die Betreiber von Resomation im Hauptmarkt USA jüngere, progressiv denkende Bestatter im Visier. Diese dürfen zwar Einäscherungen selbst durchführen, aber die Konkurrenz ist groß. "Wer also nach vorn schaut und umweltbewusst ist, wird in der Wassereinäscherung eine Chance sehen, aus der Menge hervorzustechen", sagt Howard Pickard, dessen Firma LBBC Technologies der Mehrheitseigner von Resomation ist. Außerdem seien die Betriebskosten geringer.

Inzwischen ist die Bestattungsmethode in drei kanadischen Provinzen und 15 US-Bundesstaaten gesetzlich zugelassen. In Kalifornien soll die alkalische Hydrolyse ab 2020 erlaubt sein. In Großbritannien wird gerade die erste Maschine in einem Krematorium nahe Birmingham installiert. Allerdings verhandelt das Unternehmen noch mit dem Justizministerium über die gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Weit fortgeschrittene Gespräche gibt es Sullivan zufolge zudem in den Niederlanden, viel Interesse in Spanien und Italien. "Gerade kam eine Bestellung aus Illinois herein. In den nächsten anderthalb Jahren erwarten wir sechs bis zehn weitere", sagt Sullivan. "Ich denke wirklich, dass wir dieses Jahr die Wende geschafft haben." Auch nach Deutschland habe man die Fühler ausgestreckt. Aber hierzulande ist die Methode bisher nicht zugelassen.

(bsc)