Entschleunigt und abgehängt

Bei Dallas steht die Ruine des einst geplanten weltgrößten Teilchenbeschleunigers. Er ist ein Mahnmal für Mutlosigkeit und den Verlust einer technologischen Vorreiterrolle.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Anton Weste

Südlich von Dallas in Texas läuft einer der längsten ungenutzten Tunnel der Welt langsam mit Wasser voll. Elektrische Anlagen verrosten. Es sind die Überreste der ambitioniertesten Forschungsanlage, die jemals in den USA entstehen sollte: Der Superconducting Super Coillider (SSC) sollte mal der größte Teilchenbeschleuniger der Welt werden.

In den 70ern und 80ern warteten zahllose neue Theorien aus der Elementarteilchenphysik auf ihre Unterfütterung durch Experimente in Teilchenbeschleunigern. Am bekanntesten war darunter das vorhergesagte Higgs-Boson. Je leistungsfähiger die Anlage war, desto mehr Erfolge versprachen sich die Wissenschaftler.

Die USA wollten – auch in Hinblick auf den Kalten Krieg – ihre Führerschaft in diesem Forschungsfeld ausbauen und mit dem SSC einen gigantischen Beschleuniger errichten: Dank eines Ringtunnels von 87,1 Kilometern Länge und einer maximalen Kollisionsenergie von 40 Tera-Elektronenvolt würde er auch heute noch den Large Hardon Collider des CERN weit in den Schatten stellen.

4,4 Milliarden Dollar sollte der Bau ursprünglich kosten. Anfang der Achtziger begannen die Arbeiten. Aber wie so oft bei Großprojekten wuchs die Summe immer weiter. Als 1993 bereits 2 Milliarden ausgegeben waren und die geplanten Gesamtkosten auf 12 Milliarden geschätzt wurden, begrub der Kongress das Projekt. 16 Schächte und 23,5 Tunnelkilometer waren da bereits fertiggestellt.

Nicht nur das Geld war der Grund: Der Wettlauf mit der Sowjetunion war weggefallen, das zuständige Ministerum fiel durch Misswirtschaft auf und Politiker zweifelten am Sinn eines einzelnen Riesenprojekts nur für die Grundlagenforschung.

Die Einstellung war ein schwerer Schlag für die experimentelle Hochenergiephysik in den USA. Es setzte ein Brain Drain nach Europa ein, wo in Genf das von 19 Mitgliedstaaten finanzierte CERN lockte. Innerhalb von 14 Monaten nach dem Stopp des SSC billigte das CERN den Bau des Large Hadron Colliders (LHC). 2008 nahm der LHC den Betrieb auf. Mit seinem 26,7 Kilometer langen Ringtunnel ist er der heute größte Teilchenbeschleuniger. An Planung und Bau waren über 10.000 Wissenschaftler und Techniker aus über 100 Staaten beteiligt, es kooperierten hunderte Universitätslehrstühle und Forschungsinstitute. Hier machte man schießlich etliche Entdeckungen, die man sich zuvor vom SSC versprochen hatte. 2012 gelang im LHC der Nachweis des Higgs-Bosons.

Man nennt Teilchenbeschleuniger oft die Kathedralen der Physik: Unglaublich aufwändige Bauten, um eine höhere Ordnung zu verstehen. Der Aufwand lohnt sich nicht nur um des reinen Fortschritts willen. Er gibt dem Land, das den teuren Bau wagt, auch einen Leuchtturm, der Wissenschaftler und Investitionen anzieht.

Das Schicksal des SSC erinnert auch an das hohe Gut der Grundlagenforschung, die einer Nutzung vorausgehen muss. Als James Clerk Maxwell um 1864 die Eletrodynamik in Gleichungen beschrieb, betrieb er Grundlagenforschung. Heute fußt auf seinen Überlegungen die komplette Nutzung elektrischer Energie in der modernen Welt.

Bezüglich eines früher gebauten Teilchenbeschleunigers, des Tevatrons, fragte der Kongress den Physiker Robert Wilson, was dieser Bau denn für einen Beitrag zur Sicherheit der Vereinigten Staaten leiste. Wilson antwortete: "Mit der Verteidigung unseres Landes hat er nicht unmittelbar zu tun, außer dass er dafür sorgt, dass es sich lohnt, es zu verteidigen."

China hat angekündigt, bis zum Jahr 2028 einen 52 Kilometer langen Beschleunigerring zu bauen – fast doppelt so lang wie die 26,7 Kilometer in Genf. Ein chinesischer Superbeschleuniger wird Spitzenforscher und Forschungsgelder von Genf nach China locken.

(anwe)