Whataboutism

Der Verkehr ist ein komplexes System, und jeder Eingriff kann bekanntlich unerwartete Folgen nach sich ziehen. Es gibt aber auch wirksame und weitgehend nebenwirkungsfreie Maßnahmen.

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Kürzlich haben wir ein Doppelinterview mit Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund und dem Verkehrsforscher Stephan Rammler geführt. Es erscheint in der nächsten Ausgabe (Technology Review 07/2018). Beide waren sich einig, dass die Verkehrspolitik ein zu komplexes Feld für einfache Lösungen sei. Es hängt eben alles mit allem zusammen: Ansiedlung von Unternehmen, Bau von neuen Wohnungen, Einkaufsmöglichkeiten, Breitbandanschlüsse für die Telearbeit. Fehler, die etwa bei der Raumordnung seit Jahrzehnten gemacht wurden, können auch von der ambitioniertesten Verkehrspolitik nicht innerhalb weniger Jahre korrigiert werden.

Klingt einleuchtend: Dreht man an einem Schräubchen eines komplexen Systems, stellen sich gerne unabsehbare Nebenwirkungen ein. Man kennt das ja aus Ökosystemen: Als etwa die Neuseeländer Hermeline und Wiesel ins Land holten, um die ebenfalls eingeschleppten Kaninchen zu dezimieren, hielten sich die Nager – Huch! – lieber an die Eier der einheimischen Vögel.

Trotzdem gibt es für Städte punktuelle Verkehrsmaßnahmen, die gleichermaßen wirksam und weitgehend nebenwirkungsfrei sind: Die Verbesserung der Radwege. Etwa in Form von sanfteren Auf- und Abfahrten. Kostet ein Schäufelchen Teer, mehr nicht. Oder in einer gradlinigeren Radwegeführung. Wenn ich auf einer Hauptverkehrsstraße geradeaus fahre, möchte ich – wie die Autofahrer auch – vorfahrtsberechtigt bleiben und nicht an jeder Nebenstraße warten müssen. Oder dadurch, den Wald der blauen Radwege-Gebotsschilder radikal zu lichten, damit Radfahrer endlich auch legal auf der Straße fahren dürfen, wenn sie das möchten. Oder durch eine Änderung der Ampelschaltungen, damit Radfahrer und Fußgänger nicht etappenweise über Kreuzungen müssen. Oder durch die Abtrennung von Radspuren durch ein paar simple Poller. Oder, oder, oder …

In letzter Konsequenz heißt das natürlich auch, Autofahrern Platz wegzunehmen, etwa bei vierspurigen Straßen, oder bei der Umwandlung von Parkplätzen in Fahrradständer. Das wird denen nicht gefallen, aber die Reduzierung des Autoverkehrs ist schließlich der Sinn der ganzen Veranstaltung. In dem Maße, in dem Autofahrer aufs Rad umsteigen, bekommen die verbliebenen Autos schließlich auch mehr Raum.

Um dem an dieser Stelle unweigerlich auftauchendem What-about-Argument zuvorzukommen („Und was ist mit all jenen, die aus diesen und jenen Gründen das Fahrrad nicht nutzen können“): Sollen sie halt weiter Auto fahren. Die Frage ist doch: Was ist mit all jenen, die ihre meisten Wege problemlos mit dem Bike erledigen könnten? Was kann man tun, um die aufs Rad zu bekommen? Schließlich sind nach Zahlen der TU Dresden etwa zwei Drittel der PKW-Wege kürzer als 10 Kilometer, und knapp die Hälfte kürzer als 5 Kilometer. Hier sind reichlich niedrig hängende Früchte zu ernten, aber die meisten Städte strecken nicht einmal die Hand aus.

Man braucht nicht immer Millionenbudgets, allumfassende Masterpläne, Superduper-Trassen für Radschnellwege. Oft würde Verkehrsplanern schon etwas Liebe zum Detail helfen sowie die Erkenntnis, dass man auch als Radler nicht aus Jux und Dollerei unterwegs ist, sondern wie jeder andere Verkehrsteilnehmer möglichst zügig, sicher und bequem ans Ziel kommen möchte.

(grh)