Handy-Standortdaten nur mit Gerichtsbeschluss – US-Bürgerrechtler feiern Urteil

Der US Supreme Court verlangt einen bestimmten Gerichtsbeschluss für den Zugriff auf langfristige Handy-Standortdaten. Dem Angeklagten hilft das wohl nicht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 21 Kommentare lesen
Betonturm mit vielen Mobilfunk-Antennen und Richtfunk-Antennen

Das Handynetz weiß, mit welchen Sender ein Handy in Konakt steht. Damit weiß es auch ungefähr, wo sich das Handy befindet.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Strafverfolger müssen einen gerichtlichen Durchsuchungsbefehl (Warrant) erwirken, wollen sie die Standortdaten eines Handys in den USA über längere Zeit auswerten. Ein wesentlich einfacher zu erhaltener Gerichtsbeschluss für den Zugriff auf Aufzeichnungen des Netzbetreibers reicht in der Regel nicht aus. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten Urteil des US Supreme Court im Fall Carpenter v. United States hervor. In Zukunft müssen US-Behörden einen konkreten Tatverdacht haben, bevor sie sich die Standortdaten eines Handys über einen längeren Zeitraum vom Netzbetreiber holen dürfen.

US-Bürgerrechtler feiern dies als "historischen Sieg für den Datenschutz", wie es die American Civil Liberties Union (ACLU) formuliert. Ob der im gegenständlichen Gerichtsverfahren angeklagte Timothy Carpenter von der Entscheidung profitiert, ist allerdings unsicher. Er könnte trotzdem den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen müssen, weil er bei Raubüberfällen auf Elektronikgeschäfte in Michigan und Ohio Schmiere gestanden und jeweils einen gestohlenen Fluchtwagen gelenkt haben soll. Carpenter ist dafür zu mehr als 116 Jahren Haft verurteilt.

Auf dem Handy eines geständigen Räubers hatten Ermittler 16 Telefonnummern gefunden. Mit einem Gerichtsbeschluss nach dem Stored Communications Act besorgte sich das FBI von den Netzbetreibern jene Aufzeichnungen, die zeigen, mit welchem Mobilfunksender die Handys zu welchem Zeitpunkt verbunden waren. US-Netzbetreiber speichern diese Daten in der Regel fünf Jahre lang.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die Ermittler werteten die Bewegungen der Handys über mehrere Monate aus und stellten fest, dass Carpenters Mobiltelefon mehrmals zum Zeitpunkt eines Raubüberfalls in Mobilfunkzellen in der Nähe des jeweiligen Tatorts eingebucht war. Im Gerichtsverfahren spielten diese Daten eine wichtige Rolle. Allerdings hat sich das FBI die Daten rechtswidrig verschafft, wie der Supreme Court nun mit 5 zu 4 Gegenstimmen feststellt.

Für einen Gerichtsbeschluss nach dem Stored Communications Act reicht es aus, wenn die Ermittler "plausible Gründe" (reasonable grounds) dafür anführen, dass die gewünschten Daten für eine laufende Untersuchung "relevant und wichtig" sind (relevant and material to an ongoing investigation). Für einen Durchsuchungsbeschluss (Warrant) müssen die Strafverfolger hingegen bereits andere Informationen haben, die einen konkreten Tatverdacht begründen. Zur Überwachung beliebiger Handys, gegen deren Inhaber es keinen konkreten Verdacht gibt, sollte ein US-Gericht also keinen Durchsuchungsbeschluss ausstellen.

2012 hatte der Supreme Court im Fall United States v. Jones ebenfalls mit 5:4 Stimmen entschieden, dass Ermittler einen Warrant brauchen, bevor sie eine GPS-Wanze am Auto eines Verdächtigen befestigen dürfen. Im aktuellen Fall Carpenter befanden die untergeordneten Gerichte, dass die anhand der Mobilfunkzellen ermittelten Handy-Standortdaten weniger genau als GPS-Daten und daher ein geringerer Eingriff in die Privatsphäre seien. Mithin sei kein Warrant notwendig.

Genau umgekehrt sah es die Mehrheit der Richter des Supreme Court: Die Netzdaten seien "qualitativ anders". "Historische Aufzeichnungen der Mobilfunksender stellen sogar einen größeren Eingriff in die Privatsphäre dar als die GPS-Überwachung (im früheren Fall Jones): Sie geben der Regierung fast perfekte Überwachung und erlauben ihr, in die Vergangenheit zu reisen, um die Schritte einer Person nachzuvollziehen, beschränkt lediglich durch die fünfjährige Speicherfrist der meisten Mobilfunkprovider." Dabei treten "familiäre, berufliche, religiöse und sexuelle Beziehungen" zu Tage.

"Anders als beim GPS-Gerät Jones' muss die Polizei nicht einmal vorher wissen, ob sie eine bestimmte Person verfolgen will, oder wann. Wer immer sich als Verdächtiger herausstellt, wurde im Endeffekt jeden Moment eines jeden Tages fünf Jahre lang beschattet", heißt es in der Begründung der Entscheidung, "Nur die Wenigen ohne Handy könnten dieser unermüdlichen und absoluten Überwachung entgehen." Ein Mobiltelefon mit sich zu führen sei aber "unerlässlich, um an der modernen Gesellschaft teilzunehmen."

Der Fall Carpenter geht nun zurück an das Bundesberufungsgericht für den sechsten Bundesgerichtsbezirk. Es könnte die Standortdaten vom Verfahren ausschließen, was wohl zur Wiederholung des Prozesses führen würde. Wahrscheinlicher ist, dass es dem FBI zugesteht, in gutem Glauben gehandelt zu haben, womit die rechtswidrig erlangten Standorten weiterhin zulässig wären. Diese Vorgehensweise hat einer der drei Richter des Bundesberufungsgerichts bereits 2016 befürwortet. Unabhängig davon gab es belastende Aussagen von sieben Komplizen.

Für zukünftige Fälle ist umfassende Überwachung über Mobilfunknetz-Daten in den USA nur noch gezielt gegen konkret Verdächtige zulässig. In dringenden Fällen darf allerdings auf einen Warrant verzichtet werden. Als Beispiele nennt der Supreme Court fliehende Verdächtige, Bombendrohungen, noch andauernde Schusswechsel, Kindesentführungen, sowie andere Fälle zum Schutz bedrohter Personen oder Beweismittel. Auch kurz dauernde Überwachung sieht der Supreme Court nicht so streng, aber sieben Tage Überwachung ohne Warrant sind ihm jedenfalls zu lang.

(ds)