US-Militär fürchtet neuen Bioterror

In einer Studie des Verteidigungsministeriums heißt es, die synthetische Biologie könnte zu gefährlichen Viren und Bakterien führen.

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US-Militär fürchtet neuen Bioterror
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Von
  • Antonio Regalado
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Eine neue, öffentlich verfügbare Untersuchung des amerikanischen Militärs kommt zu dem Schluss, das neue Gentechnikwerkzeuge die Möglichkeiten problematischer Anwendungen der Biologie erweitern und deren Durchführung beschleunigen. Dazu zählt insbesondere der Bioterrorismus, wie es in dem 221 Seiten starken Bericht heißt, den das US-Verteidigungsministerium beauftragt hat.

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Die neuen Methoden sind nicht selbst gefährlich und werden bereits breit eingesetzt, um beispielsweise schädlingsresistente Pflanzen und neuartige Medikamente zu entwickeln. Der schnelle Fortschritt bei Biotechunternehmen und in den Universitätslaboren steigere aber auch das Risiko, dass Waffen produziert werden könnten, die auf Verfahren aus der synthetischen Biologie basieren.

Die Studie, die von den US National Academies of Sciences herausgegeben wurde, ist eine der ersten, die versucht, Sicherheitsgefahren aus den jüngsten Fortschritten der Gentechnik abzuleiten – darunter die zunehmend beliebte CRISPR-Geneditierungstechnik.

"Die synthetische Biologie erhöht das Risiko. Das sind keine guten Nachrichten", sagt Gigi Gronvall, Forscherin im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung an der Johns Hopkins University, die zu den Autoren der Studie zählt. Die neue Untersuchung zeige nun Möglichkeiten auf, die Gefahr des Missbrauchs "systematisch zu evaluieren".

Experten sind nach wie vor zerstritten, wie problematisch die synthetische Biologie wirklich ist. Der Begriff umfasst diverse Methoden, die es erlauben, gentechnische Verfahren zu beschleunigen. Schon 2016 setzten die US-Geheimdienste die Geneditierung auf ihre Liste von potenziellen Massenvernichtungswaffen.

"Viele verschiedene Gruppen haben über das Thema gesprochen und geschrieben, die Meinungen gehen stark auseinander", so D. Christian Hassell, der in der Ministerialbürokratie des US-Verteidigungsministeriums für den Bereich chemische und biologische Verteidigung zuständig ist und die Studie beauftragt hat. Es gehe darum, einen "Konsens der Meinungen" unter der Topexperten auf dem Gebiet zu finden.

Hassell zufolge sieht das US-Militär die synthetische Biologie aktuell noch nicht als "große Gefahr", bereitet sich aber darauf vor, dass sich das ändert – auch, weil die Entwicklung neuer Impfstoffe Jahre dauern kann.

Die Studie versucht, potenzielle Gefahren zu gewichten, indem Faktoren wie technische Hürden der Implementierung, mögliche Zahl von Opfern und die Wahrscheinlichkeit, Angriffe zu erkennen, berücksichtigt werden. Sie kommt zu dem Schluss, dass gefährliche Anwendungen heute teilweise noch nicht plausibel seien, es in der Zukunft mit weiteren Fortschritten aber werden könnten.

Zu den Risiken, die die Autoren als hoch einschätzen, ist die Möglichkeit, dass Terroristen oder feindliche Staaten Viren wie Pocken "nachbauen" könnten. Techniken, mit denen sich Viren aus DNA synthetisieren lassen, wurden bereits demonstriert.

Der Evaluierungssprozess zeigte auch Risiken auf, die die Autoren als "unerwartet" bezeichnen. In einem Szenario wird dargestellt, dass sich aus einem normalen menschlichen Darmbakterium ein Toxin herstellen ließe – eine Idee, die als hochproblematisch angesehen wird, weil sich ein solcher Angriff wohl kaum frühzeitig entdecken ließe. Ähnlich wie bei einem Computervirus sei auch der Angreifer nur schwer zu ermitteln.

Zu den anderen möglichen Biowaffen, vor denen die Autoren warnen, zählen mehrere, die die variable CRISPR-Geneditierungsmethode einsetzen, die vor sechs Jahren entwickelt wurde. Denkbar wären entsprechend manipulierte Viren, die menschliche DNA "aufschneiden" könnten, um beispielsweise Krebs zu erzeugen. Wenn es Forschern möglich sei, so Erkrankungen bei Tieren zu erzeugen, könnte sich das Genom von Menschen ähnlich verändern lassen.

Andere Gefahren sehen die Experten als weniger problematisch an. Dazu gehören Versuche, komplett neuartige Viren zu schaffen, da es hier zu viele wissenschaftliche Unbekannte gibt – zumindest bis jetzt.

Das US-Verteidigungsministerium, das die Studie beauftragt hat, gehört bereits zu den größten Forschungsfinanziers auf dem Gebiet der synthetischen Biologie.

Obwohl diese Wissenschaft derzeit rein defensiv ist – etwa Studien wie die besagte, in der nach möglichen Angriffspunkten gesucht wird –, könnten die Arbeiten Ängste in anderen Nationen auslösen. Davor warnt auch die Biosicherheitsforscherin Filippa Lentzos vom King's College in London.

"Wir wollen kein neues Biowaffenwettrennen starten. Der Sektor muss sich selbst die Frage stellen, was seine Richtung bestimmt und wie das von Außen wirkt", sagt sie. Die synthetische Biologie habe das Problem, dass große Teile der Forschungsmittel vom Militär kämen.

In der Vergangenheit fürchteten sich die USA und andere Länder vor allem vor bestimmten Erregern wie den Pocken und setzten sie daher auf eine Waffenkontrollliste. Mit den neuen Methoden reicht es jedoch nicht mehr aus, nur diese Liste zu führen.

Laut der Studie müssen die USA auch die neuen technischen Verfahren überwachen, darunter Methoden, mit denen DNA-Stränge synthetisiert werden können – oder die Entwicklung sogenannter "Chassis"-Organismen, die eine genetische Fracht an ihr Ziel transportieren können. All diese Verfahren werden auch von der Industrie vorangetrieben.

"Die US-Regierung muss diesem sich schnell entwickelnden Bereich genau folgen, ähnlich wie sie das bei Fortschritten in der Chemie und Physik im Kalten Krieg getan hat", sagt Michael Imperiale, ein Mikrobiologe an der University of Michigan, der der Herausgeberkommission der neuen Studie vorsaß.

(bsc)