Transformer im Anflug

Ein japanisches Forscherteam hat einen modularen Flugroboter entwickelt, der in der Luft seine Gestalt ändern kann. Der neue Drohnentyp soll künftig als fliegender Roboterarm eingesetzt werden.

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Transformer im Anflug

(Bild: JSK Robotics Lab / University of Tokyo)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Denis Dilba
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Es gibt unzählige Anwendungen für Drohnen: Sie überwachen Industrieanlagen, inspizieren Windräder, suchen nach Katastrophenopfern, messen Luftverschmutzungen und liefern Pakete aus. Ihre Vielseitigkeit hat zu ihrem bis heute ungebrochenen Siegeszug beigetragen. Zumindest was den freien Himmel angeht. Für geschlossene Räume gilt das noch nicht.

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Neben Ausweichmanövern bei umherlaufenden Personen ist die Herausforderung vor allem die sehr vielgestaltige Umgebung: Es gibt offene und halb offene Türen, breite Gänge und große Zimmer ebenso wie enge Kurven und verwinkelte Räume. Ein japanisches Forscherteam vom JSK Robotics Lab der University of Tokyo will diese Probleme künftig mit einem neuen Drohnentyp lösen, der direkt aus einem Science-Fiction-Film entsprungen sein könnte: "Dragon" kann seine Gestalt während des Fluges verändern und so jeweils die Form annehmen, mit der er am besten durch Spalten oder Öffnungen passt.

Sein Aussehen erinnert tatsächlich an einen typischen Schlangen-Drachen der chinesischen Mythologie. Bei Dragon ist allerdings schwer zu sagen, wo der Kopf ist. Das liegt daran, dass der "Dual-rotor embedded multilink Robot with the Ability of multi-deGree-of-freedom aerial transformatiON", kurz Dragon, aus vier gleichartigen Modulen aufgebaut ist. Auf jedem dieser gut 40 Zentimeter langen Abschnitte sind zwei ummantelte Propeller angebracht, die kardanisch gelagert sind und mit einem Servomotor beliebig im Raum ausgerichtet werden können. Die einzelnen Module sind wiederum über Scharniergelenke miteinander verbunden, die ebenfalls ein Servomotor steuert.

Inklusive der auf die vier Segmente aufgeteilten Batterie und dem Kleinstrechner Intel Euclid bringt Dragon knapp 7,5 Kilogramm auf die Waage – viel für einen Flugroboter. Die "Phantom", die weltweit meistverkaufte Drohne vom chinesischen Hersteller DJI, wiegt inklusive Kamera gut ein Kilogramm. Die maximale Flugzeit des schweren Gestaltwandlers beträgt demnach auch nur drei Minuten. Das reicht Dragon aber aus, um zu zeigen, was er kann: Vom Quadrat über eine L- und Zickzack-Form oder eine Spirale bis hin zu einer geraden Linie transformiert sich der fliegende Roboter von der einen in die andere Form.

Ein aktuelles Video des Prototyps, den das Team um Drohnenforscher Moju Zhao Ende Mai auf einer Roboterkonferenz im australischen Brisbane vorgestellt hat, zeigt, wie er durch eine enge quadratische Öffnung fliegt. Sie ist kleiner als die gesamte Drohne, aber knapp größer als ein einzelnes Modul. Also schlängelt sich Dragon einfach hindurch. Die Bewegungen der futuristischen Drohne sind dabei allerdings noch sehr langsam: Es dauert etwas länger als eine halbe Minute, bis Dragon die Passage gemeistert hat. Entwickler Zhao ist trotzdem zufrieden. Wichtig sei ihm gewesen, die grundsätzliche Machbarkeit zu zeigen.

Die Dragon-Entwickler selbst sehen ihren Roboter als eine ideale Plattform für die Manipulation von Objekten aus der Luft. Sie betrachten Dragon als ersten Schritt hin zu einem flexiblen fliegenden Roboterarm, schreiben die Forscher in der Veröffentlichung zur Präsentation des Prototyps. Geplant ist eine Dragon-Version mit zwölf Modulen – die wäre bei gleichen Abmessungen der Module stattliche fünf Meter lang. Schon vorher soll Dragon Objekte aufnehmen und transportieren können, indem er diese zwischen seinen beiden Enden einklemmt, ähnlich wie eine Kneifzange.

"Das wird sicherlich in Kürze funktionieren", sagt Roland Siegwart, Leiter des Autonomous Systems Lab an der ETH Zürich. Die Erwartungen an konkrete Anwendungen von Dragon bremst er jedoch: "Modulare Konzepte wie dieses haben immer den Nachteil, dass man viele Kompromisse eingehen muss. Hier hat man beispielsweise eine stark begrenzte Flugzeit und nicht viel Nutzlast, weil die Gelenkelemente schon so schwer sind." Das könnte sich mit leichteren Komponenten in Zukunft natürlich noch ändern, sagt Siegwart. "Große Sprünge in Sachen Gewichtsreduktion sind in nächster Zeit aber nicht zu erwarten."

TR 08/2018

Technology Review August 2018

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 08/2018 der Technology Review. Das Heft ist ab 19.07.2018 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Als Grundlagen-Forschungsplattform findet Siegwart die Entwicklung jedoch hochspannend. "Insbesondere im Bereich der Regelungsmethoden dürfte Dragon Wissen generieren, das man für die kommende Generation nichtmodularer Fluggeräte verwenden kann." Stoßen heutige Drohnen beispielsweise mit einem Ast zusammen oder fliegen durch starke Windböen, können sie abstürzen.

Ihnen fehlen kippbare Rotoren und eine robustere Flugregelung, um sich zu fangen. Drohnen von morgen hingegen sollen standardmäßig in alle Richtungen und in allen Raumorientierungen fliegen, in Kontakt mit Objekten treten und möglichst auch Kräfte auf sie ausüben können, sagt ETH-Experte Siegwart, der an solchen Systemen forscht.

Eine Anwendung für solche Drohnen wäre beispielsweise die Kontrolle von Rotorblättern bei Windkraftanlagen. "Haarrisse darin erkennt man mit optischer Überprüfung heute nicht oder nur schlecht. Dazu muss man induktive Sensoren in Kontakt mit den Rotoren bringen. Das könnte künftig eine Drohne übernehmen." Siegwart schweben auch Fluggeräte vor, die Wände streichen oder Fenster putzen können. "Für solche Zwecke und auch generell werden Drohnen in Zukunft standardmäßig einen Roboterarm haben", sagt der Forscher.

Moju Zhao hat unterdessen noch mehr Ideen für die Weiterentwicklung von Dragon: Er möchte eine Version entwickeln, in der die Module mehrere Roboterbeine bekommen. So könnte Dragon nicht nur fliegen, sondern sich auch am Boden fortbewegen. Das sei effizienter. Abhängig von seiner Umgebung soll der Roboter dann autonom entscheiden können, welche Fortbewegungsart er wählt. Wo das enden könnte? "Unser ultimativer Traum ist ein fliegender humanoider Roboter – so wie ein unbemannter Iron Man", sagt Zhao.

(bsc)