Verdeckte Personenfahndung im Schengen-Raum nimmt rasant zu

Anfang Juli waren 144.742 Personen zur heimlichen Fahndung im Schengen-Informationssystem ausgeschrieben – mehr als doppelt soviel als Anfang 2016.

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Überwachungskamera
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Europäische Sicherheitsbehörden machen immer stärker von der Möglichkeit Gebrauch, Verdächtige über das Schengener Informationssystem (SIS) grenzüberschreitend heimlich zu überwachen. So waren am 1. Juli 144.742 Personen zur sogenannten verdeckten Fahndung in der riesigen Datenbank ausgeschrieben, die zusammen mit dem Wegfall der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen in weiten Teilen Europas entstand.

Gegenüber Anfang 2016 hat sich die Zahl damit mehr als verdoppelt: damals waren 69.520 Menschen von einschlägigen polizeilichen und geheimdienstlichen Maßnahmen betroffen. Bis Anfang 2017 stieg die Menge auf 96.108, bis Januar 2018 auf knapp 130.000 Menschen. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres kamen so fast 15.000 Personen zusätzlich auf die Liste. Die Angaben sind der heise online vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der linken Bundestagsfraktion zu entnehmen.

Bei einer verdeckten Fahndung erfährt die ausschreibende Behörde etwa bei einer polizeilichen Verkehrskontrolle oder einem Grenzübertritt, wohin eine betroffene Person wann und mit wem gereist ist. Ermittler oder Geheimdienste können die entsprechenden Daten speichern und vor einem späteren möglichen Zugriff zunächst zu umfassenden Bewegungs- sowie Kontaktprofilen verdichten.

Wen die Sicherheitsbehörden ohne Richterbeschluss auf die Beschattungsliste setzen, bleibt geheim. Auch nachträglich können sich Betroffene kaum gegen die Ausspähung wehren, da auch nach Abschluss einer Überwachungsaktion auf EU-Ebene keine Informationspflicht besteht. Damit blieb es den Mitgliedsstaaten überlassen, selbst eventuell Vorgaben über eine Benachrichtigung der verdeckt Verfolgten festzusetzen. Deutschland hat zwar von dieser Option Gebrauch gemacht, trotzdem kann eine Information auch hierzulande im Interesse der inneren Sicherheit unterbleiben. Die heimlichen Ausschreibungen selbst gehen vor allem auf die Konten von Frankreich (86.487 mit Stand 1. Juli), Großbritannien (17.760) und Spanien (14.781).

6015 Personen waren laut den Regierungsangaben Anfang Juli verdeckt zur beschleunigten beziehungsweise "unverzüglichen" Meldung an andere Sicherheitsbehörden über nationale Verbindungsbüros ausgeschrieben. 9025 Verdächtige waren mit dem noch jungen Zusatzvermerk "Aktivität mit Terrorismusbezug" versehen. Im Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) des SIS sind dem Schreiben nach derzeit rund 135.000 Fingerabdruckdaten gespeichert. Rechercheanfragen dazu beantworte Deutschland in der Regel "innerhalb kürzester Zeit", also binnen weniger als einer Minute.

"Die Umsetzung oder Implementierung einer Gesichtserkennung in einem AFIS" sei derzeit nicht vorgesehen, teilt das federführende Bundesinnenministerium mit. Für die Inanspruchnahme einer Fahndungskategorie "Ausschreibung unbekannter Personen" müssten erst noch die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Der Erlass dreier neuer Verordnungen zum Schengen-Informationssystem sei aber schon für Oktober vorgesehen, sodass Maßnahmen zur technischen Umsetzung möglicherweise auch der damit abgedeckten Gesichtserkennung sowie der Recherche nach DNA-Profilen im Anschluss beginnen könnten. Auch Europol werde mit den Neuerungen das Recht erhalten, auf die SIS-Daten mit allen Fahndungskategorien zuzugreifen.

Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko kritisiert die heimlichen Ausschreibungen seit Langem als kaum kontrollierbares Blackbox-Verfahren. Den Linken irritiert nun, dass SIS weiter ausgebaut werden solle, obwohl das Innenministerium keinen Grund nenne für den starken Anstieg der verdeckten Verfolgung. (axk)