Ein schwimmendes Kernkraftwerk für Sibirien

Seit Jahrzehnten treiben kleine Kernreaktoren in Flugzeugträgern, Eisbrechern und U-Booten durch die Weltmeere. Die gleiche Technologie legt nun die Basis für schwimmende Kernkraftwerke, die entlegene Regionen mit Strom versorgen sollen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Ein schwimmendes Kernkraftwerk für Sibirien

(Bild: Rusatom)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jan Oliver Löfken

Vorreiter dieser Nuklear-Renaissance im kleinen Maßstab ist die russische Atomenergie-Agentur Rosatom. Sie weihte jetzt ihren Prototyp "Akademik Lomonossow" im Hafen von Murmansk ein. Auf dem 144 Meter langen und 30 Meter breiten Ponton ohne eigenen Antrieb finden zwei Reaktoren mit jeweils 35 Megawatt elektrischer Leistung Platz. Das reicht rechnerisch aus, um eine Stadt mit 200.000 Einwohnern mit Strom zu versorgen. Zusätzlich wird die thermische Leistung der beiden Reaktoren auf etwa 150 Megawatt taxiert.

Mehr Infos

Derzeit wird das schwimmende Kernkraftwerk mit Brennstäben aus niedrig angereichertem Uran bestückt. Sie enthalten 20 Prozent Uran-235-Anteil. Kommendes Jahr soll die "Akademik Lomonossow" dann nach Pewek, einer etwa 350 Kilometer nördlich des Polarkreises gelegenen nordsibirischen Siedlung, geschleppt werden. Nicht nur die 5000 Einwohner soll das Kraftwerk mit Strom und Wärme versorgen, sondern auch russische Bohrinseln. Hintergrund ist die geplante Ausbeutung großer Gas- und Ölvorkommen in der arktischen Region, in der die Temperaturen im Winter auf bis zu minus 60 Grad Celsius sinken können.

Installiert sind Druckwasserreaktoren der dritten Generation. Und zwar der in den Atomeisbrechern der Taymyr-Klasse erprobte Typ KLT-40S. Rosatom ist von ihrer Sicherheit überzeugt. Der rund 270 Millionen Euro teure Prototyp soll schweren Stürmen und Tsunamis nach Erdbeben der Stärke zehn gefahrlos standhalten können. Dazu befinden sich die Reaktoren in mit Wasser gefluteten Sicherheitsbehältern. Simulationen zeigten, dass eine Kernschmelze dank der Pumpen eines aktiven Kühlsystems und der Flutung des Reaktorkerns vermieden werden könnte. Auch bei Ausfall aller Kühlpumpen soll die passive thermische Zirkulation des Wassers im Reaktor die Brennstäbe für 24 Stunden kühlen können. Doch danach müsste weiteres Kühlwasser von außen nachgefüllt werden.

Aber: "Ein Atomkraftwerk ohne Betonschutzhülle, dazu auf einem schwimmenden Ponton im stürmischen arktischen Meer unter widrigsten Witterungsbedingungen – das ist wirklich riskant", warnt Heinz Smital, Atomenergie-Experte von Greenpeace. Sollte sich der Atomponton bei einem Sturm losreißen, wäre er ohne eigenen Antrieb sofort manövrierunfähig. Die Eindämmung einer Kernschmelze könnte damit schon rein logistisch in eiskalter, rauer See zum Scheitern verurteilt sein.

Trotz des Einwands hält Rosatom an seinem Konzept schwimmender Atommeiler fest. Neben der strategischen Bedeutung solcher Kraftwerke für die Ausbeutung der Arktisregion lockt außerdem eine weltweite Nachfrage. Denn die Reaktoren ohne direkten Kohlendioxidausstoß werden von Rosatom gern als klimafreundliche Alternative zur Kohleverstromung propagiert. "Wir erwarten großes Interesse, insbesondere von Inselstaaten, wo sich die Entwicklung einer zentra-lisierten Energie-Infrastruktur schwie-rig gestaltet", sagt Rosatom-Direktor Alexej Lischaschew. Tatsächlich sollen bereits Länder wie Algerien, Indonesien, Malaysia und Argentinien Interesse an den russischen Schwimmmeilern gezeigt haben.

Allein beackern die russischen Anbieter das Feld allerdings nicht. Auch die Naval-Gruppe, ein französisches Nuklearkonsortium, entwickelt mit "Flexblue" eine schwimmende Modulplattform mit mindestens 50 Megawatt Leistung. Das Konzept ist allerdings noch weit von einer Umsetzung entfernt. Auch die China General Nuclear Power Group plant, bis 2020 kleine Reaktoren mit 100 Megawatt Leistung an Bord von tankerähnlichen Schiffen vom Stapel zu lassen.

(bsc)