Polizeigesetz Niedersachsen: "Freiheitsrechte bis zur Unkenntlichkeit beschnitten"

Im Zuge einer Anhörung zur geplanten Reform des niedersächsischen Polizeirechts hagelt es Kritik von vielen Seiten etwa gegen Staatstrojaner.

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(Bild: freeimages.com)

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Der niedersächsische Landtag will den weitgehenden Regierungsentwurf zur Novelle des Polizeigesetzes gründlich prüfen. Gleich drei Tage haben sich die Abgeordneten des Innenausschusses für die Anhörung von Experten reserviert, los ging es am Donnerstag. Laut den vorliegenden Stellungnahmen müssen die Volksvertreter die rot-schwarze Initiative gründlich überarbeiten und teils einstampfen, um sie mit dem Grundgesetz vereinbar zu machen.

"Unter dem Deckmantel, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, beschneiden die vorgeschlagenen Regelungen die Freiheitsrechte der Bürger bis zur Unkenntlichkeit", moniert die niedersächsische Datenschutzbeauftragte Barbara Thiel. Die Regierung verfolge offenbar das Ziel, der Polizei "alle nur denkbaren Maßnahmen gegen sogenannte terroristische Gefährder an die Hand zu geben". Dabei schieße sie weit über das Ziel hinaus. Es werde "nicht ansatzweise erkennbar, warum derartige Verschärfungen erforderlich sind". Neu in Stellung gebrachte Werkzeuge wie die elektronische Fußfessel oder Staatstrojaner würden nicht ausführlich begründet.

Verfassungswidrig sei der umrissene Einsatz von Bodycams im "Pre-Recording-Modus", konstatierte die Datenschützerin. Mit dieser Funktion, bei der kontinuierlich jeweils maximal 30 Sekunden in einem gesonderten Speicher aufgezeichnet und später überschrieben werden, würde verdeckt eine Vielzahl Unbescholtener aufgenommen. Thiel bedauerte, dass eine allgemeine Videoüberwachung künftig "bei jeder infrage kommenden Straftat" zulässig sein solle und das Landesrecht nicht an die neue EU-Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz angepasst werde.

Beim Versuch, alles rechtlich Mögliche auszuschöpfen, erlaubten sich SPD und CDU "einen übermäßigen Schluck aus der Überwachungsflasche", rügt Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise. Die Regierung wolle "durch offene Formulierungen und ohne hinreichende Kontrollvorkehrungen der Polizei Eingriffsbefugnisse einräumen, von denen jeder auch noch so Rechtschaffene in Niedersachsen betroffen sein kann".

Der frühere schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Weichert und seine Kollegen wenden sich wie viele Kritiker vor allem gegen die skizzierten Kompetenzen der Ermittler für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und heimliche Online-Durchsuchungen mithilfe von Staatstrojanern. Diese stellen ihnen zufolge massive Eingriffe in die Grundrechte auf Datenschutz und auf Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen sowie in das Fernmeldegeheimnis dar. Es fehle der Nachweis, dass solche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr angesichts der damit einhergehenden Risiken für die IT-Sicherheit gerechtfertigt seien.

Insgesamt hat das Netzwerk eine "Vielzahl von rechtlichen Defiziten" in dem Entwurf ausgemacht. Die Schwelle der "dringenden Gefahr" als Voraussetzung etwa für die präventive Telekommunikationsüberwachung sei ähnlich unbestimmt wie die der "drohenden Gefahr" im neuen bayerischen Polizeirecht. Sie lade dazu ein, die damit verknüpfen Instrumente "extensiv" zu nutzen. Auch Vorgaben zur Audio- und Videoüberwachung bei öffentlichen Veranstaltungen, zur verdeckten Personenbeschattung im öffentlichen Raum, zum Einsatz elektronischer Fußfesseln oder die Herausgabepflicht von Bild- und Tonträger "von potenziell Jedermann" seien teils "uferlos".

Der Chaos Computer Club (CCC) bezeichnet das ganze Vorhaben als "mehr als fragwürdig". Beim Staatstrojaner folge Niedersachsen dem "fatalen Trend, immer mehr staatliches Hacken zuzulassen". Der Einsatz von Spionagesoftware sei dabei ohne nennenswerte Schranken vorgesehen, was "verfassungsrechtliche Grenzen bis zur Unkenntlichkeit" aufweiche. Der vom Bundesverfassungsgericht abgesteckte Kernbereich der privaten Lebensgestaltung werde nur soweit geschützt, "wie der Wunsch nach staatlichem Hacking es eben zulässt". Die Klausel müsse daher gestrichen werden. Besonders anstößig an der geplanten verdeckten akustischen und optischen Bespitzelung im öffentlichen Raum sei, dass Betroffene im Nachgang nicht darüber informiert werden müssten.

"Unverhältnismäßig hohe, massive Einschränkungen der Grundrechte" beklagt der Verein für freien Wissenszugang SUMA-EV. Der kommende Niedersachsentrojaner sei gleichzusetzen mit bösartiger krimineller Schadsoftware und hebele den Schutz von IT-Systemen aus, was zahlreiche Nutzer in Mitleidenschaft ziehe. Es würden in der Regel Sicherheitslücken ausgenutzt, die eigentlich den jeweiligen Herstellern gemeldet und daraufhin geschlossen werden müssten. Der Staat untergrabe so die Möglichkeiten der Bürger, ihre Privatsphäre und digitale Unversehrtheit durch Firewalls, regelmäßige Systemaktualisierungen oder Verschlüsselungssoftware zu schützen.

Kein gutes Haar an der Initiative lässt die Opposition. Die Grünen etwa werteten den Entwurf als "Tiefschlag für die Bürgerrechte", der an mehreren Punkten nachweislich verfassungswidrig sei. Die Liberalen und die Jusos sind ebenfalls gegen das Vorhaben. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte dagegen, dass die Landesregierung "relativ zügig" einen Gesetzentwurf vorlegt habe, der noch dieses Jahr verabschiedet werden solle.

Gegner der Reform haben sich zu dem Bündnis #noNPOG zusammengeschlossen. Sie wollen ihren Protest am 8. September auf die Straße tragen und rufen zu einer Großdemonstration in Hannover auf. Niedersachsen dürfe nicht Bayern werden, lautet ihre Devise. In München hatte der Zusammenschluss "NoPAG" im Mai über 30.000 Teilnehmer für eine Kundgebung gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) mobilisiert. Mit der Mehrheit der CSU beschloss dieses der Landtag des Freistaats trotzdem kurz darauf. (jk)