Biotechnik: Genesis im Genlabor

Gensequenzen vom Reißbrett, Bakterien mit künstlichen Chromosomen und zusätzlichen Basen für den genetischen Code: Die synthetische Biologie macht rasante Fortschritte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Biotechnik: Genesis im Genlabor

Jef Boeke

(Bild: NYU School of Medicine)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Monique Brouillette
  • Antonio Regalado
  • Bryan Walsh
Inhaltsverzeichnis

Warum sollte sich jemand so etwas vornehmen?" Das fragte sich Jef Boeke, als er erstmals von dem Plan hörte, das Genom der Brauhefe oder auch Backhefe (Saccharomyces cerevisiae) komplett künstlich herzustellen. Doch dann habe er begriffen, dass diese Synthese der beste Weg sein könnte, den Organismus zu verstehen, erinnert sich der US-Forscher, heute Leiter des Synthetic Yeast Genome Project (Sc2.0).

Mehr Infos

Die Idee nahm auf einer Konferenz vor bald 15 Jahren Gestalt an. Mit der Hefe wählten die Wissenschaftler einen gut erforschten Organismus, dessen Erbmaterial bereits 1996 entschlüsselt war: 16 Chromosomen mit rund 13 Millionen Basenpaaren. Vor allem aber gehört Saccharomyces cerevisiae wie der Mensch zu den sogenannten Eukaryoten, und das Genom liegt ebenfalls in Chromosomen gebündelt im Zellkern vor. Zusätzlich teilen sich Mensch und Hefe nicht nur rund ein Drittel der 6000 Gene, beide Zellen enthalten auch ähnlich komplexe Strukturen. Boeke sieht deshalb in dem Einzeller ein großartiges Modell, um die "Grundschaltungen von höher entwickelten Zellen zu verstehen". Damit wird das Hefeprojekt dazu beitragen, das menschliche Genom besser kennenzulernen. Und es soll zeigen, ob die synthetische Biologie auch völlig neue Organismen erschaffen kann.

Sechs der 16 Chromosomen sind inzwischen synthetisiert. Mehr als 200 Forscher von gut zehn Universitäten aus verschiedenen Ländern, aber auch aus einigen Unternehmen haben daran gearbeitet. Boekes Hoffnung hat sich bestätigt. "Indem man jedes Teil ersetzt, lernt man, welche Gene wichtig und welche nicht unbedingt lebensnotwendig sind", sagt der Forscher, der heute als Gründungsdirektor das Institute for Systems Genetics am Langone Medical Center der New York University leitet.

Künftig soll die Erbgutproduktion noch deutlich schneller vonstatten gehen: Boeke hat federführend mit Harvard-Genetiker George Church und anderen Forschern 2016 das Genome Project-Write ins Leben gerufen. Die Initiative soll das Synthetisieren von Genomen ähnlich kostengünstig machen, wie es bei der Entschlüsselung bereits gelungen ist.

Die Wissenschaftler geben sich aber längst nicht damit zufrieden, das natürliche Hefe-Genom einfach durch ein künstliches zu ersetzen. "Das wäre nicht mehr als eine Showeinlage", sagt Church. Vielmehr haben sie kleine Sollbruchstellen eingebaut. Dieses System, das unter dem Akronym SCRaMbLE (Synthetic Chromosome Recombination and Modification by LoxP-mediated Evolution) firmiert, erlaubt es den Forschern anschließend, Chromosomen-Sequenzen durcheinanderzumischen wie in einem Kartenspiel.

Das Ergebnis ist eine enorm schnelle, vom Menschen getriebene Evolution: Millionen neuer Hefestämme mit unterschiedlichen Eigenschaften können im Labor auf Anwendungsmöglichkeiten in Medizin und Industrie getestet werden. Geht der Plan auf, könnten künftig quasi am Reißbrett Zellen konstruiert werden. "Es besteht die Möglichkeit, dass wir eines Tages Genome für spezielle Zwecke kreieren – zum Beispiel, um neue Impfstoffe oder Medikamente herzustellen", sagt Boeke. Church glaubt gar, die Veränderungen könnten am Ende weitreichender sein "als die Weltraum- oder die Computerrevolution". Für den Harvard-Genetiker sind die Potenziale sogar größer als die Chancen des Gen-Editing: "Wir sehen hier etwas, das weit darüber hinausgeht."

Ein Gefühl für diese Zukunft bekommt, wer Alec Nielsen und sein Start-up Asimov in Cambridge, Massachusetts, besucht. Der Bioingenieur tippt Anweisungen für eine genveränderte, gelb leuchtende Hefezelle in seinen Laptop. Er sagt dem Programm, womit er die Hefe füttern will und dass sie ein fluoreszierendes Protein bilden soll, das sonst in Quallen vorkommt. Der Computer braucht 60 Sekunden, um die rund 11000 DNA-Buchstaben umfassende Sequenz auszuspucken, die an einen Schaltplan erinnert.

Mit seiner Software "Cello" hat Nielsen sich an Programmen orientiert, die zur Planung von elektronischen Schaltungen und Computerchips mit Milliarden von Transistoren eingesetzt werden. Er hofft, damit einige Probeläufe beim Kreieren von Organismen einsparen zu können. "Wir wollen dieses komplexe Problem so einfach wie die Programmierung eines Computers machen", sagt Christopher Voigt, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Mitbegründer von Asimov. "Wir beginnen nun darüber nachzudenken, wie wir den elektronischen Schaltungsentwurf in das genetische Schaltungsdesign überführen können."

Eine neue Ära der Biotechnologie zeichnet sich ab. Und damit auch eine neue Debatte über ihre Risiken: Was passiert, wenn die Wesen der neuen Schöpfung auf die Organismen der alten treffen? Noch ist vieles unbekannt, Forschung in diese Richtung tut daher Not. Schließlich sollen die Mikroben künftig Proteine, Treibstoffe oder Chemikalien herstellen oder zu intelligenten, gezielt wirkenden Medikamenten avancieren. Das US-Start-up Synlogic etwa hat mit entsprechend ausgestatteten Escherichia-coli-Bakterien erste klinische Studien absolviert. Sie sollen bei seltenen genetisch bedingten Stoffwechselerkrankungen des Harnstoffzyklus (Urea Cycle Disorders) und einer Leber-Hirn-Störung (hepatische Enzephalopathie) helfen.

Aber kein Genetiker wagt sich so weit vor wie Floyd Romesberg. Der Forscher vom kalifornischen Scripps Research Institute arbeitet seit mehr als 15 Jahren an einem erweiterten genetischen Code. Während in natürlicher DNA nur die vier Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin vorkommen, gelang es Romesbergs Labor 2014, zwei weitere künstlich erzeugte Basen – X und Y – in das Genmaterial des Bakteriums E. coli einzuschleusen. Aber frühe Versionen der Bakterien waren nicht allzu gesund. Sie starben oder entledigten sich der zusätzlichen Buchstaben in ihrer DNA. Wie Romesberg es formuliert, fehlte ihnen noch "die Kraft des wahren Lebens".

Nun haben die US-Wissenschaftler die nächste Stufe erreicht: Sie haben nicht nur ein stabileres Bakterium entwickelt, sondern die Mikrobe auch dazu gebracht, mit dem teilweise fremden Code ein völlig neues Protein herzustellen: ein leuchtend grünes Eiweiß, das eine Aminosäure enthält, die es in der Natur nicht gibt.

Noch fehlt der praktische Nutzen. Er aber könnte nur eine Frage der Zeit sein. "Wir wissen nicht, was die Grenzen unserer Fähigkeit sind, lebende Systeme zu entwickeln, aber dieses Paper zeigt, dass wir nicht auf vier Basen beschränkt sind", kommentiert MIT-Bioingenieur Peter Carr. Romesberg jedenfalls macht bei seinen "halbsynthetischen" Organismen nicht halt. Er ist überzeugt, das Leben, wie wir es kennen, sei vielleicht nicht die einzige und vielleicht auch nicht die beste Lösung: "Wir werden Dinge tun, die sonst niemand kann", kündigte er an.

(bsc)