Einfacher Bluttest für Krebs

Eine simple Blutanalyse, um Krebs früh erkennen und heilen zu können, könnte Menschen viel Leid ersparen. Nun geben erste Erfolge der Liquid Biopsy Rückenwind.

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Neue Spuren im Blut

Dennis Lo

(Bild: CUHK)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Birgit Herden
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Krebs kann jeden treffen – wann immer sich eine von Trillionen Körperzellen teilt, können rein zufällige Kopierfehler im Erbgut zu ungebremstem Wachstum führen. Jede zweite Diagnose gleicht noch immer einem Todesurteil. Doch nun zeichnet sich ein Hoffnungsträger ab: die Krebsfrüherkennung mittels Liquid Biopsy. Vor wenigen Jahren galt sie als kühne Vision, doch erstaunlich schnell zeichneten sich erste Erfolge ab. Die Idee: Bei vielen Tumoren lösen sich fortlaufend tote Zellen ab, Bruchstücke ihrer DNA zirkulieren daraufhin im Blutkreislauf.

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Da sich das mutierte Erbgut von DNA aus gesunden Zellen unterscheidet, könnte man im Prinzip aus einer Blutprobe herauslesen, ob bei einem Menschen unbemerkt ein Tumor heranwächst. Früherkennung wäre so einfach wie ein großes Blutbild. Und nichts erhöht die Heilungschancen stärker als die rechtzeitige Erkennung eines Geschwulsts, darin sind sich Mediziner nach Jahrzehnten der Krebsforschung weitgehend einig.

Doch so bestechend das Konzept ist, so gewaltig sind die Hürden. Selbst mit modernen Methoden sind Aufwand und Kosten erheblich, um im Blut mutierte Gensequenzen in einem Meer von gesundem Erbgut aufzuspüren. Zudem kennt man aus Krebszellen inzwischen Millionen Mutationen. Gigantische Datenanalysen sind nötig, um die krankheitsverursachenden Veränderungen herauszufinden. Umgekehrt aber darf der Test nicht zu viele Fehlalarme produzieren. Denn voreilige Krebsdiagnosen sind eine psychische Belastung, unerkannte Erkrankungen würden die Betroffenen in falscher Sicherheit wiegen. Daran scheiterten bisher viele Screening-Verfahren. Und am Ende soll der Test auch noch bezahlbar sein.

Das klingt schier unmöglich, aber die renommierte Forschergruppe um Nickolas Papadopoulos vom amerikanischen Johns Hopkins Kimmel Cancer Center hat nun einen ersten konkreten Vorschlag vorgelegt, wie es gelingen kann. Der von ihnen entwickelte Test CancerSEEK sucht nach acht häufigen Krebstypen und soll in den USA im Rahmen einer fünfjährigen Studie bei 50.000 Frauen im Rentenalter zum Einsatz kommen. "Unser Ziel war ein breit angelegtes Screening", sagt Papadopoulos. "Der Test musste daher billig und nichtinvasiv sein." CancerSEEK sucht nach 16 Krebsmutationen und acht Eiweißstoffen, die im Zusammenhang mit Tumoren auftreten. Mit dieser Kombination testeten sie zunächst 1005 Menschen, bei denen bereits Krebs in Eierstöcken, Leber, Magen, Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre, Darm, Lunge oder Brust diagnostiziert worden war. Als Kontrollgruppe dienten 812 Personen, bei denen keine Krebserkrankung bekannt war. Die Ergebnisse machen zumindest Mut: Der Test schlug bei 70 Prozent der Kranken an, dagegen bei weniger als einem Prozent der gesunden Probanden.

"Die Studie ist konzeptuell ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer verbesserten Früherkennung", kommentiert Holger Sültmann vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Er hält es aber noch für verfrüht, CancerSEEK schon jetzt zur Früherkennung einzusetzen. Um einen neuen diagnostischen Test zu etablieren, "ist die Studie klinisch noch nicht sensitiv und spezifisch genug".

Denn gezeigt haben die Forscher bislang nur, dass CancerSEEK eine bereits diagnostizierte Krebserkrankung erkennt, nicht aber, ob er auch unter scheinbar gesunden Menschen einigermaßen zuverlässig Krebs aufspüren kann. Unter den kranken Testpatienten, die sich in einer frühen Krankheitsphase befanden, schlug CancerSEEK nur in 43 Prozent der Fälle an. Beim Einsatz als Früherkennung dürfte die Sensitivität sogar noch geringer sein. Auch die Zahl der falsch positiven Ergebnisse dürfte sich unter realistischen Bedingungen erhöhen, weil dann nicht nur Gesunde, sondern auch Menschen mit anderen Leiden, etwa entzündlichen Erkrankungen, getestet werden.

Die Entwicklung dürfte allerdings weitergehen, nicht zuletzt aufgrund großer Investitionen in das Feld. Grail, ein 2016 gegründetes Joint Venture, verfügt inzwischen über mehr als eine Milliarde Dollar, zu den Investoren gehören der Genanalyse-Spezialist Illumina, die Pharmafirma Johnson & Johnson, Amazon-Gründer Jeff Bezos, Bill Gates und etliche andere. Das erklärte Ziel ist ein Bluttest, der beim jährlichen Gesundheitscheck alle wichtigen Krebsarten abdeckt. Auf dem Weg zu diesem Heiligen Gral der Krebsforschung sammelt Grail derzeit Blutproben von 120.000 Frauen, um einen Test zur Früherkennung von Brustkrebs zu entwickeln.

Das Unternehmen hat sich zudem mit Dennis Lo zusammengetan. Der Forscher von der Universität von Hongkong ist einer der geistigen Väter der Liquid Biopsy. Ihm gelang 1997 nach langer, hartnäckiger Forschung der Nachweis, dass im Blut schwangerer Frauen DNA-Bruchstücke des ungeborenen Kindes zirkulieren. Die Entdeckung hatte weitreichende Folgen. Inzwischen können Frauen schon während der frühen Schwangerschaft durch einen Bluttest erfahren, ob der Fötus an Trisomie 13, 18 oder 21 leidet. Zuvor war dies nur durch eine invasive Untersuchung möglich, die eine Fehlgeburt auslösen kann. Für Trisomie 21 liegt inzwischen eine Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschuss vor, der bei neuen Arzneimitteln prüft, ob Krankenkassen sie erstatten müssen. Sie bescheinigt dem Test eine hohe Genauigkeit.

Nun will Lo das Verfahren nutzen, um Krebs früh zu erkennen. Einen ersten Test für Nasenrachenkrebs hat er bereits entwickelt. Dieser in Südchina und Südostasien weit verbreitete Tumor lässt sich leicht diagnostizieren, denn er tritt im Zusammenhang mit dem Epstein-Barr-Virus auf, und die virale DNA kann man vergleichsweise einfach nachweisen. Im Jahr 2013 testeten Forscher das Verfahren an 20.000 chinesischen Männern mittleren Alters. In 309 Fällen war das Ergebnis positiv, von diesen hatten 34 Männer tatsächlich Nasenrachenkrebs im Frühstadium, ohne davon gewusst zu haben. Dagegen erkrankte von den 19.000 negativ getesteten Männern nur ein einziger im Verlauf der nächsten Jahre. Um den Test auf den Markt zu bringen, hat Lo das Start-up Cirina gegründet. Vergangenes Jahr fusionierte es mit Grail.

Noch greifen die Forscher nach den niedrig hängenden Früchten, wie das Beispiel Nasenrachenkrebs-Screening zeigt. Manche Experten bezweifeln sogar, dass es je einen zuverlässigen Bluttest für die allgemeine Früherkennung von Krebs geben wird, da ein Tumor im sehr frühen Stadium womöglich noch gar nicht an den Blutkreislauf angeschlossen sein könnte. Aber die vergangenen Monate haben zumindest die Hoffnung auf eine neue Waffe gegen den Krebs genährt – und zwar stärker als viele jüngst gefeierte Medikamente. Denn diese verlängern das Leben am Ende oft nur um ein paar Monate. Eine einfache Früherkennung hingegen kann es retten.

(bsc)