Der größte Wasserfilter der Welt

Wenn alles nach Plan läuft, wird die Initiative Ocean Cleanup schon bald die ersten Tonnen Plastikmüll aus dem Pazifik fischen. Im September soll der erste Riesenfilter zu Wasser gelassen werden.

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Der größte Wasserfilter der Welt
Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Steffan Heuer
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Auf den ersten Blick sieht es nach Reparaturarbeiten nach einem Wasserrohrbruch aus. Eine Handvoll Arbeiter mit Sicherheitswesten sind an diesem nebligen Aprilmorgen vor der Kulisse der Bucht von San Francisco damit beschäftigt, große Plastikrohrteile aufzuständern und miteinander zu verschweißen. Doch ihre Bemühungen haben durchaus Potenzial, in die Geschichte der denkmalgeschützten Marinebasis von Alameda einzugehen. Denn hier sind nicht die Stadtwerke zugange. An diesem Tag stellt Boyan Slat, der 23 Jahre junge Gründer von Ocean Cleanup, einer handverlesenen Gruppe von Gästen seine gigantische Filteranlage für Plastikmüll vor, die voraussichtlich im Spätsommer in den Pazifik geschleppt wird, um auf halber Strecke zwischen San Francisco und Hawaii den Testbetrieb aufzunehmen.

Auf dem Gelände eines ehemaligen Marinestützpunktes, von dem unter anderem die Wasserflugzeuge von Pan American World Airways einst nach China aufbrachen, führte der Holländer durch den Montagebereich für "System 001". Es ist der erste von insgesamt 60 geplanten Filtern, die sein gemeinnütziges Unternehmen rund 1600 Kilometer vor der Westküste der USA platzieren will, um den sogenannten Great Pacific Garbage Patch von Millionen von Plastikteilen zu befreien – von alten Netzen und Bojen bis zu jeder nur erdenklichen Sorte Zivilisationsmüll, der seinen Weg ins Meer gefunden hat.

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Slat, schwarzer Wuschelkopf und signalfarbene Segeljacke, steht mit einem leicht verlegenen Grinsen vor seiner Erfindung, die nun endlich in Originalgröße zusammengebaut wird. Fast sechs Jahre ist es her, als er als schüchterner 18-Jähriger die Bühne der TU Delft betrat, wo Fans der renommierten TED-Vortragsreihe eine örtliche TEDx-Veranstaltung organisiert hatten. Er sprach davon, wie ihm beim Tauchurlaub in Griechenland immer wieder Plastiktüten vor die Brille trieben.

In seinem elfminütigen Vortrag stellte er eine fantastisch klingende Lösung vor, um die Meere vom Fluch des "Plastik-Zeitalters" zu befreien: eine gewaltige Filteranlage aus zwei je 50 Kilometer langen Armen. Eine Phalanx aus 24 am Meeresboden verankerten Plattformen würde das Plastik sammeln und für den Abtransport komprimieren. Das Video wurde zum viralen Hit und auf YouTube bis heute mehr als 2,7 Millionen Mal aufgerufen.

Vor sechs Jahren stellte Boyan Slat seine Idee eines gigantischen Plastikfilters für die Weltmeere vor. Nun wird er zu Wasser gelassen.

Doch viele Experten hielten die Idee für Spinnerei. Selbst jene, die Slat ernst nahmen, glaubten nicht, dass sein Plastikfilter jemals Realität würde. Doch Slat schaffte es, mehr als 35 Millionen Dollar einzusammeln. Nach zwei Crowdfunding-Kampagnen sind große Mäzene eingestiegen, allen voran Salesforce-Gründer Marc Benioff, der umstrittene Hightech-Milliardär Peter Thiel sowie die Stiftung der Schweizer Bank Julius Bär.

Nun liegt der Plastikfänger vor ihm: zwölf Meter lange, schwarze HDPE-Plastikrohre mit einem Durchmesser von 1,20 Metern. Gefertigt in Österreich, werden sie in Alameda zu einer durchgehenden, 600 Meter langen Kette verschweißt. Dazu senkt ein zweiköpfiges Team eine Heizscheibe zwischen zwei Rohrenden, die den Kunststoff erhitzt. Anschließend haben die Arbeiter 30 Sekunden Zeit, die beiden Schnittstellen zusammenzudrücken. Nach etwa 100 Minuten ist die Verbindung belastbar und kann auf den Ständern vorwärts geschoben werden, um ein weiteres Teil anzufügen.

Auf dem Wasser wird ein Kabel nahe der beiden Enden befestigt und die lange Gerade zu einem U spannen, ähnlich wie ein Schütze seinen Bogen. Entlang der Unterseite des Rohrs wird dann an einer Plastikschiene ein Vorhang hängen, um den Plastikmüll einzufangen. Der Vorhang ist eine Spezialanfertigung, denn auf offener See zerren gewaltige Kräfte an ihm.

Normales Kunststoff-Laminat erwies sich als zu wenig widerstandsfähig. Bei mehreren Tests in der Nordsee – mit finanzieller Unterstützung der holländischen Regierung – war das Material den Wetterverhältnissen nicht lange gewachsen, obwohl Wellengang und Strömung dort noch relativ harmlos sind. Im offenen Pazifik hingegen können Wellen bis zu 30 Meter hoch sein. "Die Scherkräfte im Wasser ermüden das Material, als ob man eine Büroklammer tausendmal hin- und herbiegt", erklärt Slat. Nun stammt das Netz von einem Hersteller in Dubai, der sich auf synthetisches Gewebe für extreme Umweltbedingungen spezialisiert hat.

Wenn das System im Meer installiert ist, reicht das Plastikgewebe drei Meter in die Tiefe. Wellengang und natürliche Strömung sollen dafür sorgen, dass sich der undurchlässige Filter mit einer Geschwindigkeit von ungefähr zehn Zentimetern pro Sekunde bewegt. "Um das Plastik aus dem Meer zu fischen, müssen wir uns selber wie Plastik verhalten – frei treiben und möglichst viele Teile in dem U konzentrieren, so wie man Laub im Garten erst auf einen Haufen kehrt und dann einsammelt", beschreibt Slat das Konzept. Alle zwei Monate, so der Plan, wird ein Frachter die Beute mit einem herkömmlichen Ringwadennetz an Bord hieven und zur Weiterverwertung an Land bringen.

Um sich vor Kollisionen mit Schiffen zu schützen, besitzt die Anlage in regelmäßigen Abständen Signallampen, Radarreflektoren und sogenannte AIS-Sonden, mit denen Schiffe per Satellit verfolgt werden. Im ersten halben Jahr werden zudem ein bemanntes und ein kleineres unbemanntes Schiff dem Filter rund um die Uhr folgen.

Im Mai 2018 wurde ein Stück des Rohrs in den Pazifik geschleppt, um letzte Tests durchzuführen. Wenn alles glattgeht, will Ocean Cleanup bis Ende des Jahres fünf bis zehn Kubikmeter Plastik pro Woche einsammeln. Das jetzige Modell mit seinen 600 Metern Länge ist für den Holländer allerdings nur die erste Stufe. Am Ende schwebt Slat ein Filter mit jeweils fast einem Kilometer Länge vor. Eine ganze Armada von 60 Stück will er am Great Pacific Garbage Patch verteilen. Dümpeln sie alle im Meer, wird die jährliche Müllernte rund 14 Millionen Kilogramm betragen. Das meiste davon will Slat entweder an Land recyceln, zu höherwertigen Plastikprodukten verarbeiten oder schlimmstenfalls in Treibstoff für seine Fangflotte verwandeln.

Das Konzept klingt zwar simpel und besteht aus handelsüblichen Teilen, die raffiniert kombiniert werden, ist aber keineswegs billig. Eines der gewaltigen Us kostet fünf Millionen Euro, schätzt Slat. Betrieb und Wartung aller 60 Filter werden sich auf 10 bis 20 Millionen Euro im Jahr belaufen.

Verglichen mit dem Ausmaß des Problems sind jedoch selbst diese Kosten gering: Seit Beginn der Massenfertigung von Plastik in den 1950er-Jahren hat die Menschheit rund 8,3 Milliarden Tonnen hergestellt, rechnete ein Team um den Industrie-Ökologen Roland Geyer von der University of California in Santa Barbara in einer Studie 2017 vor. Das reicht aus, um die gesamte Landmasse Argentiniens gleichmäßig zu bedecken. Lag die jährliche Produktion 1950 bei gerade einmal zwei Millionen Tonnen, waren es 2015 bereits 280 Millionen Tonnen. Hält der Trend an, wird der Berg bis 2050 auf 34 Milliarden Tonnen gewachsen sein.