Antimaterie aus der Dose

Antimaterie darf niemals mit Materie in Berührung kommen. Trotzdem wollen Physiker eine Milliarde Antiprotonen in einem Lastwagen durch die Gegend fahren.

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Antimaterie aus der Dose

(Bild: Shutterstock)

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Glaubt man dem Physik-Nobelpreisträger Robert B. Laughlin, dann gründet sich das Kernforschungszentrum Cern auf fundamentalem Misstrauen. Nach der Entwicklung der Atombombe wollte niemand das Risiko eingehen, dass irgendein Land noch einmal ganz für sich allein eine neue Art von Physik entdeckt, aus der sich eine neue, noch fürchterlichere Waffe machen ließe, behauptet er.

Bislang hielt sich das zerstörerische Potenzial des Cern in Grenzen. Die jüngsten Pläne von Alexandre Obertelli und Kollegen könnten das allerdings ändern – zumindest ein wenig. Denn der Physiker will eine Milliarde Antiprotonen in einem Container speichern, um sie in einem einige Hundert Meter entfernten Labor auf schwach radioaktive Atomkerne zu feuern. Antimaterie ist jedoch eine explosive Sache. Wenn sie mit Materie in Berührung kommt, zerstrahlt sie sofort auf einen Schlag in reine Energie. 0,5 Gramm Antimaterie würde bei dieser so genannten Annihilation so viel Energie freisetzen wie die Atombombe Fat Man, die Nagasaki vernichtete.

Der Sinn des Experiments: Seit rund zehn Jahren ist bekannt, dass Atomkerne keineswegs immer eine Art Klumpen aus Protonen und Neutronen bilden. Bei radioaktivem Berillium zum Beispiel haben Forscher Neutronenwolken – sogenannte Halos – oder auch dichtere Neutronenschalen gefunden. Das Experiment soll zeigen, ob es noch mehr solcher Kerne gibt und wie die Strukturen im Inneren aussehen. Dazu wollen die Forscher Antiprotonen mit Neutronen und Protonen zusammenstoßen lassen und die Zerfallsprodukte analysieren.

Antiprotonen werden am Cern hergestellt, indem man schnelle Protonen auf einen massiven Metallblock schießt. Anschließend werden sie durch elektromagnetische Felder stark gebremst und in einer Falle gespeichert, die durch ein Vakuum von der Umwelt isoliert ist. In der von Obertelli angestrebten Größenordnung hat jedoch noch niemand mit Antimaterie hantiert. Der Rekord liegt bislang bei zehn Millionen Antiteilchen, die für kurze Zeit gespeichert wurden. Nun wollen die Forscher das mit einer Milliarde wagen. Das Unterfangen ist aber nicht wirklich gefährlich, beruhigt Obertelli. Ihre Annihilation würde nicht mehr Energie freisetzen, "als man braucht, um einen Apfel hochzuheben", sagt er. Auch das Ausmaß der dabei freigesetzten Radioaktivität sei "verhältnismäßig gering".

Die große Schwierigkeit ist eher, diese Menge überhaupt herzustellen und – wie geplant – einen Monat lang zu speichern. Für ihr Experiment wollen die Forscher eine 70 Zentimeter lange elektromagnetische Falle bauen, die sich im Inneren eines tonnenschweren, supraleitenden Magneten befindet. Falle und Magnet müssen auf minus 269 Grad Celsius gekühlt werden.

Damit die Antiprotonen nicht mit Luftteilchen zusammenstoßen, braucht es ein extrem dünnes Vakuum – hunderttausendmal dünner als jenes im LHC-Beschleuniger. Obertelli ist dennoch überzeugt, dass sich die Mühe lohnt. Denn mithilfe der jetzt entwickelten Technologie könne Antimaterie auch für andere Forschungen bereitgestellt werden – etwa "als vielversprechende Antriebsquelle für die Raumfahrt".

(wst)