Digitalrat: Weiteres Placebo bei drängenden IT-Projekten befürchtet

Das neue zehnköpfige Expertengremium solle nur den Eindruck von Aktivität erzeugen und beruhigen, beklagen Beobachter.

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Digitalrat: Weiteres Placebo bei drängenden IT-Projekten befürchtet

(Bild: Bundesregierung)

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Der Startschuss für den lange angekündigten Digitalrat der Bundesregierung hat ein geteiltes Echo ausgelöst. Der Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom, Achim Berg, begrüßte es sehr, "dass die Bundesregierung beim Thema Digitalisierung den Rat von außen sucht und auf Experten aus Wissenschaft und Praxis setzt". Das jetzt vorgestellte Gremium könne die etablierten Organisationen und Institutionen in der Verbands- und Wissenschaftslandschaft sehr gut ergänzen und zusätzliche Impulse geben.

Deutschland habe bei vielen Projekten wie dem Breitbandausbau, dem Digitalpakt für Schulen, dem Aufbau eines einheitlichen Bürgerportals für Behördendienste oder einer Strategie für Künstliche Intelligenz (KI) vor allem ein "Umsetzungsproblem", gab Berg aber zugleich zu bedenken. Der Digitalrat müsse hier Dampf machen.

"Die Zeit des Redens ist vorbei", unterstrich Oliver Süme, Präsident des Verbands der Internetwirtschaft eco. Der Digitalisierungszug fahre längst. Die Regierung müsse daher "jetzt längst überfällige Antworten auf drängende Fragen zur Zukunft des Digitalstandorts Deutschland geben". Hervorzuheben sei dabei vor allem der rasche Ausbau leistungsfähiger digitaler Infrastrukturen.

Der Bundesverband der IT-Anwender Voice beklagt, dass die neue Institution nur als "freischwebendes" beratendes Gremium der gesamten Regierung angelegt sei. Ein um das Thema Digitalisierung ausgebautes Bundesministerium, das die bekannten Defizite in der Netzpolitik direkt angehe, würde nach Voice-Ansicht sehr viel mehr bewirken. "Seit Jahren dümpelt Deutschland in Sachen digitaler Infrastruktur, E-Government, digitale Bildungs- und Ausbildungsinhalte den führenden Nationen hinterher", moniert der Verband. "Obwohl in vielen Bereichen klar ist, was zu tun ist, geschieht bis auf vollmundige Ankündigen bisher wenig."

FDP-Chef Christian Lindner forderte einen Digitalminister, der den Hut aufhabe, anstelle von weiteren Gremien und Räten. Der Digitalexperte der Liberalen, Manuel Höferlin, sprach von einem weiteren Ablenkungsmanöver der Regierung, die "nach wie vor keine erkennbare Strategie für die Gestaltung des digitalen Wandels präsentieren kann".

Es gebe "kein Erkenntnis-, sondern ein echtes Handlungsdefizit", kritisierten die grünen Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Tabea Rößner. Es lägen bereits "unzählige, durchaus sehr konkrete digitalpolitische Vorschläge" auf dem Tisch, die die Bundesregierung seit Jahren trotz interfraktioneller Einigkeit nicht umsetze. Den Rat sehen die Oppositionspolitiker trotzdem als Chance, überfällige Debatten entschlossen voranzubringen.

Vorschusslorbeeren erteilte der Bundesverband Deutsche Startups dem Beirat, in dem keine bekannten zivilgesellschaftlichen Akteure vertreten sind. Die Bundesregierung habe sich damit "internationale Expertise an den Tisch geholt". Dies könne dabei helfen kann, "den Rückstand in Sachen Digitalisierung aufzuholen".

Auf Twitter sorgte für Häme, dass das Bundeskabinett in die Präsentation des Gremiums zunächst ein Video einbettete, das in vielen Browsern eine Fehlermeldung aufgrund eines fehlenden Flash-Plugins erzeugte. Spitzen von Social-Media-Nutzern fing sich auch Ijad Madisch, Geschäftsführer der Plattform Researchgate, ein, da er auf dem offiziellen Auftaktfoto mit kurzer Hose und Superman-Basecap zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und anderen Regierungsvertretern posierte. Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) störte sich daran aber nicht: "A bisserl Farbe und Unkonventionelles schadet auch im Kanzleramt nicht." (anw)