Was war. Was wird. Von Zeiten, da Staatsdiener allem möglichen dienen.

Personen der Zeitgeschichte, ja, ja. Da tummelt sich seltsames Kroppzeug neben Geistesgrößen. Hal Faber hat da schon seine Entscheidungen getroffen.

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Was war. Was wird. Von Zeiten, da Staatsdiener allem möglichen dienen.

"Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen."

(Bild: DonnaSenzaFiato, gemeinfrei, Zitat: Theodor W. Adorno, Minimal Moralia)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Hakenkreuze in Berlin

*** Nach dem Wutbürger haben wir den Hutbürger kennengelernt, einen tarifvertraglich bezahlten Staatsdiener, der sich auf der Straße als rechter Kämpfer gegen die Lügenpresse entpuppte. "Sie haben mich ins Gesicht gefilmt", das ist zum geflügelten Satz der Woche geworden und hat alle gepflegten Sätze über den Deutschen Digitalrat in den Hintergrund gestellt. Doch der Hutbürger redete mehr: "Ich setze Sie vorläufig fest. Und die Polizei, der Einsatzleiter, schaut sich an, was Sie für Aufnahmen gemacht haben. Ich untersage Ihnen hier öffentlich, mich zu filmen. Wenn eine Aufnahme irgendwo auftaucht, im Netz oder in den Medien, werde ich sie verklagen." Wie meinte Adorno? "Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen."

*** Nun sind die Aufnahmen dieser höchst seltsamen Person der Zeitgeschichte – das ist man nämlich als Demonstrations-Teilnehmer – tausendfach im Netz zu finden. "Lügenpresse" rufen und wie ein Quasi-Polizist handeln, das war offenbar möglich, weil der besorgte Bürger mit dem Deutschlandhut beim Landeskriminalamt arbeitet. Zwar nur als Angestellter und im Dezernat für Wirtschaftskriminalität angestellt, aber schlummert nicht in jedem Spießbürger ein kleiner Ordnungspolizist?

*** Insofern ist es nicht ganz uninteressant, auf welche Dateien mit welchen Inhalten der LKA-Mitarbeiter Zugriff hat, der Merkels Vorbeifahrt lautstark mit "Volksverräter"-Rufen begleitete. Das sächsische integrierte Vorgangsbearbeitungssystem (IVO) gehört dazu, das eine Schnittstelle zu Inpol hat, über die Vorgänge als Tatfälle abwandern oder umgekehrt Personen abgefragt werden. In den Worten der Polizei: "IVO ist darüber hinaus nicht nur ein komplexes Vorgangsbearbeitungssystem, sondern zugleich die zentrale Datenbank und Täterlichtbilddatei sowie die Schnittstelle zu INPOL und zum Schengener Informationssystem." Bestätigt ist zudem der Zugriff auf das Ausländerregister. Wer Volksverräter suchen und aufdecken will, hat so eine solide Ausgangsposition. Noch ist freilich nicht bekannt, ob der Job vom Hutbürger so genutzt wurde. Bislang ist er noch im Urlaub und damit war er auch privat unterwegs, so die Auskunft aus Sachsen. Doch halt, wie hieß es auf dem Polizeitag in Dresden? "'Wir sind mitten in der Digitalisierung.' Für die polizeiliche Arbeit habe dies zur Folge, dass nichts mehr privat sei und es noch mehr Transparenz brauche."

*** Abseits der Aufregung um Hutbürger und die schleppenden Identitätsfeststellungspraktiken der mit der Digitalisierung beschäftigten Polizei sorgten Hakenkreuze auf der Gamescom in dieser Woche für Diskussionsstoff. Erstmals nach 1998, als in der Debatte um das Spiel "Wolfenstein" die CD "Widerstand und Verfolgung im III. Reich" herauskam und mit USK18 bewertet wurde (was den geplanten Schuleinsatz zunächst behinderte), hat "Through the Darkest of Times" USK12 bekommen. Das Spiel darf also von Jugendlichen gespielt werden. Inzwischen hat sich auch Familienministerin Franziska Giffey meinungsstark zu Worte gemeldet: "Mit Hakenkreuzen spielt man nicht", offenbar selbst dann nicht, wenn das Spiel zur Aufklärung über die NS-Zeit zählt und damit zu den guten Spielen gehört. Die Debatte dürfte jedenfalls weitergehen, während die Debatte über die Bundeswehr-Werbung auf der Messe schon wieder abflaut. Dabei gibt das Kleingedruckte unter "Mach, was wirklich zählt" einige Denkanstöße: "Echte Kameradschaft statt Singleplayer-Modus", das ist schon eine ziemlich knifflige Frage. Wobei die Personaler in der Bundeswehr doch nur zum Nachdenken anregen wollten, was wirklich zählt: Krieg spielen oder Frieden sichern?

*** Spielen ist schon ein gutes Stichwort: In dieser Woche wurde der Deutsche Digitalrat vorgestellt und prompt als Placebo kritisiert, weil er irgendwie nur "unbequem" sein soll. Was kann ein solcher Club schon ausrichten, der sich zwei Mal im Jahr zum Plausch trifft, selbst wenn er eine "Zupackende" wie Katrin Suder als Vorsitzende hat? Am Rande der norddeutschen Tiefebene wurden nostalgische Erinnerungen an den Digitalrat Niedersachsen von 2017 wach, der größer war, weil Niedersachsen flacher ist. Unter den 20 Mitgliedern wird übrigens die letztens erwähnte Gesche Joost noch als Internetbotschafterin der Bundesrepublik Deutschland geführt. Das bringt uns schließlich zu einem weiteren anpackenden Gremium, dem IT-Planungsrat der Bundesrepublik. Die Macher sitzen an einem wirklich packenden Thema, dem Metadatenmodell für den Austausch von Verwaltungsdaten. Nach der Absegnung in einer geheimen Sitzung des Planungsrates darf dann die Datenethikkommission das Modell evaluieren, ehe das Digitalkabinett seinen Segen gibt. So geht Digitalisierung.

*** In den USA hat die geständige Whistleblowerin Reality Winner für das Ausdrucken und die Weitergabe von Geheimpapieren die im Juni ausgehandelte Freiheitsstrafe von 5 Jahren, vom zuständigen Richter in voller Höhe ausgesprochen, als Urteil akzeptiert. Der von US-Präsident Trump ins Amt berufene US-Staatsanwalt Bobby Christine erklärte, das Strafmaß nicht abmildern zu können, damit es abschreckend genug ist, andere Menschen von dieser Art Landesverrat abzuhalten. Prompt nutzte US-Präsident Trump das Urteil, um den Privatkrieg gegen seinen Justizminister Sessions fortzusetzen, den er für einen Schlappschwanz hält. Noch verhasster ist ihm eigentlich nur noch der Sonderermittler Mueller und sein geständiger "Fixer" Cohen. Auf Mueller könnte Sessions glatt den Staatsanwalt Christine ansetzen: Das meiste von dem, was in den von Reality Winner geleakten Geheimpapieren stand, kann mittlerweile in den von Mueller veröffentlichten Details zur Russland-Connection der Republikaner nachgelesen werden. Die ach so geheimen Namen der zwölf von Mueller angeklagten Russen sind es nicht mehr. Als Winner verhaftet wurde, war unter anderem eine fehlerhafte Behandlung der von ihr ausgedruckten Dokumente durch Journalisten schuld an ihrer schnellen Enttarnung. Das FBI hätte ihre Identität zweifellos über kurz oder lang geklärt, da Winner viele Spuren in den Logs hinterließ. Nun legen diese Journalisten nach, als wahre Unschuldsknaben, denn Schuld haben immer die anderen.

*** Der Showmaster Dieter Thomas Heck ist gestorben. Die größte Rolle seines Lebens hatte er, als er selbst den Showmaster der Zukunft im Millionenspiel spielen durfte. Ja, solche Showmaster gibt es im Immigration Game nicht mehr. Und gejagt werden Flüchtlinge nur von Identitären und anderen Rechtsauslegern. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Dienstpflichtdebatte? Irgendwie muss doch ein Beitrag her für das gesunde Volksvermögen.

Wenn diese Wochenschau im Netz auftaucht, kann der 40. Jahrestag gefeiert werden, an dem der erste Deutsche im Weltraum ankam, in echter Kameradschaft statt Singleplayer-Modus mit seinem russischen Kommandanten. Tatsächlich war selbst im DDR-Fernsehen 1978 von einem Deutschen die Rede, wo sonst der staatlichen Sprachregelung nach nur von "Bürgern der DDR" gesprochen werden durfte. Sigmund Jähn überlebte das Weltraumabenteuer mit einer Rückenverletzung. Nach der Wiedervereinigung wurde dieser Berufsunfall von den Ärzten der Bundeswehr nicht anerkannt und die Invalidenrente gestrichen. Das Verb sparen wir uns auch: Dieser Mann kein Held.

Helden werden übrigens nicht benötigt, an diesem Aktionstag Save Your Internet wahlweise auch Copyright Action Day genannt. Er soll auf ein anderes Datum aufmerksam machen: Am 12. September wird im EU-Parlament über Änderungsanträge zum vorerst gestoppten Gesetz für Uploadfilter und Linksteuern entscheiden.

Die materielle Basis des Hutbürgers, oder: Das Aussehen, äh, ... das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Das bedeutet, dass die über den hitzigen Sommer eingeschlafene politische Arbeit gegen den Unsinn wieder aufgenommen werden muss. Die Befürworterseite ist schon eifrig bei der Sache. In den Straßen tobt schon der Krieg, da heißt es Sterben für das Leistungsschutzrecht.

Die passende Musik? Ach, da kehren wir nochmal zum Millionspiel zurück. Und erinnern uns an Can. (jk)