Von Tellerwäschern und Millionären

Du kannst alles schaffen? Nein, kannst Du nicht. Wohin diese gefährliche Ideologie führen kann.

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„Du kannst alles erreichen, wenn Du nur hart genug arbeitest.“ Dieses Prinzip klingt zunächst einmal nicht unsympathisch. Es macht nicht die Umwelt, die Umstände oder andere Menschen für den eigenen Erfolg oder Misserfolg verantwortlich, sondern ausschließlich einen selbst. Verantwortung abschieben gilt nicht. Das ist das Positive an dieser Einstellung.

Zur Ideologie geronnen, ist sie aber gefährlich. Lehrbuchmäßig beobachten lässt sich das am Beispiel der Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes. Sie wollte ein kleines, leicht zu bedienendes Gerät für jeden Haushalt entwickeln, das aus nur einem Tropfen Blut mehr als hundert Blutwerte ermittelt und an den behandelnden Arzt schickt. Mit dieser Vision wickelte sie reihenweise Investoren um den Finger, bis ihr Start-up mit sagenhaften zehn Milliarden Dollar bewertet war.

Das Problem dabei: Für bestimmte Bluttests reicht ein Piekser in den Finger nicht. Die Menge des gewonnenen Bluts ist zu gering, und außerdem werden Blutkörperchen beschädigt, was die Werte verfälscht. Um das zu kaschieren, fing Theranos an zu tricksen und zu betrügen und endete als eine der spektakulärsten Tech-Pleiten dieses Jahrzehnts. John Carreyrou vom Wall Street Journal hat die Geschichte aufgedeckt und seine Recherche nun in einem sehr empfehlenswerten Buch veröffentlicht.

Möglicherweise lassen sich Bluttropfen aus dem Finger eines Tages vielleicht wirklich einmal so analysieren, wie Holmes es vorschwebte, wer weiß. Aber dafür braucht es wohl eine völlig neue Technik oder völlig neuen Ideen. Doch solche technischen Details interessierten Holmes nicht besonders. Sie glaubte, das Problem einfach durch mehr Arbeitskraft lösen zu können. Von ihren Entwicklern verlangte sie Doppelschichten oder entließ sie gleich ganz und stellte neue ein.

(Dies ist übrigens ein klassischer Watzlawick, nämlich das Prinzip „Mehr desselben“: Ich habe nun ohne Erfolg viel Druck auf meine Ingenieure ausgeübt, also muss ich noch mehr Druck ausüben – statt auf die Idee zu kommen, die grundsätzliche Strategie zu überdenken.)

Es gibt immer wieder Dinge, die einfach nicht gehen, egal wie hart jemand arbeitet. Ich könnte zum Beispiel den Rest meines Lebens rund um die Uhr Tischtennis trainieren, ohne jemals in der Lage zu sein, Timo Boll zu schlagen. Und oft sind die Umstände eben doch schuld: Wer als Kind auf schlechte Schulen geschickt und wenig gefördert wird, der kann so fleißig und intelligent sein wie er will: Mit dem Professoren-Job wird das höchstwahrscheinlich nichts mehr. Die „Du kannst alles schaffen“-Ideologie leugnet strikt die Rolle der gesellschaftlichen Chancengleichheit oder setzt sie stillschweigend voraus. Mehr noch: Sie schiebt die Schuld dem Individuum zu. Nichts erreicht im Leben? Selber Schuld, hättest Dich halt mehr anstrengen sollen.

Dass anekdotisch immer wieder Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten auftauchen, ist kein Gegenbeweis. Auf jeden solchen Millionär kommen Millionen, die Tellerwäscher geblieben sind. Vielleicht hatten die einen einfach – zusätzlich zu ihrer harten Arbeit – an den richtigen Stellen etwas Glück und die anderen Pech? Dass die Gescheiterten durchweg dumm und/oder faul waren, wie es die Selfmade-Ideologie nahelegt, geht aus solchen Anekdoten jedenfalls nicht hervor.

(grh)