Die Arbeitswelt der Zukunft: Keine Angst, wir schaffen das

Die Digitalisierung schürt bei vielen Arbeitnehmern Ängste. Mit passender Qualifizierung schaffen wir es auch diesmal, so die Botschaft einer Expertenrunde.

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«Coworking»

(Bild: dpa, Deskwanted.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Das Ausstellungsschiff MS Wissenschaft ankert das Jahr über in mehreren Städten Deutschlands, um in einer Ausstellung unter Deck interessierten Bürgern einen Einblick in Büros und Fabrikhallen von morgen und übermorgen zu geben. Im September legte das Schiff auf dem Neckar in Stuttgart an. An Deck fand eine Diskussion über die Fachkräfte für die Arbeitswelten der Zukunft statt. "Arbeitswelten der Zukunft" ist das Motto des Wissenschaftsjahres 2018.

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Treiber des Wandels am Arbeitsmarkt sind Digitalisierung, alternative Arbeitszeitmodelle, Internationalisierung und künstliche Intelligenz. Wie können Unternehmen auf den sich wandelnden Arbeitsmarkt reagieren, wie ändern sich Jobprofile durch den technischen Fortschritt? Darüber diskutierten Dr. Susanne Koch, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Stuttgart, Angelika Stockinger von der Offensive Mittelstand, von der sie Netzwerkkoordinatorin in Baden-Württemberg ist und Walter Ganz, Leiter des Forschungsbereichs Dienstleistungs- und Personalmanagement am Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO ebenfalls in Stuttgart.

Ganz berichtet, wie schwer es selbst ein renommiertes Unternehmen wie das Fraunhofer-Institut heute schon hat, an qualifizierte Mitarbeiter zu kommen. "Das hat die Konsequenz, dass wir Anreizsysteme anbieten, was wir früher nicht notwendig hatten.“ Das sind keine Eintrittsgeschenke, es geht um die Organisation der Work-Life-Balance. "Es ist noch gar nicht so lange her, da hat man bei uns von 9 bis 17 Uhr gearbeitet. Heute haben wir sehr viele unterschiedliche Arbeitszeitmodelle und –verträge und ein Personalentwicklungsprogramm, um den Mitarbeitern berufliche Perspektiven zu geben“, beschreibt er einen grundlegenden Wandel in der Arbeitswelt.

Auch die Skills der Mitarbeiter haben und werden sich weiter wandeln. Die neue Generation der Beschäftigen muss mehr Facetten beherrschen als ihre Vorgänger. Sie brauchen eine tiefe technische Expertise, hohe fachliche Kompetenz und sie müssen Bedarfe erkennen, also Unternehmergeist haben. "Das alles in einer Person fällt nicht jedem leicht“, so Ganz.

Jeder solle sich im Klaren darüber sein, dass es keinen Beruf und keine Branche gibt, die sich nicht verändern wird, mahnt Koch von der Arbeitsagentur. "Doch der Grad der Betroffenheit ist unterschiedlich.“ In Fertigungsberufen sind 80 Prozent aller Tätigkeiten digitalisierbar und somit durch Menschen substituierbar. In sozialen Berufen liegt der Anteil bei 10 Prozent. "Ein wesentlicher Punkt für die Beschäftigten ist, sich fortzubilden, sich mit den technischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und Kompetenzen darin zu erwerben.“ Angst vor Veränderungen und neuen Technologien ist ein schlechter Ratgeber, denn das hemmt.

"Wer den digitalen Wandel in seinem Beruf verpasst, ist raus", sagt Stockinger von der Mittelstandsoffensive und nennt den Beruf des Cutters in der Filmindustrie als Beispiel. Heute werden Filme digital geschnitten, Cutter vom alten Schlag höchstens noch in Musen gebraucht. Aktuell schürt die Diskussion die Angst, etwa Aussagen wie: "Der Roboter nimmt dir deine Arbeit weg, wenn du nicht ausreichend qualifiziert bist." Das sieht Stockinger überhaupt nicht so. Die Veränderung der Arbeit ist ein permanenter Prozess. "Wir müssen eben schauen, dass die Qualifizierungen für die Arbeitswelten der Zukunft passen."

Heute sei es so, dass sich die fortbilden, die ohnehin einen hohen Bildungsstand haben, weiß Koch von der Arbeitsagentur. Für die anderen können Assistenzsysteme hilfreich sein, etwa wenn sie mittels VR-Brillen neue Arbeitsabläufe erlernen. "In den Fällen müssen die Ausführenden gar nicht so viel neues lernen, sondern werden über intelligente System geführt und eingelernt", so Koch. Digitalisierung ist in dem Fall keine Bedrohung sondern Stütze.

Sie geht nicht davon aus, dass es große Verluste an Arbeitsplätzen durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz geben wird. "Per Saldo werden wir in 30 Jahren durch die neuen Technologien nicht weniger oder mehr Beschäftigte haben." Dazu gehört dann aber auch, dass finanzielle Mittel zur Verfügung stehen müssen, um diejenigen zu unterstützen, die Orientierung, Qualifizierung und Beratung brauchen. "Arbeitnehmer müssen sich aber schon selbst darum kümmern und Initiative zeigen", mahnt Koch.

Was internationale Arbeitskräfte betrifft, ist die Arbeitsagentur mit ihrer Zentralstelle für Auslandsvermittlung schon lange im Geschäft und weiß daher, wie schwierig es für beide Seiten ist: für Ausländer, die in Deutschland arbeiten wollen und für Unternehmen, die offene Stellen haben, für die Ausländer Alternativen bei deren Besetzung sind. "In beiden Fällen sind Sprachfertigkeiten ein Thema und die Anerkennung von Qualifikationen", weiß Koch. In Deutschland werden Kompetenzen anhand von Berufszertifikaten beurteilt.

"Das ist aus dem Ausland schwer zu begreifen und noch schwieriger anzupassen", sagt Koch. Die deutsche duale Ausbildung ist weltweit einzigartig. "Menschen aus dem Ausland als Arbeitskräfte zu uns zu holen, ist eine tolle Idee", meint Stockinger. Doch davor muss erst eine Unternehmenskultur geschaffen werden, die Ausländer auch dauerhaft hier hält. "Wir schauen in erster Linie darauf, dass die Papiere in Ordnung sind, haben aber keine Willkommenskultur." Nach Meinung von Stockinger bekleckert sich Deutschland beim Thema Zuwanderung nicht mit Ruhm. (axk)