Städte gegen Amazon

Örtliche Online-Plattformen sollen Ladengeschäfte in Innenstädten retten. Sie sind jedoch alles andere als Selbstläufer.

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Städte gegen Amazon

(Bild: Shutterstock)

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Von
  • Katja Scherer
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Beim Eintreten bimmelt über der Ladentür eine kleine Glocke, während einem der Händler schon entgegentritt. Die Warenauswahl im Laden ist überschaubar, aber gut sortiert: das Bild eines typischen Einzelhändlers. Doch immer weniger Kunden wissen den persönlichen Service zu schätzen. So fristen die kleinen Läden oft ein kümmerliches Dasein in den Innenstädten. Viele geben auf. Der Handelsverband Deutschland rechnet mit einem Verlust von bis zu 50.000 Geschäften bis zum Jahr 2020.

Jeder achte Euro des gesamten Einzelhandelsumsatzes entfiel im vergangenen Jahr auf das Internet – und die Tendenz steigt, gab der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel kürzlich bekannt. Seit einiger Zeit aber geistert ein Schlagwort durch die Branche, von dem sich viele dahinsiechende Läden viel versprechen: Local Commerce. Ob in Wuppertal, Attendorn oder Günzburg – Einzelhändler schließen sich zusammen, um im Internet ihre Produkte zu verkaufen.

Laut einer Befragung von ibi research in Zusammenarbeit mit über 40 Industrie- und Handelskammern sind inzwischen immerhin drei Prozent der kleinen Händler mit maximal neun Mitarbeitern auf derartigen Plattformen vertreten. Die Händlergemeinschaften erhoffen sich dadurch nicht nur eine zusätzliche Einnahmequelle, sondern wollen auch wieder mehr Kunden direkt in ihre Läden locken. Sie setzen darauf, mit ihrer Werbung über das Netz nicht nur die übliche Laufkundschaft zu erreichen. Doch kann das bei der erdrückenden Konkurrenz durch eBay und Amazon überhaupt gelingen?

Viele zeigen sich optimistisch. Binnen weniger Jahre haben sich bundesweit über 70 verschiedene Local-Commerce-Initiativen gegründet. Zu den Pionieren in der Branche zählt das im November 2014 gestartete Projekt Online City Wuppertal. Auf dessen Internetportal können Verbraucher bei lokalen Händlern einkaufen oder ihre Ware reservieren lassen und vor Ort abholen. Ähnliche Ansätze verfolgen das Wiesbadener Kiezkaufhaus, die AllyouneedCity Bonn oder der bodensee.de Shop. Manche Plattformen liefern nur bis zum Stadtrand, andere verschicken ihre Ware auch überregional. Die Anbieter hinter den Initiativen variieren: Manchmal sind es Start-ups wie Hierbeidir.com, manchmal Verlage wie bei "Kauf im Allgäu" oder lokale Wirtschaftsförderungen wie bei Online City Wuppertal.

An Engagement fehlt es also nicht. Dass diese Ansätze aber auch fruchten, bezweifelt Betriebswirt Andreas Hesse von der Hochschule Koblenz. Er ließ Bachelor-Studierende rund 200 Teilnehmer von Local-Commerce-Projekten befragen. Dabei zeigte sich, dass viele Händler ihre Erwartungen an die Plattformen nicht erfüllt sahen: Weder hätten sie mehr verkauft, noch habe die Plattform mehr Kunden in ihre Läden gelockt. Angaben darüber, aus welchen Initiativen die befragten Händler stammen und wie viele Produkte sie überhaupt online gestellt hatten, enthielt die Studie allerdings nicht. Studienleiter Andreas Hesse zieht dann auch das recht allgemeine Fazit: "Local-Commerce-Plattformen sind keine Allheilmittel und auch keine Selbstläufer."

Die Gründe sind vielfältig. So können Kunden zum Beispiel bei manchen Initiativen wie Buy Local weder Waren reservieren lassen noch einkaufen. Denn die Seite www.buylocal.de funktioniert eher wie ein digitales Schaufenster: Man kann sich dort über Händler in seiner Stadt informieren – mehr aber nicht. Für Hesse ist klar: Das reicht nicht aus. "Viele Plattformen setzen in Sachen Marketing vor allem auf Lokalkolorit. Aber Kunden sind keine Samariter: Sie wollen den besten Service – und nicht den lokalen Einzelhandel retten." Beim Onlinekauf spielt eben die Bequemlichkeit eine entscheidende Rolle. Die meisten Kunden wollen sich gerade den Weg zum Laden sparen.

Digitalisierungsberater Andreas Haderlein kennt diese Kritik. Trotzdem ist er fest vom Nutzen von Local Commerce überzeugt. Er hat unter anderem das Projekt Online City Wuppertal begleitet und sagt: "Der Vergleich mit Amazon und Co. hinkt." Es gehe nicht darum, das zweite Amazon zu werden, "sondern den Händlern überhaupt Zugang zu einer digitalen Infrastruktur zu geben und sie bei diesem Thema nicht allein zu lassen". Die jetzige Ernüchterung sei weniger ein Zeichen für den ausbleibenden Erfolg der Plattformen als für die vorab viel zu hoch angesetzten Erwartungen. Ende vergangenen Jahres lag der Umsatz des OCW-Portals bei gerade einmal 1000 bis 1300 Euro pro Monat – für alle rund 60 dort gelisteten Händler zusammen.

Diese Zahlen seien allerdings wenig aussagekräftig, so Haderlein. Denn die Erfolge seien je nach Händler sehr unterschiedlich. Gitti Palm vom Wassersportgeschäft Tauchen & Freizeit etwa kommt zu dem Schluss: "Für mich war der Aufwand größer als der Nutzen. Weil mein Sortiment so spezialisiert ist und ich meinen Laden seit Jahrzehnten an der gleichen Stelle habe, kennen mich die meisten Wassersportfans im Ort eh schon."

Andere Händler hingegen profitierten. Ein wichtiger, aber schwer messbarer Grund dürfte der sogenannte ROPO-Effekt sein: Research online, purchase offline. Kunden sehen ein Produkt im Internet und kaufen dann aber doch im Laden. Michael Frieling beispielsweise verzeichnet online zwar kaum Bestellungen. Im stationären Geschäft aber schreibe er Rekordzahlen, sagt der Schmuck- und Taschenhändler. "Ich mache 30 Prozent mehr Umsatz als vor dem Start des Projekts."

Der Weg dahin ist allerdings aufwendig. Wer von dem Portal wirklich profitieren will, muss laut Haderlein "mindestens 300 bis 500 Produkte in relevanten Kategorien online stellen, idealerweise aber die gesamte Produktverfügbarkeit per elektronischer Warenwirtschaft abbilden". Das ist gerade am Anfang ein großer zeitlicher Aufwand: Die Händler müssen alle Produkte fotografieren, beschreiben und online stellen. Zudem brauchen sie ein modernes, digitales Warenwirtschaftssystem, um stets den aktuellen Bestand im Lager und im Laden im Blick zu haben. Gerade einmal die Hälfte der deutschen Einzelhändler, so der Digitalverband Bitkom, habe im vergangenen Jahr über ein solches System verfügt. Die Online City Wuppertal sieht es daher als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, die Händler überhaupt erst einmal zur Einführung solcher Software zu bewegen.

Hier beobachtet Haderlein mittlerweile jedoch ein Umdenken unter den Händlern. "Die Digitalisierung war früher für viele ein rotes Tuch. Das ist nun verschwunden." Damit ist zumindest ein wichtiger Grundstein für einen mittelfristigen Erfolg der Local-Commerce-Initiativen gelegt.

(bsc)