Analyse zur Photokina: Flucht der Kamerahersteller ins spiegellose Vollformat

Aufbruchstimmung: Die Photokina 2018 bringt neue Hersteller-Allianzen und zeigt, dass sich die Kamerahersteller nach oben retten wollen.

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Analyse zur Photokina: Flucht ins spiegellose Vollformat

(Bild: Nikon)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mit der Photokina 2018 eröffnen die Kamerahersteller einen neuen Wettbewerb um die Käuferschaft. Spöttisch könnte man sagen: Sie strengen sich mal wieder richtig an. Deutlich wird dabei allerdings, dass sie klassischen Spiegelreflexkameras keine besondere Zukunftsrolle mehr zutrauen. Vielmehr ist die Photokina 2018 ein überdeutliches Bekenntnis zu spiegellosen Systemkameras – vor allem mit Vollformatsensor.

Impressionen von der Photokina (34 Bilder)

Anstehen am Eingang

Vor zehn Uhr dürfen nur die Aussteller auf die Messe. Selbst die Presse muss bis dahin draußen warten.
(Bild: Ilona Krause / Heise Medien)

Nachdem Sony diesen Markt mit seiner A7-Serie (sowie der A9) gut fünf Jahre lang praktisch allein dirigieren konnte, muss sich der Hersteller ab dem Herbst mit fast allen anderen messen lassen. Allen voran Canon und Nikon.

Nikon geht dabei einen ähnlichen Weg wie Sony und bietet zwei spiegellose Vollformatmodelle parallel an: Die Z6 platziert sich als Einsteigermodell auf Augenhöhe zur Sony A7 III, die Nikon Z7 mit ihrem hochauflösenden Chip tritt in direkte Konkurrenz mit der A7R III. Canon setzt nur auf ein Modell und platziert seine EOS R dazwischen.

In diesem Kampf profitiert Sony von seiner vergleichsweise langen Erfahrung. Canon und Nikon werfen ihren nach wie vor gewichtigen Namen in den Ring und ihr Versprechen, die neuen spiegellosen Systemkameras mithilfe von Adaptern in ihre riesigen Spiegelreflex-Objektivfamilien zu integrieren. Umsteiger müssen sich also nicht zwingend einen neuen Objektivpark zulegen.

Doch die drei Platzhirsche werden nicht lange unter sich bleiben. Mit der L-Mount-Alliance, die auf Leicas L-Bajonett aufsetzt, bekommen sie gleich drei weitere Gegenspieler. Und die arbeiten mit geballter Kraft zusammen: Leica, Panasonic und Sigma.

Panasonic Lumix-S-Kameras arbeiten mit Vollformatchip. Bisher arbeiteten die spiegellosen Systemkameras des Herstellers mit dem kleinen Four-Thirds-Chip.

Leica liefert bereits spiegellose Systemkameras und Objektive im Premium-Segment. Spannend dürfte vor allem Panasonics Beitrag sein. Zur Photokina hat der Hersteller für das Frühjahr die spiegellosen Vollformatkameras S1 und S1R angekündigt. Mit ihren 24- beziehungsweise 47-Megapixel-Sensoren gehen sie ebenfalls in die direkte Konkurrenz zur Sony A7 III und A7R III. Preislich dürfte Panasonic sich nicht weit von diesen Modellen entfernen, die bei etwa 2500 Euro starten.

Und der Hersteller hat in der Vergangenheit bereits mit seinen etablierten spiegellosen Micro-Four-Thirds-Modellen bewiesen, dass er in Sachen Handling, technische Innovationskraft und Geschwindigkeit vorne mitspielen kann. Mit Sigma hat das L-System außerdem einen starken Objektvlieferanten im Rücken.

Dass Partnerschaften einem System langfristig nutzen, hat Panasonic zudem bereits eindrucksvoll gemeinsam mit Olympus gezeigt: Das Micro-Four-Thirds-System rund um den kleinen Four-Thirds-Chip gehört heute zu den umfangreichsten spiegellosen Systemen.

Insgesamt befindet sich der Kameramarkt weiterhin im Abwärtstrend.

(Bild: PIV)

Aber mal ehrlich: Eine echte Wahl haben die Kamerahersteller auch nicht. Sie müssen sich bewegen. Denn die Marktzahlen gehen bereits seit Jahren nur noch abwärts. Insgesamt werden 2018 nach einer Prognose des Photoindustrie-Verbands (PIV) noch 2,35 Millionen Digitalkameras verkauft werden. Vor vier Jahren waren es noch fast doppelt so viele. Obwohl diese Entwicklung vor allem die günstigen Kompaktkameras trifft, macht sie auch vor den Spiegelreflexkameras (DSLR) nicht Halt: Nur noch 330.000 DSLR sollen 2018 über die Ladentheken wandern, 2014 protzten die Hersteller noch mit knapp 730.000 verkauften DSLR.

Leichtes Wachstum gibt es nur noch bei den spiegellosen Systemkameras.

(Bild: PIV)

Leichtes Wachstum erwarten die Branchenvertreter nur noch bei den spiegellosen Systemkameras. 300.000 Stück sollen in diesem Jahr verkauft werden. Vor vier Jahren waren es noch 264.000. Und auch beim Wert entwickeln sich die Spiegellosen anders als die Spiegelreflexkameras positiv. 290 Millionen Euro sollen die Hersteller laut Prognose mit ihnen einnehmen können. Daraus ergibt sich aktuell ein Durchschnittspreis von knapp 970 Euro. Bei den Spiegelreflexkameras legen Käufer 2019 "nur" knapp 880 Euro auf die Ladentheke.

Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) stellte aktuell passend fest, dass gerade Premiummodelle unter den Wechselobjektivkameras ein Umsatzplus von 90 Prozent verzeichneten. Am Gesamtumsatz mit Wechselobjektivkamera hätten sie bereits einen Anteil von 45 Prozent.

Auf der Flucht vor dem Smartphone retten sich die Hersteller nach oben, das zeigt die Photokina 2018 eindrucksvoll. Vollformat scheint über kurz oder lang zum neuen Standard auserkoren. Und so bauen die Hersteller ihre Produktlinien entsprechend um oder verschlanken sich.

Panasonic hat sich mit seinem spiegellosen Micro-Four-Thirds-System etabliert, will sich aber ganz offensichtlich nicht mehr nur allein darauf verlassen. Mit den Lumix-S-Kameras fährt er zweigleisig und schließt sich dafür neuen, alten Partnern an. Nun bleibt abzuwarten, wie der MFT-Partner Olympus darauf reagiert. Auch hier gab es immer mal wieder Gerüchte über Vollformataktivitäten.

Sony will sich künftig ganz auf sein E-Mount konzentrieren. Zur Photokina-Pressekonferenz hat der Hersteller nicht ein Wort über den A-Mount verloren. Dieses System scheint auf dem Weg ins Grab. Ist das ein Vorbild für andere Hersteller?

Fujifilm überspringt mit seinen spiegellosen Systemkameras der GFX-Serie das Vollformat. Der Sensor der GFX 50R misst 44 × 33 Millimeter. Fujifilm selbst spricht vom Supervollformat.

(Bild: Fujifilm)

Dass es mit mehreren nebeneinander laufenden Produktlinien wohl bald vorbei sein könnte, zeigt der Einsteiger-Markt: Einfache Kompakte spielen gar keine Rolle mehr. Und auch bei den Systemkameras mit und ohne Spiegel erwarten wir über kurz oder lang diese Entwickelung. Während Hersteller wie Canon mit sehr vielen Modellen noch breit aufgestellt sind, lässt Sony dieses Segment praktisch ganz verkommen. Auch Hersteller wie Olympus haben hier gemessen an vergangenen Jahren ganz gut zusammengedampft. Von der üppig verzweigten Pen-Linie sind noch zwei Modelle übrig – und mit der E-PL9 ist nur noch ein echtes Einsteiger-Modell dabei.

Die nächste Entwicklung zeichnet sich übrigens schon am Horizont ab: Fujifilm bringt das Mittelformat – spricht selbst inzwischen vom Supervollformat – auf äußerst handliche Maße und mit etwa 4500 Euro auch in preislich neue Sphären. Mal sehen, ob der Hersteller auch fünf Jahre Zeit bekommt, diesen Markt (zusammen mit Hasselblad) nach Belieben zu steuern. (ssi)