"Nutzerfreundliches" Design und Tracking führen in die digitale Entmündigung

Internet und digitale Technik sind ein "Echtzeitlabor zur Verhaltensmessung" – der Philosoph Rainer Mühlhoff fordert auf der FIfFKon "kollektiven Datenschutz".

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Philosoph: "Nutzerfreundliches" Design und Tracking führen in die digitale Entmündigung

Der Berliner Philosoph und Informatiker Rainer Mühlhoff am Freitag beim Jahrestreffen des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) in Berlin.

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

Lesezeit: 7 Min.
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Die Datenjagd im digitalen Raum ist in vollem Gange. Im Internet sei eine universelle Infrastruktur zum Sammeln von Bewegungs- und Nutzungsdaten entstanden, der auch versierte Nutzer kaum entkommen könnten, konstatierte der Berliner Philosoph und Informatiker Rainer Mühlhoff am Freitag beim Jahrestreffen des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) in der Hauptstadt. Entstanden sei ein "Echtzeitlabor zur Verhaltensmessung mit verschiedenen Variationen". Die größtenteils unfreiwilligen Probanden bekämen von der massenhaften Überwachung wenig mit, was die gängigen Vorstellungen von Datenschutz unterlaufe.

Vor allem die Betreiber großer Plattformen wie Facebook oder Google haben laut Mühlhoff verschiedene ausgefeilte Praktiken entwickelt, um die User zu durchleuchten und die Funktion der Technik zu verschleiern. Ein einschlägiges Verfahren sei der an sich nicht schlechte Trend zu "nutzerfreundlichem Design". Zunächst spreche zwar nichts dagegen, den Zugang zu digitalen Werkzeugen mithilfe einer Klicki-Bunti-Welt zu vereinfachen. Beim "User Experience Design" gehe es aber verstärkt darum, Nutzer dazu zu bringen, möglichst viele Informationen über sich selbst preiszugeben. Diese Daten würden wiederum dazu verwendet, das Verhalten der Anwender vorherzusagen und zu beeinflussen.

Google habe für das neue Android P Funktionen angekündigt, um ein "digitales Wohlgefühl" zu schaffen, brachte der wissenschaftliche Mitarbeiter an der FU Berlin ein Beispiel auf der "FIfFKon ". So wolle der US-Konzern den Nutzern etwa ein "Bewusstsein über die Menge an Zeit" vermitteln, "die sie mit Apps verbringen". YouTube frage dann nach einigen Stunden, ob nicht eine Pause angebracht sei. Am Abend werde der Bildschirm automatisch dunkler. Dafür werde die Nutzungsdauer verschiedener Anwendungen im Hintergrund verfolgt und synchronisiert. Beim allgemeinen Google-Konto werde der User zudem dazu gebracht, seine Mobiltelefonnummer für eine 2-Faktor-Authentifizierung zu hinterlegen. Der Link, um diesen Schritt zu überspringen, sei im Kleingedruckten am Ende des entsprechenden Dialogfensters versteckt.

Ähnlich ist Mühlhoff zufolge die Frage nach der Zugriffsfreigabe auf personenbezogene Daten durch Apps von Dritten wie Spieleanbietern bei Facebook gefasst. Im Imperativ werde der Nutzer dazu aufgefordert, eine Weitergabe seiner Informationen zu erlauben. Wer dies nicht wolle, müsse die Opt-in-Seite ganz verlassen.

Derlei Praktiken folgten dem Modethema des "Nudging" (von engl. nudge, Stupser), führte der Philosoph aus. Mit kleinen psychologischen "Stupsern" in Form "unverbindlicher Eingriffe" in Entscheidungssituationen solle ein gewünschtes Verhalten ausgelöst werden. Dahinter stehe die These, dass Verhalten unbewusst beeinflussbar sei durch das Design von Interaktionsabläufen. Dazu komme der Versuch, menschliche Handlungen zu vermessen und "prädiktiv zu modellieren". Dies könne man auch als "libertären Paternalismus" bezeichnen. Der Drang, etwas zu tun, wird also unter dem Motto der scheinbaren Freiwillig- und Freizügigkeit präsentiert.

Mit kleinen psychologischen "Stupsern" in Form "unverbindlicher Eingriffe" in Entscheidungssituationen soll ein gewünschtes Verhalten ausgelöst werden. Der alte Ja-/Nein-Dialog wird hier aufgegeben.

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

Es gebe mittlerweile einen "ganzen Wissenskorpus zu solchen Designtricks", berichtete Mühlhoff. Dazu gehörten Tipps zu Zugriffsrechten auf Profildaten, wenn man den Login-Dienst von Facebook für externe Dienstleister verwende. Ein Hinweis darin laute, nicht alle Berechtigungen zur Datennutzung auf einmal einzuholen, sondern schrittweise vorzugehen. Der User werde so mit einem Minimum an Unbehagen in eine App gelockt. Sobald er Zeit in die Anwendung investiert und Informationen eingegeben habe, sei die Wahrscheinlichkeit für einen Abbruch geringer. Dies sei die "Salamitaktik der Datensammlung".

Übergreifende Login-Services stehen nicht alleine. Dazu gekommen sind Cookies, Beacons oder spezielle Tracking-Verfahren wie Google Analytics. Ein kleines Code-Snippet in einer Webseite reiche, um typische Nutzerflüsse sowie Klicks auf einzelne Links, Buttons oder Bilder sowie Scrolling-Aktivitäten auszuleuchten, führte der Informatiker aus. Allein die Google-Suchmaschine registriere auf der Ergebnisseite zahlreiche Parameter wie eine eindeutige Sitzungsnummer oder die Inanspruchnahme des "Zurück-Buttons" im Browser. Diese Informationen würden einem konkreten Nutzer zugeordnet, wenn diese eingeloggt seien. Insgesamt erfolge im Netz live eine "Massendaten-basierte Auswertung" von Nutzerverhalten.

Als Zusatzelement, das die in dieser Entwicklung angelegte "digitale Entmündigung" noch verstärke, beschrieb der Vordenker das Phänomen der "versiegelten Oberflächen". So könne man etwa Dokumente in Betriebssystemen jüngeren Datums spätestens seit dem "Explorer" in Windows 95 im Kern nur noch über einen "prozessgeleiteten" Zugriff auf besonders relevante Ordner verwalten. Im "guten alten Dateimanager von Windows 3.11" seien dagegen noch die einzelnen Laufwerke und ein Verzeichnisbaum sichtbar gewesen.

Apple habe diese Ablösung von einem Ort im Mac-Finder und schließlich in den jüngsten iPhones auf die Spitze getrieben. Bei letzteren gebe es gar kein Verzeichnissystem mehr, alles werde in einer virtuellen Datenstruktur in der Cloud vorgehalten. Generell seien selbst die Entwickler von Staubsaugerdüsen oder Mikrowellen dabei, die "Technizität von Artefakten hinter bunten, anthropomorphen Oberflächen zu verbergen".

Eine Folge davon sieht Mühlhoff in der "fatalistischen Haltung", die Technik eh nicht mehr verstehen zu können oder zu wollen. Eine gewisse Resignation, dass Geräte nicht mehr beherrschbar seien, mache sich breit. Programmierern empfahl er im Gegenzug, "Einblicke für die zu gewähren, die sie haben wollen". So könne man etwa mit verschiedenen Ebenen arbeiten, die "nicht alles hinter der Oberfläche komplett wegkapseln".

Der zweite Strang der Profilbildung führt dem Beobachter zufolge wiederum dazu, dass Firmen wie Cambridge Analytica dazu übergegangen sind, Nutzer politisch oder affektiv einzuschätzen. Der Markt für die Verwertung von Massendaten verschiebe sich hin "zum Risikomanagement" mit algorithmischen Vorhersagen: Menschen würden vorsortiert, in der Versicherung höher eingestuft oder ihnen würden Sozialleistungen verwehrt. Es komme zu "Predictive Policing" und sozialer Selektion, wobei bestehende gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse zementiert würden.

Derlei gesellschaftliche Folgen der Datensammlung fallen laut Mühlhoff durch das Raster der traditionellen "Privacy-Debatte". Dort werde der Erhalt der Privatsphäre nur aus "individualistischer Perspektive" betrachtet und etwa das Schufa-Scoring zur Bonitätsprüfung auf Basis der eigenen Vergangenheit erfasst. Mittlerweile trügen aber "alle zur Gesamtheit der Datenpunkte bei, auf deren Analyse andere negativ bewertet" und etwa als "Abweichler, Hoch-Risikokunden oder Gefahr selektiert" würden. Es sei daher keine Privatsache mehr, "wie man mit seinen Daten umgeht", sondern eine "hochpolitische Angelegenheit". Unerlässlich sei so eine Diskussion über "kollektiven Datenschutz".

Die Videoaufzeichnung des Vortrags von Rainer Mühlhoff findet man beim CCC.

Update 30.9.2018 13:10 Uhr: Passage über Dateimanager ("Explorer") in neueren Betriebssystemen neu gefasst und Link zur Videoaufzeichnung des Vortrags ergänzt. (tiw)