Kribbeln im Bauch

Bakterien im menschlichen Darm können Strom produzieren – unter ihnen einige der bekanntesten Durchfallkeime. Nun hoffen Forscher, mit ihrer Hilfe neue Energiequellen zu erschließen.

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Kribbeln im Bauch

(Bild: Amy Cao/UC Berkeley)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nike Heinen
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Lauert im menschlichen Darm die Energiequelle der Zukunft? Die Frage klingt einigermaßen absurd, und noch absurder wird sie, wenn man den Grund für die Hoffnung erklärt: Kürzlich haben Forscher dort stromproduzierende Bakterien gefunden.

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Eigentlich untersucht Infektionsforscher Daniel Portnoy von der University of California in Berkeley, warum der Durchfallerreger Listeria monocytogenes meist harmlos ist, aus einem bisher unverstandenen Grund aber auch sehr gefährlich werden kann. Vor allem Schwangere erkranken, wenn sie mit Listerien belastete Nahrungsmittel essen – und ihre Föten können daran sterben.

Denn Listerien befallen nicht nur den Körper des Infizierten, sondern können sogar in seine Zellen eindringen. Dort verstecken sie sich vor den Immunzellen und bringen die gekaperten Zellen dazu, Ausstülpungen zu formen, durch die sie unbemerkt weiter in benachbarte Zellen schlüpfen können. Wenn die Listerien so durch die Plazenta der Mutter ins Kind wandern, ist das für Embryonen lebensgefährlich. Aber wann wählen sie diesen Weg – und wann nicht?

Als Portnoy die Kanäle und weitere Aspekte des Infektionszyklus erforschte, stieß er auf eine 23 Jahre alte Veröffentlichung des kanadischen Labormediziners Harry Deneer: 1995 hatte er ein Enzym auf der Listerien-Oberfläche beschrieben, das oxidierte Eisen-Ionen – besser bekannt als Rost – in weniger oxidiertes Eisen verwandelt. "Mir war sofort klar: Das kann nur funktionieren, wenn die Elektronen durch die Bakterienmembran nach außen geschleust werden", sagt Portnoy. "Wir haben es also mit sogenanntem extrazellulärem Elektronentransport zu tun."

Anders ausgedrückt: Durch ihre Membran würde Strom nach außen fließen, ihr Stoffwechsel also Elektrizität produzieren. Portnoy untersuchte die Listerien daraufhin und fand heraus, dass manche dazu tatsächlich in der Lage sind.

Grundsätzlich ist zwar seit etwa zehn Jahren bekannt, dass Bakterien diese Fähigkeit besitzen. Lange gingen die Forscher jedoch davon aus, dass die Eigenschaft ein eher skurriles Überbleibsel darstellt. Denn anfänglich gefunden hatte man es bei sogenannten anaeroben Bakterien, die den Meeresboden besiedeln und Überlebende aus den frühen, sauerstofffreien Tagen der Evolution sind.

Nicht zuletzt ihre Entdeckung im menschlichen Darm zeigt jedoch, dass der Elektronentransport durch die Zellmembran hindurch "eine ziemlich generelle Eigenschaft zu sein scheint, die wir bisher übersehen haben", sagt Portnoy. "Wir haben inzwischen bei etwa 200 Darmbakterien die Gene für Elektronen-Shuttles gefunden." Auch bei den Listerien fanden die Forscher entsprechende Erbgutabschnitte: Insgesamt 36 Mutanten trugen sechs verschiedene Baupläne für Proteine, die jenen glichen, die bei manchen Meeresbodenbewohnern am Ausschleusen der Elektronen beteiligt sind.

Die Elektronenschleuse scheint vor allem dann ins Spiel zu kommen, wenn dem Einzeller der Sauerstoff ausgeht. Verdauen die Bakterien Nährstoffe, werden dabei – wie in jeder anderen Zelle auch – Elektronen herausgelöst. Sie wandern von Protein zu Protein. Dabei wird Energie frei, die dann wieder in Stoffwechselmolekülen gebunden werden kann.

Am Ende landet das Elektron auf Sauerstoff – wenn er vorhanden ist. Wenn nicht, schleusen manche Bakterien offenbar die Elektronen nach draußen. Dort können sie direkt auf Moleküle mit Elektronenhunger weitergereicht oder – noch effektiver für die Stromausbeute – mit mobilen Transportsystemen auf weitere Reisen geschickt werden. Manche Meeresbodenbewohner nutzen dafür organische Moleküle, die sie selbst herstellen, sogenannte Flavine. Listerien müssen sich diese Shuttles erst organisieren – von anderen Bakterien oder von Pflanzenresten im Verdauungsbrei.

Da jedoch nicht alle Listerien diese Fähigkeit besitzen, glaubt Portnoy hier den Grund für ihre unterschiedliche Gefährlichkeit gefunden zu haben. "Der Unterschied könnte sein, dass die einen nur mit Sauerstoff überleben können und die andere Alternativen haben." Vertreter, die einen Teil ihrer Elektronentransportkette nach außen verlagern, können im sauerstoffarmen Darmmilieu besser überleben. Sie hätten es nicht nötig, unsere Zellen zu infizieren.

Am meisten aber elektrisiert viele Forscher die Aussicht, derartige Bakterien als neue Stromquelle zu nutzen. Längst ist ein stiller Wettkampf im Gange, geführt im Reagenzglas. Auf beiden Seiten des Pazifiks, in den USA genauso wie in China, stecken Mikrobiologen Einzeller zusammen mit Elektroden in ein Testgefäß und schauen, ob Strom fließt. Beide Länder wollen Bakterien finden, die so duldsam und so effektiv wie möglich Elektrizität aus Abwässern produzieren. Listerien wären ein vielversprechender Kandidat. Sie sind viel leichter zu kultivieren als die Bakterien aus den extremen Urzeitlebensräumen.

"Sie überleben praktisch überall", sagt Portnoy. "Auf Pflanzen, in Tieren, auf Türklinken, in der Erde." Werden sie mit Rinderdung gefüttert, der ausreichend Flavine enthält, und dreht man ihnen die Sauerstoffzufuhr ab, geben sie ihre Elektronen gern an Elektroden weiter. Es fließt Strom. Damit rückt das Klärwerk als Stromfabrik der Zukunft in Sichtweite. Der Kanadier Deneer freut sich, dass Kollegen in Kalifornien seine erstaunlichen Funde von damals weiterverfolgt haben. "Uns ging damals leider das Geld aus, um den Mechanismus weiter aufzuklären. Sonst hätten wir vielleicht schon in den 90ern gelernt, mit Bakterien Strom zu erzeugen."

(bsc)