Sitzen: Sechs!

Ein Stuhlsensor soll Schreibtischtätern zu mehr Bewegung verhelfen.

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Sitzen: Sechs!

(Bild: Interstuhl)

Lesezeit: 4 Min.

Sitzen, so heißt es, sei das neue Rauchen. Der Hersteller Interstuhl will das nicht auf sich sitzen lassen. Gemeinsam mit Garmin hat er einen daumennagelgroßen Sensor entwickelt, der Sitzen zu einer Art E-Sport machen soll. Er wird unter den Schreibtischstuhl geklebt und sendet seine Messwerte per Funkstandard Ant+ an einen kleinen USB-Dongle am Rechner.

Nachdem ich die dazugehörige Software installiert habe, muss ich mich ein paarmal mit dem Stuhl hin und her drehen, bis sich eine Funkverbindung aufgebaut hat. Später funktioniert das automatisch beim Hochfahren des Rechners. Außerdem soll ich angeben, auf welchem Interstuhl-Modell ich sitze. Mein Schreibtischstuhl stammt von einem anderen Hersteller, also klicke ich willkürlich irgendeines an. Es scheint auch so zu funktionieren. Anschließend gilt es, den Sensor zu kalibrieren: Auf Anweisung der Software verlagere ich mein Gewicht ein paar Sekunden lang nach links, rechts, vorn und hinten.

Fortan zeigt mir die Software laufend drei Werte: die Zahl der Positionswechsel in den letzten 60 Minuten, die Positionsverteilung auf der Sitzfläche sowie die "Sitzqualität" in Prozent, die sich aus den ersten beiden Werten errechnet. Selbstvermessungsfetischisten können sich die Daten auch über Stunden, Tage, Wochen und Monate anzeigen lassen, einschließlich der gesamten Sitzzeit.

Der ideale Sitzer muss ein ziemlicher Zappelphilipp sein, denn in der Software voreingestellt ist das Ziel von 70 Positionswechseln pro Stunde, also einer alle 51 Sekunden. Gemessen daran bin ich sitztechnisch offenbar ein ziemlich fauler Sack: Ich bringe es selten auf mehr als 20 Wechsel pro Stunde. Außerdem sitze ich tendenziell angeblich zu weit vorn links. Daraus ergibt sich selten eine Sitzqualität von über 50 Prozent im Tagesdurchschnitt. Und entsprechend oft poppt ein Fenster mit der Aufforderung auf, mich doch mal wieder umzusetzen.

Zu meiner Verteidigung möchte ich allerdings vorbringen, dass ich relativ häufig aufstehe, um zum Drucker, zur Kaffeeküche oder zu Kollegen zu gehen. Das sollte, finde ich, in meiner persönlichen Sitzbilanz in irgendeiner Form lobend erwähnt werden. Aber irgendwie bekommt die Software davon nichts mit. Manchmal fordert sie mich zur Bewegung auf, obwohl ich gerade erst von einem Gang durchs Haus zurückgekommen bin. Ohnehin hege ich den Verdacht, dass sie regelmäßig ein paar Positionswechsel unterschlägt.

Andererseits: Dass ein so winziger Sensor überhaupt so differenzierte Daten liefern kann, finde ich schon beeindruckend genug. Und würde der Stuhl tatsächlich mein gesamtes Sitzverhalten quadratzentimeter- und grammgenau erfassen, wäre ein zentrales Problem noch immer nicht gelöst: der Nervfaktor. Schließlich habe ich schon genug aufpoppende Fenster auf dem Bildschirm. Brauche ich da wirklich noch weitere?

Die Interstuhl-Software lässt den Nutzer freundlicherweise selbst entscheiden, wie er angesprochen werden will. So kann er die angestrebten Positionswechsel pro Stunde selbst einstellen. Oder anklicken, ob er Workout-Vorschläge bekommen möchte. Zudem verschwinden die Fenster wieder von allein und müssen nicht weggeklickt werden. Sie ließen sich allerdings auch problemlos ignorieren. Ganz ohne Selbstdisziplin und die Bereitschaft, sich auf ein gewisses Nudging einzulassen, geht es also nicht.

Und sitze ich nun wirklich besser als zuvor? Schwer zu sagen. Die Wochenauswertung verrät sogar eine leicht negative Tendenz. Aber ich nehme mir vor, noch die 60 Prozent zu knacken. Und an meiner rechten Seite zu arbeiten.

Produkt: S 4.0 – Active Sitting Solution
Anbieter: Interstuhl/Garmin
Preis: 99 Euro

(grh)