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Was war. Was wird. Vom Abschlussbericht zur Verhaltensüberschussakkumulation

Hal Faber hat eine unteilbare Demo in Berlin besucht, gegen Voldemorts Polizeigesetze und ohne Zauberei. Den Überwachungskapitalismus juckt das aber wohl nicht.

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Was war. Was wird. Vom Absschlussbericht zur Verhaltensüberschussakkumulation

Dem Überwachungskapitalismus den Zauberstab zeigen! Obwohl, manche Ordnungsfetischisten in Staatsämtern werden sogar von Juristen ohne Zauberkräfte gestoppt. Da reicht es dann, die "drohende Gefahr" aus dem Entwurf zu streichen.

(Bild: Katarzyna Mazur, CC BY SA 2.0 )

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Na gut, aber welche denn dann? Ein gewisser Datenüberschuss fällt beim gesichtserkennungsbasierten Verteidigen der Freiheit anscheinend immer an.

(Bild: Digitalcourage, CC BY SA 2.0)

*** Hach, die #unteilbar-Demo ist durch Berlin gezogen an einem wunderschönen goldenen Oktobertag. Alle waren ganz außerordentlich solidarisch und unteilbar in ihren Blöcken. Was vielleicht fehlte, waren Stempel der einzelnen Demo-Blöcke für die umherflitzenden Kinder, sozusagen als Rekord-Merkerchen, wie man es von anderen Großveranstaltungen kennt. Von früheren Demos kenne ich noch das hübsche, absolut nicht gegenderte "Bürger, lasst das Gaffen sein, kommt herunter, reiht euch ein." Anno 2018 klingt das anders und ich weiß nicht, ob Zuschauer das überhaupt verstanden haben, was da skandiert wurde: "Kommt, kommt, kommt! Heraus aus euren Filterblasen!" Ob das verständlich ist? Vielleicht für Sahra Wagenknecht und all die von #Aufstehen, die sich ausklinkten nach dem Geheiß ihrer Führerin. Auch die Idee, mit Harry Potter zu demonstrieren, war etwas irritierend. "Stoppt Voldemorts Polizeigesetze!" Nunja, der Unsinn mit der "drohenden Gefahr" wird von Ordnungsfetischisten wie Herbert Reul vertreten, den seine Juristen gestoppt haben. Da braucht es keine Zauberkräfte. Ganz sicher war die Demonstration eine machtvolle Versammlung all derer, die sich gegen die kapitalistische Akkumulation des Verhaltensüberschusses aussprachen und dem Überwachungskapitalismus eine Absage erteilten. Doch halt, ich greife vor. Was hatten wir denn diese Woche?

*** Wir hatten Papst, das war ganz nett, aber es kommt noch besser: wir haben endlich den Abschlussbericht zur Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz in Berlin. Garniert mit den üblichen sinnfreien Statements. Diesmal tut sich nicht einmal der Seehoferhorst vor, sondern der Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, der beste Freund von Hans-Georg Maaßen. Welchselbiger immer noch unsere Verfassung schützt, bis beim Horst die Stelle freigeschaufelt ist, auf der der rechtslastige Experte irgendetwas koordinieren kann. Sein Buddy Dieter Romann hat unterdessen die Gesichtserkennung über den grünen Klee gelobt, als ganz schickes Instrument, mit dem Straftäter einfach so "ohne zusätzliche Polizeikontrollen erkannt und festgenommen" werden können. So ratzfatz soll das gehen? Blättert man im Abschlussbericht bis kurz vor dem Ende, so findet sich dort die von Maaßens Verfassungsschutz übernommene Aussage, dass sich rund 600 islamistische Gewalttäter in Deutschland aufhalten. Das sei eine Zahl von Gesichtern, die sich kein Polizist einprägen könne. Wegen dieser 600 sollen jetzt auf deutschen Bahnhöfen intelligente Videoanalysesysteme hinter den Videokameras installiert werden und die Burschen suchen, die für den IS Böses planen. Findet sie alle heißt es, wenn die Polizei ihr automatisiertes Fangdenhut mit den Bürgern spielt.

*** Natürlich fehlt es nicht an Berechnungen im Heise-Forum, die aus der Zahl der Fehlalarme ein tagtägliches Chaos prognostizieren, in dem auf Bahnhöfen ständig das berühmte seyfriedsche "POP! Stolizei!" gerufen wird. Denn selbst wenn das, was der Abschlussbericht sinnigerweise falsch eine "Falschakzeptanzrate" nennt, in dem vom Bericht gewünschten Promillebereich liegt (nämlich beim hust, hust "fast nicht mehr messbaren Wert von 0,00018%"), dürfte auf deutschen Bahnhöfen mit Millionen von Reisenden täglich eine Verhaftungswelle von "falsch Akzeptierten" im Halbstundentakt schwappen, wenn "ohne zusätzliche Polizeikontrolle" Menschen nach den Berechnungen der neuronalen Netze vorläufig festgenommen werden, wenn sie keinen Ausweis mit sich führen. Haben sie den "neuen" Personalausweis oder den elektronischen Aufenthaltstitel dabei, kann er dank Smartphone und einem kleinen Zusatzleser schnell und bruchlos geprüft werden.

*** Dabei enthält der Abschlussbericht noch ganz andere Seltsamkeiten. Gelobt wird da, wie die Erkennungsrate in der zweiten Testphase gestiegen ist, als Überwachungskameras mit Bildern von Personen arbeiten, die zuvor von genau diesen Kameras fotografiert wurden. Wie oft wird das vorkommen, dass ein fieser Terrorist genau von der Kamera aufgespürt wird, die auch das Referenzbild für seine Suche erstellt hat? Macht nichts, die Erkennungsrate ist einfach beeindruckend, meint Horst Seehofer. Stutzig macht auch der Satz: "In Fällen, in denen kein korrelierender Datensatz aufgefunden werden konnte, war entweder von einem Falsch-Treffer (falsch positiv) auszugehen oder es handelte sich um einen richtigen Treffer, bei dem die Person den Transponder nicht mitgeführt hatte." Wie häufig die Probanden ihren Transponder vergaßen, vielleicht sogar in der den Test sabotierender Absicht, wird nirgends aufgeführt. Genau 111 Personen wurden aus dem Testpool entfernt, ehe man zur zweiten Testphase überging. Selbst dann, wenn nur jeder Zehnte ab und an seinen Transponder vergessen hätte, wären die so erzielten Erkennungsraten reif für die Tonne.

*** Einen ganz besonderen Kick erhält der für Ende August angekündigte Abschlussbericht durch den Zeitraum der Veröffentlichung. Einen Tag vor der unteilbar-Demo, auf der der Block "Freiheit statt Angst" gegen Überwachung demonstriert und zwei Tage vor der Landtagswahl in Bayern mit seinem neuen Polizeigesetz will Seehofer zeigen, was der Überwachungsstaat leisten kann. Der Zeitpunkt ist auch deswegen interessant, weil sich in dieser Woche die Datenethikkommission zu Problemen der künstlichen Intelligenz (KI) mit ihren neuronalen Netzen zu Wort gemeldet hat. Die erste Empfehlung der Kommission trägt die Überschrift: "Beachtung der an unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung orientierten ethischen und rechtlichen Grundsätze im gesamten Prozess der Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz“. Kurz gesagt soll KI nur zu verfassungskonformen Anwendungen führen und die Grundrechte sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beachten. Eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen, doch bezogen auf die Gesichtserkennung werden die Bürger unter Generalverdacht gestellt. Somit kommen wir von den technischen zu den gesellschaftlichen Fragen. Einfach nur den Kopf um 15 Grad von der Kamera weg drehen reicht nicht.

Am kommenden Montag tritt Bill Gates in Berlin auf und spricht mit Bundesminister Gerd Müller über das Innovationspotential des "Chancenkontinents" Afrika. Bill Gates gehört zu denen, die unermüdlich durch Afrika touren und die junge Generation von Afrikanern unterstützen, ihren Weg zu gehen. Das tut auch der "Telefonmogul" Strive Masiyiwa in Simbabwe, der Geld für die Bekämpfung der dort grassierenden Cholera gibt, während andere dort ihre Bugatti einfliegen lassen.

Auf der jährlich erscheinenden Liste seiner Sommerlektüren hat Bill Gates das Buch Capitalism without Capital gesetzt. Es will erklären, wie die immaterielle Wirtschaft funktioniert, etwa die Softwareproduktion von Microsoft. Diese Wirtschaft besteht aus verborgenen, versunkenen Kosten, zeichnet sich durch leichte Skalierbarkeit aus und steckt voller Synergie- und Übergangseffekte, meinen die Autoren, die den Kapitalismus loben, wegen seiner Lebendigkeit. Sei's drum. Auf Bill Gates folgt in Berlin eine Veranstaltung mit Shoshana Zuboff, die mit ihrem 700-Seiten-Wälzer "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus" gleich beides analysiert, die zunehmende Überwachung und die große wirtschaftliche Bedeutung, die diese Überwachung für den Fortbestand des Kapitalismus hat. Das kann man vielleicht anhand der Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz erklären: hier wird mit mehr Daten gerechnet, als zur Gesichtserkennung von 600 mutmaßlichen Terroristen notwendig sind. Es entsteht ein Datenüberschuss, der als Verhaltensüberschuss auf "Verhaltensterminkontraktmärkten" gehandelt werden kann. Je besser die Vorhersagekraft dieses Verhaltensüberschusses ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich als geldwertes Kapital von der Onlinewelt in die reale Welt begeben und dort gehandelt werden kann. Schließlich modifiziert er das Verhalten von realen Menschen.

#unteilbar-Demonstranten surfen auf der Welle freiheitlich-demokratischer Versammlungsfreiheit und erinnern die, denen der Überfluss über den Kopf gestiegen ist daran, dass es schlimmere Arten des Ertrinkens gibt.

(Bild: Detlef Borchers / heise online)

Ob die neue Form der Ware-Geld-Ware-Zirkulation im Sinne von Marx korrekt wiedergegeben ist, wird sich zeigen, denn die Diskussion um Zuboff beginnt erst. In jedem Fall endet ihr Wälzer mit einer tiefen Verbeugung vor Frank Schirrmacher, dem verstorbenen Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das ist das Blatt, das 2018 dem AfD-Politiker Alexander Gauland Platz gibt, seinen Populismus zu erläutern, der an historische Vorbilder erinnert. Manches ist einfach nicht teilbar. (tiw)