Digitales Lernen: Nur schauen reicht nicht

Während digitale Medien in Schulen einziehen sollen, mahnen Wissenschaftler vor den Folgen. Sie könnten den Lernerfolg bremsen.

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(Bild: Apple)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nike Heinen

Erste Studien deuten darauf hin, dass Verknüpfungen in für das Lernen wichtigen Hirnregionen schwächer ausfallen, wenn Kinder Informationen vorwiegend über Smartphone oder Tablet aufnehmen.

Tzipi Horowitz-Kraus, Neurobiologin und Direktorin des Educational Neuroimaging Center am Israel Institute of Technology in Haifa, hatte 19 Kinder zwischen acht und zwölf Jahren aus vergleichbar gebildeten, wirtschaftlich gut gestellten Elternhäusern untersucht. Sie ließ die Eltern Fragebögen ausfüllen, in denen sie angeben sollten, wie viel Zeit ihre Kinder vor allen möglichen Bildschirmen saßen beziehungsweise in Büchern blätterten.

Anschließend scannte sie die Gehirne der Kinder. Ihr Augenmerk galt dabei dem Brodmann-Areal 37. Es erkennt Buchstaben und ganze Wörter. Außerdem organisiert es den Lernprozess. Das beunruhigende Ergebnis: Je mehr Zeit die Kinder vor Screens verbracht hatten, desto dünner wurde das nervöse Schienennetz. Obwohl der Unterschied in der Bildschirmnutzung nicht groß war – die Testgruppe hatte zwischen drei und fünf Wochenstunden mit Smartphones, Fernsehern und Computern zugebracht –, hatten bildschirmaffinere Kinder insgesamt weniger und auch schwächere Verbindungen in andere Gehirnregionen.

Je länger die Kinder am Bildschirm saßen, desto schlechter waren zum Beispiel Regionen vernetzt, die passende Wörter für unsere Gedanken und Gefühle finden. Betroffen scheinen auch Zentren zu sein, die für das Abrufen von Wissen wichtig sind. "Man könnte sagen, dass die elektronischen Medien unsere Fähigkeit zur Imagination und Gedankensteuerung behindern", sagt Horowitz gegenüber Technology Review. "Das könnte die ganze Art verändern, wie Menschen denken."

Noch sind ihre Ergebnisse jedoch nur ein Hinweis, kein Beweis. Bei der geringen Zahl von 19 Probanden ist unklar, ob sie sich verallgemeinern lassen. Zudem hat niemand überprüft, ob die veränderten Schaltpläne in den Gehirnen der Kinder messbare Auswirkungen auf ihre individuellen Leistungen hatten. Horowitz kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob der Bildschirm selbst das Problem war – oder das, was die Kinder am Bildschirm machten. Ob die Kinder spielten, ein Video anschauten oder ein elektronisches Buch lasen, wurde nicht erfasst.

TR 11/2018

Technology Review November 2018

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 11/2018 der Technology Review. Das Heft ist ab 11.10.2018 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Sie erhält jedoch Unterstützung, unter anderem von Martin Korte, Neurobiologe von der Technischen Universität Braunschweig. Ihm zufolge macht es "einen gewaltigen Unterschied", ob die Fakten auf Papier oder auf einem Bildschirm zu sehen sind. Der Grund ist die Arbeitsweise des so genannten Hippocampus, eine uralte und für die Speicherung von Informationen wichtige Hirnstruktur. Ihre ursprüngliche Funktion ist die räumliche Orientierung. Die Welt, die der Hippocampus am besten versteht, ist demnach in 3D. Wenn er also Informationen speichern soll, dann gelingt das am einfachsten, wenn sie ihn zusammen mit räumlichen Informationen erreichen – sei es vom Tastsinn oder von den Augen. "Das Raumgedächtnis bildet die organische Grundlage für Faktenwissen", sagt Korte. "Deswegen nehmen Kleinkinder alles in die Hände und in den Mund."

Sein dringender Rat ist daher, Tablets auf keinen Fall vor der 7. Klasse einzusetzen. "Die Areale aus dem Sprachnetzwerk sind erst mit zwölf Jahren ausgereift", sagt er. "Wenn sie mit Büchern, Papier und Stiften geformt wurden, dann können wir sicher sein, dass für diese Kinder Sprache ein Mittel zum Wissenserwerb bleibt, auch wenn sie ihn später ganz oder teilweise an flachen Bildschirmen betreiben."

Mehr zum Thema Digitales Lernen in der neuen November-Ausgabe von Technology Review (im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich). (anwe)