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Was war. Was wird. Die Gegenwart ist auch nicht mehr das, was sie einmal war

Es ist keine Dystopie, es ist die reale Gegenwart, in der ein Journalist in einem Konsulat getötet wird. Die Welt schaut weg, Hal Faber nicht.

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Was war. Was wird. Vom Absschlussbericht zur Verhaltensüberschussakkumulation

(Bild: Bruno Barral, Wikipedia (CC BY-SA 2.5))

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Das Erleben der Gegenwart kann schmerzlich sein. Hans-Georg Maaßen ist noch als Präsident des Verfassungsschutzes im Amt und der Staat ist noch da, der so einen nicht ohne Grund auf diesen Platz gesetzt hat. Saudi-Arabien kann in einer seiner Konsulate einen Journalisten töten und zerstückeln und alle Welt schaut zu oder besser weg, weil das Rüstungsgeschäft nun einmal so eine wichtige Branche ist. Es mag ja sein, dass die arabische Welt Meinungsfreiheit braucht, aber Absatzmärkte sind Absatzmärkte und Jemen ist weit weg.

*** In dieser unserer Gegenwart mag es ganz heilsam sein, sich eine andere Welt vorzustellen, etwa eine, in der Charles Babbage erfolgreich seine Analytische Maschine bauen konnte und Ada Lovelace zum Superstar unter den Programmiererinnen wurde. Es wäre eine Welt, in der Computer und das Internet 70 Jahre früher entdeckt und genutzt worden wäre, natürlich am besten von den Nationalsozialisten und ihren Komputern, komplett mit einer arischen Programmiersprache. Wir hätten jetzt noch ein prächtiges Nationales Sicherheitsamt, würden zum Grab des großen Führers Otto Remer in seinem Sonnenpalast pilgern und die Losung der Woche skandieren: "Die Verstärkung der Verteidigungsmacht des Landes stellt die allerwichtigste der Staatsangelegenheiten dar, und von der mächtigen Bewaffnung hängen die Würde des Vaterlandes, das Glück des Volkes und der Frieden ab."

*** Dann lieber doch zurück in die Gegenwart, wo es diesen guten Journalismus gibt! In dieser Woche haben gleich zwei internationale Rechercheverbände ihre Ergebnisse vorgelegt. Beim European Far Right Research Network ist aus Deutschland die tageszeitung dabei, den rechten Propagandakrieg zu beschreiben, der von Parteien wie der AfD, FPÖ und Fidesz geführt wird. Fake News wie die von einem Journalisten, der den Hitlergruß gezeigt hat, machen europaweit die Runde. Wo sie bereits in der Regierung sitzen, wie in Österreich, wird empfohlen, die Kommunikation mit regierungskritischen Medien auf "das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken." Besonders beliebt sind Facebook-Kanäle, ganz vorneweg der von Italiens Innenminister Matteo Salvini, der Italien in Ordnung bringt. Doch hach, nicht nur die Rechte kann Facebook wunderbar bedienen. Doch so etwas funktioniert nicht nur in Italien und Österreich: Mitten im schönen Berlin sitzt übrigens eine russische Trollfabrik, die mit Facebook-Kanälen wie Redfish mit Followern auf rechter wie linker Seite eine ganz eigene Agenda betreibt, Nachrichten zu unterlaufen.

*** Eine weitere Recherchegruppe von Correctiv und anderen Medien wie Zeit und Zeit online hat die Untersuchung der Cum-Ex-Files wieder aufgenommen und ermittelt, dass der Steuerbetrug viel umfassender war als noch vor einem Jahr angenommen. Allein die deutsche Volkswirtschaft wurde um mindestens 38 Milliarden Euro erleichtert. "Superreiche stehlen Milliarden für ihre Gier. Geld, das Kindergärten, Altenheimen und Städten fehlt. Sie bestehlen uns alle," so tönt die harmlose Version der Anklage. Andernorts ist von asozialer Geldmacherei die Rede. Selbst in Österreich ist man aufgewacht. Steuerraub um 55,2 Milliarden Euro. "Selbst das Wort "Gier" ist in diesem Fall noch zu beschönigend. Die Akteure waren nicht einfach nur "gierig", sie haben jeglichen Anstand und jegliche Moral über Bord geworfen. Sie handeln wie jemand, der ein Haus ausraubt und sich damit rechtfertigt, dass die Tür nicht abgeschlossen war." So geht Kapitalismus, Baby, Kapitalismus geht so.

Künstliche Intelligenz ist eine sehr ordnungsliebende und ergründliche Intelligenz, das war dieser Tage auf einer Tagung des Fraunhofer ÖFIT zu lernen. Künstliche Intelligenz ist ein Megatrend wie Hype gleichermaßen. Sie stiftet Ordnung, wo in den Subsystemen von Staat, Religion und Technik sonst fröhliches Chaos herrscht, weil jedes System mit sich selbst beschäftigt ist. Die Religion beschäftigt sich mit Immanenz und Transzendenz, dem Staat geht es um Macht und Sicherheit und drölfzig Polizeigesetze gegen alles, was irgendwie eine Gefahr sein soll. Der Technik geht es hingegen nur um Kontrolle. Wo aber bleiben die Medien? Gemach: Heute Abend läuft wieder mal ein Tatort, in dem wie schon einmal eine Künstliche Intelligenz beim Mordsgaudi mit dabei ist. Diesmal heißt sie nicht Bluesky, wie im HAL-Tatort, sondern bajuwarisch korrekt Maria. Lang und breit müssen die Kommissare Leitmayr und Batic lernen, was denn ein Turing-Test ist und wieso ein KI-Programm wie Maria aus dem KI-Rechenzentrum fliehen konnte. Nur schade, das nach der optischen Delikatesse von Bluesky die KI Maria so phantasielos in Szene gesetzt wird wie jede x-beliebige Spracherkennung. Da hat ja Alexa mehr Pep, wenn sie beim Röcheln zuhört.

In der anstehenden Woche wird vor einem Gericht im fernen Ecuador in einem Eilverfahren über die Frage verhandelt, ob die in einer Art "Hausordnung" festgelegten neuen Rechte und Pflichten von Julian Assange gegen seine Menschenwürde verstoßen. Er soll regelmäßig duschen, die Sanitäranlagen säubern und das Katzenklo von Michi Cat-stro reinhalten, dann bekommt er wieder einen schnellen Internet-Zugang abseits seiner Smartphones. Aus dem Drama ist vollends eine Komödie geworden, mit wirklich witzigen Einfällen wie dem von Ecuador, Assange als Berater einzustellen und mit einer Apanage von 2000 Dollar monatlich in die russische Botschaft zu schicken.

Apropos Menschenwürde: Die Würde des Menschen ist unantastbar, so leitete ein gewisser Karl-Heinz Rummenigge eine Pressekonferenz ein, in der mächtig über die Medien geschimpft wurde. Unverschämt und respektlos seien sie mit ihren ach so sensiblen Spielern umgegangen. So etwas dürfen nur die Bosse des FC-Bayern, für die es ein eigenes Grundgesetz gibt. Wie wäre es, wenn zukünftig der Artikel 18 des Grundgesetzes um einen Bayern-Passus erweitert wird, das bei der ungestörten Religionsausübung namens Fußball die Würde des Menschen keine Rolle mehr spielt? Ach, den Vorschlag gibt es schon, von der AfD gemacht und auf den Islam bezogen? Na, so ein Zufall.

Googles aktuelle Zeitungsbeilage zur Künstlichen Intelligenz.

(anw)