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Was war. Was wird. Von deutschen Gedenken und Gedanken.

Die Gedanken sind frei? Ja, schön und gut - reicht aber nicht, wenn sie keine Wirkung entfalten, meint Hal Faber. Es lebe unsere Demokratie? Eben.

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Gedanken, Menschen

"Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei." Was aber schon fast wie ein Abgesang auf die deutsche Revolution klingt, und das schon Anfang des 19. Jahrhunderts.

(Bild: Grae Dickason, gemeinfrei, Text: Viele Verschiedene)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

(Bild: Mit freundlicher Genehmigung der Friedrich-Ebert-Stiftung)

*** "Die Gedenken sind frei, jeder kann sie verbraten", tralala. Der 9. November ist vorbei und die großen Reden sind gehalten. Von allen und vor allem vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, ganz in der Tradition von Bundespräsident Gustav Heinemann, der da befand "Traditionen sind mit anderen Worten keineswegs das Privileg konservativer Kräfte". Darum ist "Alles für das Volk, alles durch das Volk", wie es Philipp Scheidemann formulierte, kein blutstümelnder Spruch von Trägern blauer Kornblumen. Darum kann man mit Steinmeier sagen, klaro, geht in Ordnung, wenn er fordert: "Trauen wir uns doch! Trauen wir uns, die Hoffnung, die republikanische Leidenschaft jener Novembertage auch in unserer Zeit zu zeigen. Trauen wir uns, den Anspruch zu erneuern. Es lebe die deutsche Republik! Es lebe unsere Demokratie!" Zur Demokratie gehört auch das Aushalten von Widersprüchen wie den einer Verteidigung der Sozialdemokraten von 1918, die gemeinsame Sache machten mit dem Militär und dem Beamtentum des untergegangenen Staates.

*** Auszuhalten sind auch die rechtsextremen WfDler und ihr Marschieren für die Toten von Politik oder die Reden zum jenem anderen Gedenktag, dem 9. November mit der Reichspogromnacht, bei der die Juden regelmäßig in der Rolle von Statisten wahrgenommen werden. Wobei das noch die bessere Variante wäre als der "kindgerechte" Vergleich mit einer Schulhofprügelei, den die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Tweet und Text inzwischen weitgehend zurückgenommen hat: Dahinter steckte kein besonders kluger Kopf.

*** Was bleibt, ist der heutige Sonntag. "Was für ein schöner Sonntag, Kumpel" ist dieser Tag, wenn Emmanuel Macron und Angelika Merkel im Wald von Compiègne den Ergänzungs-Gedenkstein dort enthüllen, wo Matthias Erzberger am 11. November vor 100 Jahren die Waffenstillstandserklärung unterzeichnete. Wobei der Salonwagen, in dem die Erklärung unterzeichnet wurde, ein Duplikat ist. Das Original nutzte Hitler am 21. Juni 1940 beim Waffenstillstandsdiktat, mit dem die Schmach vom deutschen Volke getilgt werden sollte. Möge es weitergehen mit der "Aussöhnung im Dienste Europas und des Friedens", vielleicht sogar mit einer echten europäischen Armee, eine Idee, die der US-Präsident Trump sehr beleidigend findet. Darauf eine rote Mohnblume. Unterdessen hat besagter Präsident den geplanten Besuch des US-Soldatenfriedhofes Bois Belleau wegen schlechten Wetters abgesagt.

*** Im Gedenktrubel fast schon vergessen ist der Abgang des obersten Verfassungsschützers Hans-Georg Maaßen zum Wochenanfang. Eine kleine Rede vor den Geheimdienstkollegen des "Berner Clubs" und schwupps, da war er inakzeptabel geworden mit seinen Verschwörungsphantasien von linksradikalen Sozialdemokraten. Am Ende konnte sein treuer Vorgesetzter-Follower Horst Seehofer gar nicht anders als die dringende Bitte um Ruhestandsruhe auszusprechen. Erst jetzt wird mit monatelanger Verspätung geprüft, ob ein Disziplinarverfahren gegen Maaßen eingeleitet werden kann, weil dieser gegen das Mäßigung- und Zurückhaltungsgebot verstoßen haben könnte, das den treuen deutschen Beamten auferlegt ist. Bleibt die Frage, warum sich der Geheimdienstler unter Kollegen mäßigen sollte, die allesamt sehr eigene Vorstellungen davon haben, was Linke sind und wer zu den Rechten gehört. Dafür gibt es viele, viele, streng geheime Treffen in ganz beachtlichen Gruppierungen. Neben dem Berner Klub, der ältesten Geheimdienstvereinigung gibt es die Pariser Gruppe, wo Inlands- und Auslandsgeheimdienste von 15 Ländern zusammen Däumchen drehen und Informationen austauschen, dazu die Police Working Group on Terrorism und die Gruppe der SIGINT Seniors, aufgeteilt in SIGINT Seniors Europe und SIGINT Seniors Pacific. Neben den bekannten Five Eyes sind neun weitere Mitglieder dabei, darunter Deutschland. Wie diese Zusammenschlüsse kontrolliert werden können, weiß der Himmel. Schon bei der nationalen Kontrolle der Geheimdienste gibt es große Unterschiede.

*** In der letzten Wochenschau konnte viel gelacht werden, wahlbedingt auch über das Schweizer e-Voting mit einer Software und der Web-Präsenz, die weder DNSSec implementiert hat noch den HSTS Preload kennt. Inzwischen geht die Debatte weiter. Es gibt eine Stellungnahme der zuständigen Bundeskanzlei, welche ihrerseits Experten zur elektronischen Stimmabfrage konsultiert hat. Unsichere Wahlen mit der Möglichkeit einer Man-in-the-Middle-Attacke? Alles Märchen! Es lebe unsere Schweizer direkte Demokratie! Völlig ausgeschlossen, dass der via Internet wählende Wähler auf eine Website umgelenkt wird, alles ist absolut sicher, denn: "Damit die Umleitung auch im Internet grossflächig funktioniert, müssten zentrale Elemente der Internet-Infrastruktur unter Kontrolle gebracht werden. Das wäre sehr schwer unbemerkt vorzunehmen." Gegen solche Expertise regt sich Widerspruch, etwa aus St. Gallen, wo ebenfalls das Genfer System eingesetzt wird. Der Widerspruch erscheint nicht auflösbar: Die Techniker bestehen auf Sicherheitsvorkehrungen wie DNSSEC, die Juristen sehen die Schuld einer falsch verschickten Wahlstimme beim Bürger, weil dieser nicht https:// vor der Domain eingetippselt hat, schließlich ist das vom Verfahrensleiter zwingend vorgeschrieben. So geht es auf der juristischen Ebene weiter mit der Aufforderung, die Website evote-net abzuschalten, weil diese "Kopie" das Bundesgesetz "über den Schutz des Schweizerwappens und anderer öffentlicher Zeichen" (Wappenschutzgesetz) verletzt. Bereits im Jahre 2013 war das Genfer System, das damals noch mit Java arbeitete, analysiert worden. Es kam nicht gut weg. Nun schreiben wir das Jahr 2018 und vertrauen dem Computer bei elektronischen Wahlen? Der Blick geht nach Florida, wo das elektronische System Probleme macht.

(Bild: Mit freundlicher Genehmigung von Míka Eríksdóttir und des CCC-CH )

Mit dem Motto Refreshing Memories hat der Chaos Computer Club so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner für Computer und menschliche Hirne gefunden. Ein bisschen Auffrischung alter Gedanken ist niemals schlecht, man sieht es ja an den ach so veralteten Analysen zum Thema Wahlcomputer. Ohne in irgendeiner Form mit diesem Club verbandelt zu sein, aber im Banne all der aktuellen Jubiläen empfehle ich vorwitzig eine weitere Wiederauffrischung, die zur Revolutionsstadt Leipzig passt, nämlich die der Unvereinbarkeitserklärung aus dem Jahre 2005. Sie bezog sich seinerzeit auf ein anderes Jubiläum, auf die Befreiung vom Nationalsozialismus 1945.

"Wir sind eine galaktische Gemeinschaft von Lebewesen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Abstammung sowie gesellschaftlicher Stellung, offen für alle mit neuen Ideen. Wer jedoch mit Ideen von Rassismus, Ausgrenzung und damit verbundener struktureller und körperlicher Gewalt auf uns zukommt, hat sich vom Dialog verabschiedet und ist jenseits der Akzeptanzgrenze. Wer es darauf anlegt, das Zusammenleben in dieser Gesellschaft zu zerstören und auf eine alternative Gesellschaft hinarbeitet, deren Grundsätze auf Chauvinismus und Nationalismus beruht, arbeitet gegen die moralischen Grundsätze, die uns als Club verbinden. Der CCC erklärt das Vertreten von Rassismus und von der Verharmlosung der historischen und aktuellen faschistischen Gewalt für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft. Dazu gehören insbesondere die Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer rechtsextremen oder rechtsradikalen Organisation. Darunter verstehen wir...." Tja, eine Wiederauffrischung könnte wirklich nicht schaden, ganz im Sinne von wehrhafter Demokratie und deutscher Republik. (jk)