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Was war. Was wird. Mit künstlicher Intelligenz ins Neuland galoppiert.

Wohlauf, Kameraden - nein, nicht aufs Pferd, sondern zur künstlicher Intelligenz. Vielleicht hilft die natürliche ja wirklich nicht mehr, grübelt Hal Faber.

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Pferde

"Wohlauf Kameraden an's Brett, an's Brett, in's Neuland, in die Freiheit gezogen; im Neuland, da ist der Nerd noch was wert, da wird das Herz noch gewogen; da tritt kein anderer für ihn ein, auf sich selber steht er da ganz allein." Tja, wenn auch paraphrasiert, sind Männerfantasien nicht nur beim Lob soldatischer Tugenden ein oft schreckliches Ding.

(Bild: Miguel Muñoz Hierro, gemeinfrei, Text: sehr frei nach Friedrich Schiller, unter Bezugnahme auf immer noch aktuelle Analysen.)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Ich kann immer noch nicht fassen, was da alles in dieser Woche passiert ist. Nach dem überaus ausführlichen Bericht der tageszeitung (wie das nebenstehende Bild dokumentiert) zur Digitalklausur der Bundesregierung mitsamt dem Abnicken einer schicken Digitalstrategie ist ein digitaler Ruck durch Deutschland gegangen, den jeder bemerkt haben dürfte. Ab sofort müssen meldepflichtige ansteckende Krankheiten nicht mehr per Fax den Gesundheitsämtern gemeldet werden, sondern können über ein Meldeportal direkt in DEMIS abgesetzt werden. Etwas langsamer geht es mit der Ausschreibung von 100 Professuren, die das aparte Feld der Künstlichen Intelligenz erforschen sollen, damit digital-made-in.de der neue Exportschlager wird. 100 Professuren, die dann die Digitalisierung gestalten helfen und auch noch "die klügsten KI-Köpfe der Welt" sind, sind natürlich nicht so einfach zu finden. Mein Tipp: Gerade tippen 1000 Affen einen Text und nennen ihn KI und Quanten-Computer.

*** 1000 Affen? Und keine Pferde? Deshalb macht es auf irgendeine mir unbekannte Art Sinn, dass zunächst ein "Deutsches Observatorium für künstliche Intelligenz" eingerichtet wird, dass den Himmel absucht, ob da nicht irgendwo ein KI-Professor blinkt. Alsdann wird er oder sie eingefangen und in eines dieser zwölf KI-Zentren gesteckt, die für die Happy 100 KI-Hennen und -Hähne eingerichtet werden. Am Ende des KI-Grund-Lege-Prozesses stehen "50 Leuchtturmanwendungen", dank derer Deutschland die Nummer 1 in der KI ist. Das alles zum Spottpreis von 6 Milliarden Euro, zu denen die "KI-getriebene Industrie" nach Regierungsberechnungen weitere 6 Milliarden zubuttert. Das ist doch knorke, dufte, geil oder, äh, Moment mal, genau: weil Baum. Zum Größenvergleich hier einmal nicht, was Google oder China in die "KI-Forschung" steckt: Die Umstellung auf die Absteigsangstmaschine Hartz IV kostete 35 Millionen.

*** Mit "digital made in de", den 100 Professuren und 50 Leuchttürmen ist es nicht genug, denn neben dem Wegfall von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen durch KI bis 2025, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ermittelt hat, sind die "Substituierbarkeitspotenziale" dank KI riesig. Man schaue nur in all die lachenden, frischen Gesichter bei Demowanda, dem Informationsportal zum demografischen Wandel. In Massen werden Roboter-Psychologen und Agent-Trainer oder Chatbot-Kontrolleure und Multi-Service-Hubwarte gesucht, sozusagen das Fußvolk der 100 Professoren abseits der zwölf Zentren und der 50 Leuchttürme. Dazu kommen noch spezielle "KI-Trainer", die ab 2019 die "KMUs" über Nutzen und Frommen der KI für ihre Firmen aufklären sollen. Mindestens 1000 Firmen pro Jahr sollen sie schaffen, was schon einmal logistisch eine sportliche Ansage ist für das Klingelputzen. Oder sollte ich von KI-Trainer*innen, Psycholog*innen und Hubwa/ärter*innen schreiben, damit alle möglichen Geschlechter abgedeckt sind? Inmitten all dem KI-Storming der deutschen Politik ist die Entscheidung gegen das Gendersternchen eher untergegangen. Oder, um es in dieser schicken Jugendsprache zu sagen: JOMO eben. Wobei für mich eindeutig "lindnern" das Wort des Jahres ist.

*** Wie mächtig diese künstliche Intelligenz und ihre Deep Learning-Methode sein kann, zeigte die CHES Challenge, bei der das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mit seiner KI in zwei Wettbewerben gewann. "Wir wollen die Technologien der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens nutzen, um national wie international Krypto- und andere Standards der Cyber-Sicherheit zu setzen und weiterzuentwickeln", erklärte BSI-Chef Arne Schönbohm. Bleibt die Frage, wieviel das in Leuchtturmanwendungen gerechnet ist. Bis die Antwort da ist, kann Zeit vergehen, denn beim BSI hat man viel zu tun: Im Ministerium für Horst und Heimat hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die KRITIS-Verordnung unzureichend ist und weitere kritische Infrastrukturen in Punkto IT-Sicherheit besonders geschützt werden müssen. Drei Branchen kommen hinzu, für die Meldepflichten und Installationsauflagen durch das BSI gesetzt werden. Die chemische Industrie, die Rüstungsbranche und unsere über alles geliebte Automobilbranche werden durch KRITIS erfasst.

*** Heute vor 90 Jahren hatte der erste eigene Film von Walt Disney seine Premiere im Kino-Vorprogramm von Gang War. In Steamboat Willie, gezeichnet von Ub Iwerks, war ein richtig anarchischer Film mit Micky Maus, Kater Karlo und viel Musik, angefangen beim munter gepfiffenen Lied Steamboat Bill. Eine Kuh, eine Ziege und eine Ente wurden als Musikinstrumente missbraucht. Zum Geburtstag gibt es eine Schatzkiste. Was Ub Iwerks für Walt Disney in Szene setzte, beeinflusste Generationen von Zeichnern, darunter auch Steve Ditko, der für Stan Lee arbeitete, dem Erfinder zahlreicher Superhelden. Nun ist auch Stan Lee in den Marvel-Himmel umgezogen und wird in den Nachrufen als zweiter Mann hinter Walt Disney gefeiert. Und noch ein Hinweis sei erlaubt: In einer eher seltenen Rolle als Gutewicht ist der notorische Bösewicht-Darsteller Rolf Hoppe heute in Drei Haselnüsse für Aschenbrödel zu sehen. Adjöh.

*** Do Svidaniya auch für Schores Medwedew, einen großen Journalisten. Er wird den heute im Metier arbeitenden Menschen, die Journalismus nur im Impact messen können, ein Unbekannter sein, doch für andere, die in Grohnde oder Brokdorf auf die Straße oder in die verschneite eisige Marsch gingen, waren seine Berichte über Kyschtym ein Zeichen, dass es West wie Ost so nicht weiter gehen kann.

Das Aus für die Lindenstraße im März 2020 ist vielleicht für Senioren und die Produktionsfamilie Geißendörfer ein Schock, doch sie hat sich bemerkenswert lange gehalten. Die Prognose von 1998, dass das Internet ein solches Format ablöst, hat sich als etwas verfrüht erwiesen. Nun aber ist es soweit. Der erste schwule Kuss im Fernsehen, das war einmal. "Die Lindenstraße steht für politisches und soziales Engagement, für Meinungsfreiheit, Demokratie, gleiche Rechte für alle und Integration, was in Zeiten von Rechtsruck und Ausländerfeindlichkeit wichtiger ist denn je." Das Erstarken einer rechtsradikalen Partei wie die AfD hat die Serie jedenfalls nicht verhindern können.

Aber es ist ja noch etwas hin bis zum März 2020, oder? Was hat noch unsere Bundesregierung auf der Digitalklausur für das Jahr 2020 beschlossen? Genau, eine gründliche "Re-Vision der KI-Strategie", um eben diese Strategie "agil" den Gegebenheiten anzupassen. Im März 2020 werden also die Professoren, die Zentren, die Trainer und die Leuchttürme gezählt, ein jede*r/s an seinem Ort. Moment, 2020 steht doch noch für ein anderes Riesendings namens Polizei 2020. Das bringt diese kleine norddeutsche Wochenschau zurück in den Alltag, in dem sich der Rausch von Law and Order entfaltet.

Am kommenden Mittwoch tritt Bundesinnenminister Horst Seehofer auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes auf und spricht über, tusch, schepper, trara: künstliche Intelligenz in der polizeilichen Informationsverarbeitung. Vor Ort sein, während Kater Karlo, die Panzerknacker oder eben Joker noch am Anrollen sind, das ist doch großes Kino, für Polizei wie Polizeibeobachter. (jk)