Koalition will Fachkräfteeinwanderung regeln

Mit einem neuen Gesetz will die Bundesregierung die Anerkennung ausländischer Abschlüsse erleichtern und Flüchtlingen einen "Spurwechsel“ ermöglichen.

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Koalition will Fachkräfteeinwanderung regeln
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  • Torsten Kleinz
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Knapp ein Jahr nach Bildung der neuen Großen Koalition will die Bundesregierung ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg bringen. In der vergangenen Woche hat das Bundesinnenministerium nach langen Verhandlungen einen Gesetzentwurf in die Abstimmung mit den anderen Ressorts gegeben. Noch vor Weihnachten will das Bundeskabinett den Entwurf beschließen und im neuen Jahr in den Bundestag bringen.

Wie verschiedene Medien berichten, werden in dem Gesetzentwurf umfangreiche Neuregelungen vorgesehen, die insbesondere den akuten Mangel an Fachkräften in vielen Branchen lindern sollen. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit stehen allein in diesem Jahr 760.000 zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen nur 260.000 zusätzliche Arbeitnehmer gegenüber, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben oder nach Deutschland eingereist sind.

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In den vergangenen Jahren hat sich dieses Defizit sogar vergrößert. Laut Arbeitsmarktreport des Deutschen Industrie- und Handelstages sind bereits 1,6 Millionen Stellen längerfristig nicht mehr zu besetzen, laut MINT-Herbstreport des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln fehlten zuletzt allein im naturwissenschaftlich-technischen Bereich 337.900 Arbeitskräfte. Die Bundesregierung selbst rechnet mit 1,2 Millionen unbesetzten Stellen. Folge: Aufträge können nicht ausgeführt werden oder Kapazitäten müssen zurückgefahren werden.

Grundsätzlich sollen Arbeitskräfte mit einer anerkannten Qualifikation und einem Arbeitsvertrag nach Deutschland einreisen und bleiben können. Bisher wurden nur in sogenannten „Engpassberufen“ vom Altenpfleger bis zum Mechatroniker auf den Nachweis verzichtet, dass ein Arbeitgeber keinen entsprechenden Bewerber aus Deutschland finden konnte.

Hinzu kommen neue Erleichterungen: So soll die Anerkennung ausländischer Ausbildungsabschlüsse verbessert und beschleunigt werden. Mit geeigneter Qualifikation sollen Arbeitssuchende dann auch ohne fest zugesagte Arbeitsstelle für sechs Monate nach Deutschland einreisen und sich vor Ort nach einem neuen Arbeitgeber umsehen.

Das Fachkräftezuwanderungsgesetz soll auch Asylsuchenden eine neue Perspektive eröffnen, wenn ihr Asylverfahren gescheitert ist. So sollen Flüchtlinge, die bisher aufgrund eines Ausbildungsverhältnisses geduldet werden, künftig auch eine feste Arbeitsstelle antreten können. Die Voraussetzungen dafür: Die Betroffenen sollen über 18 Monate mindestens 35 Stunden pro Woche sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein, Deutschkenntnisse nachweisen und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Auch zu ihrer Identität darf es keine Zweifel geben.

Das Gesetz soll als Provisorium angelegt sein – so soll es zunächst für fünf Jahre befristet werden, einzelne Regeln wie der Verzicht auf die Vorrangprüfung können schon vorher und regional unterschiedlich ausgesetzt werden. So will die Politik prüfen, welche Effekte die neuen Regelungen bei der derzeit abschwächenden Konjunktur haben werden.

Gerade die Union musste für die Neuregelungen über ihren Schatten springen. So hatte der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers im Landtagswahlkampf 2000 in Nordrhein-Westfalen ein rot-grünes Programm zur Anwerbung von Hochqualifizierten hintertrieben mit der Wahlkampf-Äußerung, dass man “Kinder statt Inder” an den Computer holen müsse. Dabei war das von Rot-Grün initiierte Greencard-Programm sowieso ein Flop und wurde vier Jahre später beendet.

Bei dem nun vorgelegten Gesetz geht es nicht vorrangig um Spitzen-Jobs mit überdurchschnittlichen Gehältern, sondern um Arbeitskräfte mit gewöhnlicher Berufsausbildung. Die sind jedoch nicht weniger wichtig. So stockt der Breitbandausbau in Deutschland seit Jahren auch deshalb, weil Unternehmen und Kommunen nicht genug Arbeitskräfte finden, die Gräben für die Glasfasern ausheben und wieder fachgerecht verschließen können.

Während einige den Kurswechsel der Regierung loben, gibt es auch viel Kritik an dem Gesetzeswerk. So kritisiert das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, dass die Neuregelungen den Menschen nicht genug Perspektive verschaffe: "Der Entwurf für ein Gesetz zur Fachkräftezuwanderung setzt nicht einmal das um, was das entsprechende Eckpunktepapier in Aussicht gestellt hatte, nämlich einen sicheren Status für gut integrierte Geduldete in Sachen Ausbildung und Beschäftigung. Das ist kurzsichtig und integrationsfeindlich.“

Zugleich kommt von Gewerkschaftsseite auch Kritik an einzelnen Regelungen. So kritisiert das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung den Plan, auch Arbeitssuchenden Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu geben. Die bisherigen Erfahrungen mit solcher Zuwanderung hätten gezeigt, dass zwar achtzig Prozent davon Arbeit finden. Aber ihre Qualifikation und ihr Gehalt seien im Schnitt niedriger. "Sieht man also von den kurzfristigen Gewinnen der Unternehmen ab, dann spricht wenig für die Einwanderung zur Arbeitssuche. Sie ist weder erforderlich noch sinnvoll“, heißt es im aktuellen Policy Brief des Instituts.

Die Arbeitgeber setzen unterdessen auf Tempo und wollen die Neuregelungen so schnell wie möglich verabschiedet sehen. Beim Deutschen Arbeitgebertag warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel aber davor, sich beim Fachkräftenachschub zu sehr auf das Ausland zu verlassen. "Wenn Sie heute in einem Umfeld, in dem Sie überall Fachkräfte suchen, auch für diese Berufe junge Menschen begeistern wollen, dann ist doch klar, dass Sie an dieser Ausbildung etwas ändern müssen“, erklärte die Kanzlerin. (vbr)